# taz.de -- Kolumnist und Starjurist: Fischer in Rock | |
> Er spricht Recht, und er hat gern Recht: Wie aus einem renitenten | |
> Schulabbrecher „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ wurde. | |
Bild: Undurchdringliches Mienenspiel gehört dazu: Thomas Fischer eröffnet ein… | |
KARLSRUHE taz | „Ich mache das, weil ich denke, dass ich es darf, und weil | |
es Spaß macht, und dann werde ich berühmt dabei, und das macht auch Spaß“, | |
sagte Thomas Fischer neulich bei einer Veranstaltung. Der massige | |
Bundesrichter sitzt da wie Buddha persönlich und verzieht keine Miene. Wie | |
so oft weiß man nicht genau, ob er das alles ganz ernst meint. | |
Seit 16 Jahren ist Thomas Fischer Strafrichter am Bundesgerichtshof (BGH), | |
dem höchsten deutschen Straf- und Zivilgericht. Seit drei Jahren sitzt der | |
62-Jährige dem Zweiten Strafsenat vor. Dort gehört die undurchdringliche | |
Miene zum professionellen Habitus. Aber sie funktioniert auch in seiner | |
neuen Rolle als rechtspolitischer Kolumnist und Großplauderer. | |
[1][“Fischer im Recht“ heißt seine Kolumne bei zeit.de]. Woche für Woche | |
schreibt der Bundesrichter, was er so über die Gesetze, die Politik und die | |
Rechtsprechung denkt. Zu seinen Veranstaltungen kommen mehrere Hundert | |
Besucher. Inzwischen ist er ein echter Juristenstar. | |
## Er provoziert und polemisiert | |
„Der Deutsche weiß alles über Hinterradaufhängungen. Von den Grundregeln | |
des Rechts versteht er dagegen nicht viel“, schrieb Fischer, als er im | |
[2][Januar 2015 seine Kolumne startete]. Fischer ködert seine Leser mit | |
Polemik, Subjektivität und gewagten Assoziationen. Natürlich gibt es davon | |
im Netz schon genug. Aber es gibt nur einen Bundesrichter, der das Woche | |
für Woche liefert. „Was der sich traut!“, denken die Leute, vor allem die | |
Juristen. | |
Im September schlug Fischer vor, [3][auf dem BGH-Gelände ein | |
Flüchtlingslager zu bauen]: „Es gibt da eine wirklich schöne Fläche | |
zwischen Palais und Bibliothek.“ Seine Kolumne nach der Kölner | |
Silvesternacht (“Unser Sexmob“) gehört zum Besten, was über die triefende | |
Doppelmoral jener Tage geschrieben wurde. | |
Es ist eine Win-win-Situation. Zeit und zeit.de hatten bisher juristisch | |
wenig zu bieten. Aber wozu braucht man einen Korrespondenten in Karlsruhe, | |
wenn nun Thomas Fischer persönlich schreibt? Und der Jurist scheint endlich | |
eine adäquate Bühne für seine publizistischen Bedürfnisse gefunden zu | |
haben. Im Schnitt liefert er 25.000 Zeichen pro Kolumne. Das entspricht | |
immerhin einem großen Zeit-Dossier – und das Woche für Woche. Der | |
selbstironisch-rechthaberische Titel „Fischer im Recht“ stammt allerdings | |
von der Redaktion, nicht von ihm. In diesen Tagen erscheint eine Auswahl | |
seiner Kolumnen als Buch – das genauso heißt wie seine Kolumne. | |
## Linksliberales Profil | |
Fischer hat ein klar linksliberales Profil, wenn er rechtspolitische | |
Forderungen erhebt: „Legalize it“ für Cannabis, Liberalisierung der | |
Sterbehilfe und Abschaffung des Blasphemieverbots. Einen Teil seiner Fans | |
verstört er dennoch regelmäßig, wenn er über das Sexualstrafrecht schreibt. | |
Fischer ist nämlich gegen das feministische Prinzip „Nein heißt Nein“ und | |
deshalb gegen eine Verschärfung des Gesetzes. Eine Frau, die klar | |
abgelehnten Sex über sich ergehen lässt, statt zu fliehen oder um Hilfe zu | |
