# taz.de -- NSU-Ausschuss in BaWü: Die tote Freundin des toten Zeugen | |
> Sie hatte im Stuttgarter NSU-Ausschuss ausgesagt, nun ist die junge | |
> Zeugin gestorben. Laut Obduktionsbericht erlag sie einer Lungenembolie. | |
Bild: Die Akten zum Verfahren | |
TÜBINGEN taz | Eine mögliche NSU-Zeugin ist tot, mit 20 Jahren an einer | |
Lungenembolie gestorben. Das hat die Obduktion ergeben. Der Freund der | |
jungen Frau hatte sie am Samstag in ihrer Wohnung in Kraichtal (Kreis | |
Karlsruhe) am Boden liegend mit starken Krämpfen gefunden. Rettungskräfte | |
konnten sie nicht wiederbeleben, sie starb in einer Heidelberger Klinik. | |
Die 20-jährige Melissa M. war eine Exfreundin von Florian H., der gewusst | |
haben will, wer in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter umgebracht | |
hat, noch bevor das Terrortrio NSU aufgeflogen war. Florian H. ist 2013 in | |
seinem brennenden Auto gestorben, wenige Stunden bevor er vom | |
Landeskriminalamt erneut zum NSU-Komplex befragt werden sollte. | |
Von „schockiert“ bis zurückhaltend fielen die Reaktionen der Mitglieder des | |
NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag Baden-Württemberg aus. Der | |
Vorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) sagte allerdings, es wäre fahrlässig, | |
Spekulationen zu den Hintergründen zu äußern. | |
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe teilte schon am Montagmorgen mit, es habe | |
keine Anzeichen für eine Fremdeinwirkung gegeben. Noch könne aber nichts | |
ausgeschlossen werden. Die Ermittlungen dauern an. Eine feingewebliche | |
Untersuchung sowie ein chemisch-toxikologisches Gutachten soll weitere | |
Erkenntnisse zur Todesursache liefern. Das könne mehrere Wochen dauern, | |
sagt der Pressesprecher der Karlsruher Staatsanwaltschaft. | |
## Ein mulmiges Gefühl | |
Spekulationen, dass M. eines nicht natürlichen Todes gestorben sein könnte, | |
setzen Staatsanwaltschaft Karlsruhe und Polizei eine logisch klingende | |
Erklärung entgegen: Die 20-Jährige habe am 24. März einen Unfall gehabt. | |
Beim Training auf dem Vereinsgelände eines Motocross-Sportvereins habe sie | |
sich das Knie geprellt. Sie habe sich abends im Krankenhaus ambulant | |
versorgen lassen, zwei Tage später sei sie zum Hausarzt gegangen. Beide | |
Ärzte hätten Thrombosevorsorge betrieben. „Dennoch dürfte sich aus dem | |
unfallbedingten Hämatom im Knie ein Thrombus gelöst und letztlich die | |
Embolie verursacht haben“, heißt es in der Pressemitteilung. | |
Melissa M. war Anfang März vom NSU-Untersuchungsausschuss in Stuttgart | |
befragt worden - nichtöffentlich, weil sie sich bedroht fühlte. Ihre Angst | |
habe sie aber auf Nachfrage nicht konkretisieren können, sagt Drexler. | |
Melissa M. habe letztlich nichts über die rechte Szene gewusst, Florian H. | |
habe offenbar in der dreimonatigen Beziehung auch nie mit ihr über seine | |
rechte Vergangenheit gesprochen. „Sie konnte praktisch keinen Beitrag zu | |
unserem Untersuchungsgegenstand leisten“, sagt Drexler. | |
Der Vater von Florian H. sagte in seiner Aussage vor dem | |
Untersuchungsausschuss, sein Sohn sei in Sachen Beziehung „oft zwei- oder | |
dreigleisig“ gefahren. „Von Melissa wussten wir nicht viel. Er hat mal ein | |
Bild von ihr gezeigt. Er wollte Schluss machen“, sagt der Vater. In der | |
Nacht vor seinem Tod hat Florian H. die Beziehung mit Melissa M. per | |
WhatsApp beendet. | |
Jürgen Filius, Grünen-Obmann im Untersuchungsausschuss, sagt, der Todesfall | |
Melissa M. müsse gründlichst ausermittelt werden. „Es darf kein Restzweifel | |
übrig bleiben“, sagt er. Ein ungeklärter Todesfall könne Auswirkungen auf | |
die Aussagebereitschaft weiterer Zeugen haben. „Es macht einem ein mulmiges | |
Gefühl, wenn solche Dinge passieren“, sagt Filius. Dass die junge Frau | |
gestorben ist, sei „ein weiterer Zufall, die hier in großen Mengen | |
auftreten“. | |
## „Das kann nicht stimmen“ | |
„Bei der Zahl der Zufälle denkt man erst mal: Das kann nicht stimmen“, sagt | |
auch Rita Haller-Haid, SPD-Mitglied des Untersuchungsausschusses. Sie kenne | |
Lungenembolien eher von älteren Menschen. | |
Ein Fachmann für Dermatologie und Phlebologie am Venenzentrum Freiburg | |
sagt, das Thrombose-Risiko sei bei der gesunden Bevölkerung eher gering. | |
Lungenembolien seien noch seltener. Allerdings steige das Risiko, wenn man | |
einen Unfall erlitten habe. Theoretisch sei es möglich, eine Lungenembolie | |
künstlich zu verursachen. Dafür müsste ein Fremdstoff in eine tiefe Vene | |
gespritzt werden, die direkten Zugang zur Lunge habe. | |
Er habe aber noch nie davon gehört, dass eine Lungenembolie in krimineller | |
Absicht herbeigeführt worden sei. Ein weiterer Experte aus Dresden gibt zu | |
bedenken, dass man an der Leiche eine Einstichstelle finden müsste. Die | |
Version mit der Thrombose nach der Knieverletzung klinge für ihn | |
wahrscheinlicher. | |
Auch der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagt: „Wir haben die Brisanz des | |
Falles erkannt.“ Ein Todesermittlungsverfahren werde zwar bei jedem | |
ungeklärten Fall eingeleitet, die Untersuchungen über die Obduktion hinaus | |
seien aber dem Hintergrund des Falls geschuldet. | |
Drexler kommt zur Einschätzung, dass die Ermittler sehr gründlich arbeiten, | |
„gründlicher als sonst“. Er wisse, dass die Polizei zu rekonstruieren | |
versuche, was Melissa M. zwischen dem Unfall und ihrem Tod alles gemacht | |
hat. Eventuell werde das Motorrad untersucht. „Jetzt gerade kann ich keine | |
Kritik an den Ermittlungen äußern. Wir werden sehr gut informiert“, sagt | |
er. | |
30 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Lena Müssigmann | |
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