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# taz.de -- Debatte Strafrecht bei V-Leuten: Spitzel über dem Gesetz
> V-Leute sollen künftig sanktionslos Straftaten begehen dürfen. Das ist
> ein völlig unnötiger Vertrauensbeweis für die Geheimdienste.
Bild: Neonazis auf Demo (Neubrandenburg, 1. Mai 2015) - wer von ihnen mit dem S…
„Heil Hitler“, rufen zehn Nazis, als sie sich dem dunkelhäutigen Mann an
der Bushaltestelle nähern. Als er ihren Gruß nicht erwidert, schubsen sie
ihn so lange, bis er stolpert und sich verletzt. Alle zehn Nazis werden von
der Polizei erwischt, aber nur neun werden bestraft. Der zehnte bleibt für
die gleichen Taten straffrei. Denn er war ein V-Mann des Bundesamts für
Verfassungsschutz. Das „V“ steht für Verbindung und Vertrauen.
Das wäre die verstörende Folge eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung,
mit dem gesetzliche Regeln für die Arbeit von V-Leuten aufgestellt werden.
Die bemerkenswerteste Neuerung: Spitzel dürfen künftig bestimmte Straftaten
verüben, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen.
Konkret geht es um zwei Mechanismen: V-Leute und verdeckte Ermittler sollen
stets straffrei bleiben, wenn sie milieuspezifische Taten begehen (etwa den
Hitler-Gruß zeigen) oder wenn sie Mitglied in einer kriminellen oder
terroristischen Vereinigung sind. Dagegen bleiben Delikte gegen
individuelle Rechtsgüter – etwa Körperverletzung, Sachbeschädigung und
Beleidigung – grundsätzlich strafbar. Allerdings sollen solche Verfahren
gegen V-Leute und verdeckte Ermittler jederzeit eingestellt werden können,
wenn nicht mehr als ein Jahr Strafe zu erwarten ist.
Die Logik des Gesetzentwurfs: Wenn sich in einer Gruppe von Extremisten
alle vermummen, dann muss sich auch der V-Mann vermummen, damit er nicht
auffällt. Und wenn alle zuschlagen, dann muss auch der V-Mann zuschlagen.
Delikte, die dem Schutz vor Enttarnung dienen, sollen tendenziell nicht
bestraft werden.
## Im Bundestag fehlt jedes Problembewusstsein
Das Gesetz soll für alle Geheimdienste des Bundes gelten, also für das
Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst und auch
für den derzeit hoch umstrittenen BND. Der Bundestag hat den Gesetzentwurf
Ende April bereits zum ersten Mal beraten. Den Koalitionsfraktionen fehlte
aber noch jedes Problembewusstsein.
Dass ein derartiger Vorschlag nach dem NSU-Desaster des Verfassungsschutzes
präsentiert wird, erstaunt. Eigentlich wollte die Regierung die V-Leute
enger an die Kette nehmen, doch stattdessen bekommen sie jetzt sogar eine
Art Freibrief für Straftaten. Die Spitzel sollen künftig ein Stück weit
über dem Gesetz stehen. Ein völlig unnötiger Vertrauensbeweis für die
Geheimdienste und ihre Zuträger. Denn die geplante Vergünstigung ist weder
notwendig noch sinnvoll.
V-Leute, die dem Verfassungsschutz berichten, sind in aller Regel selbst
Extremisten. Sie werden nicht eingeschleust, sondern angeworben. Sie sind
Teil ihrer Szene. Wenn sie einen Hitlergruß oder eine IS-Flagge zeigen,
dann opfern sie sich nicht für den Staat, sondern handeln gemäß ihrer
eigenen Überzeugung. Schon deshalb gibt es keinen Grund, solche Straftaten
von V-Leuten grundsätzlich straffrei zu stellen.
## Auffällige Privilegierung
Ein Freibrief für V-Leute dient auch nicht der Tarnung. Im Gegenteil. Wenn
zehn Leute sich vermummen und dann gegen neun ermittelt wird, nur gegen
einen nicht – das fällt doch auf. Wenn neun auf der Anklagebank sitzen und
der zehnte im Publikum, das muss ja wohl ein V-Mann sein. Der Freibrief für
V-Leute ist eine so auffällige Privilegierung, dass sie für den
angestrebten Zweck völlig kontraproduktiv ist.
Und wie soll das überhaupt funktionieren? Damit ein V-Mann strafrechtlich
privilegiert werden kann, müssen Polizei und Staatsanwaltschaft ja erst
einmal erfahren, dass es sich um einen V-Mann handelt. Also muss der
Verfassungsschutz den Ermittlern mitteilen, dass der Beschuldigte als
V-Mann besonders geschützt ist. Man glaubt es kaum: Sonst wird die
Identität der V-Leute abgeschirmt, wo es nur geht, und jetzt soll der
Verräterstatus den Behörden einfach so mitgeteilt werden, um eine Geld-
oder Bewährungsstrafe zu vermeiden. Und in den Akten können dann auch
andere Verfahrensbeteiligte nachlesen, warum das Verfahren eingestellt
wurde. Oder soll es in solchen Fällen Geheimakten geben?
## Kein Zugang zu Terrorgruppen
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) glaubt, dass nur so der Einblick in
gefährliche Gruppen erhalten bleibt und „Schlimmes“ verhindert werden kann.
Allerdings gibt es gerade in Terrorgruppen nur selten V-Leute. Und auch
künftig werden die Zugangsbedingungen nicht besser. Zur Tarnung darf ein
V-Mann auch künftig nur leichte Straftaten begehen. Er darf also keinen
Mord als „Keuschheitsprobe“ verüben, um in eine Terrorgruppe aufgenommen zu
werden. So weit geht das Gesetz zum Glück nicht. Man sollte deshalb aber
auch von den V-Leuten nicht mehr erwarten als bisher. Sie werden
überwiegend aus Szenen berichten, die relativ gut zugänglich sind, weil
dort keine schweren Straftaten begangen werden. Strafrechtliche Privilegien
sind mit diesem begrenzten Nutzen kaum zu rechtfertigen.
Und wenn der Verfassungsschutz seine V-Leute unbedingt protegieren will,
läge eine andere Lösung näher. Bei einfachen Straftaten geht es in der
Regel um Geldstrafen. Warum gibt der Verfassungsschutz den V-Leuten nicht
einfach das Geld, um die Strafe zu bezahlen. Das Bezahlen fremder
Geldstrafen gilt laut Rechtsprechung jedenfalls nicht als Strafvereitelung,
ist also weniger problematisch als gesetzliche Sonderrechte für Spitzel.
Falls die Große Koalition sich aber mit dem Freibrief für V-Leute
tatsächlich ein Denkmal setzen will, sollten wenigstens zwei sehr
realpolitische Forderungen berücksichtigt werden. So sollte die
Öffentlichkeit in einem jährlichen Bericht erfahren, wie viele V-Leute
Straffreiheit oder Verfahrenseinstellungen erhielten und um welche Delikte
es dabei ging. Nur so kann sich die Gesellschaft ein Bild über die
rechtsstaatlichen Kosten der Reform machen.
Außerdem sollte eine Verfahrenseinstellung zumindest bei Gewalttaten von
V-Leuten ausgeschlossen sein. Es ist unerträglich, wenn ein verprügeltes
Opfer aus den Akten ersieht, dass der Nazi-Schläger nur deshalb straffrei
blieb, weil er heimlich mit dem Staat kooperiert.
27 May 2015
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Verfassungsschutz
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Strafrecht
Spitzel
V-Leute
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Schwerpunkt Rechter Terror
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