rufen (obwohl sie es könnte), müsse vom Strafrecht nicht geschützt werden. | |
Man solle Frauen nicht wie Kinder oder Psychiatriepatienten behandeln, | |
meint Fischer. Sexuelle Handlungen gegen ein klar geäußertes Nein | |
vergleicht der Richter unpassenderweise mit dem „Anhörenmüssen grausamer | |
Kaufhausmusik“. | |
Auch Journalisten mag Fischer nicht. Als sich im August halb Deutschland | |
über die Strafverfolgung von zwei Netzpolitik-Bloggern empörte, verteidigte | |
Fischer die Ermittlungen wegen Landesverrats. [4][Pressefreiheit definierte | |
er dabei so]: „Freiheit ist, wenn alles geht. Man muss nichts verstehen, | |
nichts können, nichts wollen, einfach nur irgendetwas schreiben.“ | |
Es gibt von ihm kaum einen Satz über Medien, der nicht vor Häme und | |
Verachtung strotzt. Hat er Angst, dass er irgendwann selbst als Journalist | |
wahrgenommen werden könnte? Muss er nicht, schließlich funktioniert die | |
Marke Fischer nur deshalb, weil er „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ | |
ist, so der Untertitel des Buchs. | |
## Späte Berufung | |
Früher suchte Fischer den Erfolg allerdings eher als Rockmusiker und | |
Schriftsteller. Auf dem Gymnasium im sauerländischen Plettenberg blieb der | |
Arztsohn zweimal sitzen, war widerständig und legte sich mit dem | |
Lateinlehrer an. Die Schule verließ Fischer nach der 12. Klasse vorzeitig. | |
In Worms lebte er in einer Rockmusiker-Kommune (Fischer spielte Keyboard), | |
kehrte dann aber doch in die Schule zurück, wurde Schulsprecher und machte | |
mit 22 sein Abitur. Zunächst studierte Fischer Germanistik, schrieb für | |
eine Alternativzeitung und arbeitete als Paketzusteller. Erst mit 26 begann | |
er das Jurastudium. | |
Dann aber ging es flott. Mit 33 promoviert, mit 40 Vorsitzender Richter am | |
Leipziger Landgericht, mit 43 Referatsleiter im sächsischen | |
Justizministerium und weitere vier Jahre später – im Jahr 2000 – wird | |
Thomas Fischer zum Richter am BGH ernannt. In 25 Jahren wurde aus dem | |
Outlaw also ein Federal Judge. Fischer präsentiert seinen Lebenslauf gerne. | |
Die Kolumne ist für ihn wohl auch eine Rückkehr zum Rock ‚n‘ Roll. | |
Inzwischen gehören Bühnenauftritte für Thomas Fischer dazu. Ob sie ihm Spaß | |
machen, sieht man nicht. Er ist keine Rampensau. Wer ihn erstmals hört, | |
staunt über die sanfte zurückgenommene Stimme, die in gewissem Kontrast zum | |
massigen Körper steht. Seiner Bühnensprache fehlt auch die Bulligkeit der | |
Kolumnen. Er kann mit einem Bischof diskutieren, ohne ihn zu verletzen. Für | |
Talkshows ist Fischer trotz seiner Lust an der Polemik fast etwas zu still. | |
Fischer wirkt besser, wenn er im Mittelpunkt steht – wie in den | |
Revisionsverhandlungen am Bundesgerichtshof, wo er als Senatsvorsitzender | |
in das Problem einführt, wo er den Anwälten das Wort erteilt und wo er am | |
Ende lakonisch das Urteil verkündet. | |
In Karlsruhe gibt es über hundert BGH-Richter, zunächst war Fischer nur | |
einer von ihnen. Seinen Ruf als Starjurist begründete Fischer 1999, als er | |
den Kommentar, das wichtigste Erläuterungsbuch des deutschen Strafrechts, | |
im C. H. Beck Verlag übernahm. Seine Vorgänger waren Eduard Dreher, ein | |
Beamter aus dem Bundesjustizministerium, der 1968 „aus Versehen“ die | |
Verjährung für Nazi-Mordgehilfen eingefädelt hatte, und Herbert Tröndle, | |
ein Landgerichtspräsident aus Waldshut und fanatischer Abtreibungsgegner. | |
