# taz.de -- Urteil des Bundesgerichtshofs: Lockspitzel als Verfahrenshindernis | |
> Wenn der Staat Bürger zu Straftaten anstiftet, kann das Verfahren | |
> eingestellt werden. Der BGH ändert die bisherige Rechtsprechung. | |
Bild: Im konkreten Fall ging es um den Handel mit Ecstasy-Pillen | |
KARLSRUHE taz | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat seine Rechtsprechung zu | |
polizeilichen Lockspitzeln verschärft. Wenn verdeckte Ermittler oder | |
V-Leute einen Unschuldigen zu Straftaten drängen, ist keine Strafverfolgung | |
möglich, sondern das Verfahren einzustellen. | |
Konkret ging es um einen Fall aus Nordrhein-Westfalen. Die Polizei | |
verdächtigte zwei vorbestrafte Männer aus Bonn und Mönchengladbach, nach | |
ihrer Haftentlassung weiter mit Drogen zu handeln. Um das zu beweisen, | |
setzte die Polizei mehrere deutsche und niederländische verdeckte Ermittler | |
auf die beiden an. Zunächst ohne Erfolg. Monatelang lehnten die beiden | |
Männer alle Vorschläge für Drogengeschäfte ab. Sie wollten jetzt straffrei | |
leben. | |
Da täuschte einer der Undercover-Polizisten vor, seine Familie sei in | |
Gefahr, wenn er einem Auftraggeber keine Ecstasy-Tabletten liefere. Nun | |
erst besorgten die beiden Männer in Holland einmal 40 000 und einmal 250 | |
000 Pillen. | |
## Eindeutig rechtswidrig | |
Laut BGH war das Vorgehen der Polizei eindeutig rechtswidrig. Offen war nur | |
noch, was dies für die beiden vermeintlichen Drogendealer bedeutet. Bisher | |
hat der BGH nur die Strafe gemildert, wenn jemand vom Staat zu einer | |
Straftat angestiftet wurde. So war auch das Landgericht Bonn vorgegangen, | |
als es 2013 die beiden Männer wegen Beihilfe zum Drogenhandel zu je drei | |
Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilte. | |
Allerdings hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte solche | |
Strafmilderungen Ende 2014 für unzureichend erklärt. Dem folgte nun auch | |
der BGH und änderte seine Rechtsprechung. Zumindest wenn der Staat massiven | |
Druck auf nicht-tatgeneigte Personen ausübt, liege ein Verfahrenshindernis | |
vor. | |
„Es verstößt gegen die Menschenrechte, wenn der Staat unschuldige, | |
unverdächtige Menschen zu Straftaten anstiftet, um diese anschließend - zur | |
Abschreckung anderer - bestrafen zu können“, erklärte der Vorsitzende | |
Richter Thomas Fischer. | |
Obwohl der von Fischer geleitete Zweite BGH-Strafsenat von der bisherigen | |
BGH-Linie abwich, legte er die Frage nicht dem Großen Strafsenat vor, | |
sondern entschied selbst. „Nach dem Straßburger Urteil ist eine neue | |
Rechtslage entstanden und wir haben als Erste darüber entschieden“, | |
erklärte Fischer als Begründung für das forsche Vorgehen. | |
## Genügt Strafmilderung? | |
Offen ließ der BGH, ob bei allen staatlichen Tatprovokationen eine | |
Verfahrenseinstellung die Folge ist oder ob bei weniger massiver Anstiftung | |
eine Strafmilderung genügt. | |
Die beiden betroffenen Männer saßen zunächst 14 Monate in | |
Untersuchungshaft, konnten den Ausgang des Prozesses aber in Freiheit | |
abwarten. Ihre Verurteilung wurde nun aufgehoben. Sie werden jetzt | |
Haft-Entschädigung beantragen. Der Bonner musste wegen der Strafverfolgung | |
seine Gaststätte aufgeben. | |
11 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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