Ein ideologisch naheliegender Nachfolger war der liberale Fischer sicher | |
nicht. | |
## Ein vielbeachtetes Duell | |
Doch für den Verlag zählte wohl nicht der Standpunkt Fischers, sondern | |
seine Effizienz. Fischer hatte schon an einem Kommentar zur | |
Strafprozessordnung mitgewirkt und war als harter Arbeiter bekannt. | |
Paragraf für Paragraf kommentiert er nun das ganze Strafgesetzbuch, | |
arbeitet neue Urteile und Fachaufsätze ein, auf über 2.500 Seiten, allein | |
und ohne Zulieferer, mit jährlicher Neuauflage. Zugleich hat er die | |
sortierte Materialsammlung zu einem lehrbuchhaften Werk weiterentwickelt. | |
Für Strafjuristen ist Fischers Kommentar das wichtigste Hilfsmittel. Thomas | |
Fischer war also schon lange ein Markenname. Allerdings nicht für Polemik. | |
Über das Strafrecht hinaus wurde Fischer 2012 bekannt, als er sich mit dem | |
damaligen BGH-Präsidenten Klaus Tolksdorf ein vielbeachtetes Duell | |
lieferte. Fischer wollte Vorsitzender des Zweiten Strafsenats werden, doch | |
Tolksdorf hielt ihn für zu dominant nach innen und zu offensiv in der | |
Außenwirkung. Der Präsident stufte deshalb Fischers Beurteilung | |
überraschend herab. Dieser klagte dagegen und hatte Erfolg. Tolksdorf | |
musste die Beurteilung besser begründen, doch wieder klagte Fischer. Er | |
bewarb sich auch noch um andere Senatsvorsitze und blockierte damit bald | |
drei von fünf Strafsenaten. 2013 beendete die damalige Justizministerin | |
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den Streit, indem sie Fischer doch zum | |
Vorsitzenden Richter ernannte. Die Zeit hatte Fischer damals massiv | |
publizistisch unterstützt – der Beginn einer wunderbaren | |
Public-Private-Partnership. | |
Nun ist Fischer seit fast drei Jahren Senatsvorsitzender, und die | |
Zusammenarbeit im Senat läuft besser als erwartet. Allerdings hat der | |
Zweite Strafsenat mehr Rückstände als andere. Ob das an Fischers | |
vielfältigen Aktivitäten liegt? „Ich schreibe die Kolumne am Sonntagmorgen. | |
Da kann ich tun, was ich will“, argumentiert Fischer. | |
## Etwas Glanz fällt ab | |
Vor wenigen Tagen hat das Oberlandesgericht Frankfurt einen Drogendealer | |
spektakulär aus der U-Haft entlassen. Diese dauere bereits | |
unverhältnismäßig lange, hieß es in der Begründung. Dabei machte das OLG | |
Fischer persönlich Vorwürfe. Er habe 2014 drei Monate gebraucht, um die | |
Akte zu lesen und weiterzuleiten. Das war noch lange vor dem Start von | |
Fischers Kolumne. | |
Am BGH sorgt Fischers Kolumne bisher nicht für Konflikte. Viele sind | |
vermutlich froh, dass er beschäftigt ist, statt interne Kämpfe zu führen. | |
Und etwas Glanz fällt ja auch auf den Bundesgerichtshof, der sonst eher im | |
Schatten des Bundesverfassungsgerichts steht. | |
Im November 2018 geht Fischer altersbedingt in den Ruhestand. Manche | |
glauben, der Fischer-Hype ginge dann zu Ende. Andere vermuten, dass Fischer | |
dann erst richtig loslegt. | |
4 Mar 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/serie/fischer-im-recht | |
[2] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-01/fischer-im-recht | |
[3] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-08/fremdenfeindlichkeit-… | |
[4] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-08/pressefreiheit-netzpo… | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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