# taz.de -- Grüner über V-Leute bei der NPD: „Ein herausragender Grenzfall�… | |
> Der Politiker Jerzy Montag untersuchte den Fall des Top-V-Manns Thomas | |
> „Corelli“ R. Gespräch über eine ernüchternde Bilanz, Regeln und | |
> Aktenlesen. | |
Bild: Zerrissenes NPD-Wahlplakat | |
taz: Herr Montag, Sie haben gerade dem Bundestag einen Bericht zu Thomas | |
„Corelli“ R. vorgelegt. 18 Jahre war der Neonazi Spitzen-V-Mann des | |
Bundesverfassungsschutzes. Was brachte er dem Staat? | |
Jerzy Montag: Corelli war sicherlich einer der V-Leute, die dem | |
Verfassungsschutz am meisten Informationen zur Verfügung gestellt hat. Er | |
hat über die Jahre unglaublich viel Material aus dem Bereich der | |
rechtsextremistischen Musik, der Agitation im Internet oder der Freien | |
Kameradschaften geliefert. Aus dieser Sicht war sein Einsatz in großem Maße | |
erfolgreich. | |
Corelli hat dafür auch gut kassiert: 300.000 Euro bekam er über die Jahre | |
vom Verfassungsschutz. Waren seine Informationen das Geld wert? | |
Das zu bewerten, obliegt mir als Sachverständiger nicht. Ich kann nur auf | |
eines hinweisen: Es gibt Regeln, wonach aus der Tätigkeit eines V-Manns | |
kein zweites Gehalt werden darf, um kein faktisches Angestelltenverhältnis | |
zu schaffen. Wenn man dieses Kriterium anlegt, war Corelli sicherlich ein | |
herausragender Grenzfall. Denn er hat über den Verfassungsschutz so viel | |
verdient wie in seinem bürgerlichen Beruf als Lederwarenhändler, rund 1.000 | |
Euro im Monat, zum Teil erheblich mehr. | |
Corelli bekam auch häufig Sonderprämien, etwa nachdem seine Computer | |
beschlagnahmt wurden. Ist das noch gerechtfertigt? | |
Auch das ist eine politische Frage, die der Bundestag beantworten muss. | |
Klar aber ist, dass ein Ahndungseffekt konterkariert wird, wenn der | |
Verfassungsschutz in solchen Fällen finanziell einspringt. | |
Thomas R. wurde wegen Propaganda-Delikten verurteilt. Für den | |
Verfassungsschutz war das kein Problem? | |
Der Verfassungsschutz hat Corelli wiederholt belehrt, er dürfe keine | |
Straftaten begehen. Das sehe ich aber kritisch. Denn es muss allen | |
Beteiligten klar gewesen sein, dass das nicht geht. Es ist nach dem Studium | |
der Corelli-Akten meine feste Überzeugung, dass es unmöglich ist, über | |
lange Zeit Neonazi zu sein und keine Straftaten zu begehen. Ehrlicher wäre | |
daher eine andere Belehrung an die V-Leute: Wenn ihr Gesetze brecht, geht | |
das auf eure Kappe und ihr werdet dafür bestraft wie jeder andere auch. Der | |
Staat hilft euch dabei nicht und darf es auch nicht. | |
Die Realität sieht oft anders aus. Da werden Verfahren von V-Leuten auf | |
Druck des Verfassungsschutzes schon mal eingestellt. Auch im Fall Corelli? | |
Das kann ich nicht beantworten, solange der Bericht noch nicht | |
veröffentlicht ist. | |
Ein Rätsel bleibt bis heute: Corelli stand auf einer NSU-Kontaktliste, war | |
in der rechten Szene bestens vernetzt – und will dennoch nichts von dem | |
untergetauchten Trio mitbekommen haben. Ist das glaubhaft? | |
Ich konnte nur das untersuchen, was in den Unterlagen der Ämter stand. Und | |
da gibt es keine konkreten Spuren, dass Corelli Kontakt zum NSU-Trio hatte. | |
Eine gewisse Nähe zum Umfeld gab es schon, aber dass er über die | |
Aktivitäten des Trios Bescheid wusste, dafür habe ich keinen Beleg. | |
Hatten Sie denn den Eindruck, dass Ihnen alle Akten vorlagen? | |
Ja. Ich bin Strafverteidiger, ich lese seit 35 Jahren Akten. Ich habe ein | |
gutes Gespür dafür, wenn Akten unvollständig sind. Das habe ich im Fall | |
Corelli an keiner Stelle bemerkt. | |
Bliebe die Variante, dass Corelli mehr wusste und es dem Amt nicht | |
mitteilte... | |
Möglich ist es. Aber wir wissen davon nichts. Es ist müßig, Spekulationen | |
anzustellen, wenn man dafür keinen Hinweis findet. Und ich habe solche | |
Hinweise nicht gefunden. | |
Corelli selbst übergab dem Verfassungsschutz einen möglichen Hinweis: eine | |
CD, auf der sich auch das NSU-Kürzel fand. Hätte diese zum Trio führen | |
können? | |
Sehr fraglich. Es gibt vier dieser CDs, die an verschiedenen Stellen | |
aufgefunden wurden, alle selbstgebrannt. Darauf sind 15.000 Dateien: | |
Bilder, Flugblätter, antisemitische Widerlichkeiten – ein klassisches | |
Agit-Prop-Werk der Neonazis. Eine der Dateien ist ein CD-Cover, wo die | |
Hände Adolf Hitlers, eine Waffe und das Kürzel „NSU/NSDAP“ zu sehen sind. | |
Eine zweite Datei enthält einen Brief an die „Kameraden“ der Szene, der | |
empfiehlt, die CD weiterzuverbreiten, und mit „Nationalsozialistischer | |
Untergrund der NSDAP“ unterschrieben ist. Das ist alles, mehr weiß man | |
nicht. | |
Kommt der Brief vom Trio? | |
Sagen wir mal so: Es ist nicht sehr naheliegend. Das NSU-Trio benutzte eine | |
ganz bestimmte Logo-Form. Diese Form taucht auf der CD nicht auf. Und das | |
Trio folgte ja offenbar, wenn überhaupt, einer Propaganda der Tat, mit | |
seinen jahrelangen Morden, ohne sich dazu zu bekennen. Dass solch eine | |
Gruppe plötzlich eine Agit-Prop-CD herausbringt, ist wenig wahrscheinlich. | |
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die CD, als sie diese 2006 von | |
Corelli bekam, nie ausgewertet. Sind also nicht die V-Leute, sondern die | |
Dienstmitarbeiter das Problem? | |
Die Auswerter des Verfassungsschutzes zu untersuchen, war nicht mein | |
Auftrag. Nach meinen Erkenntnissen wurden aber von den dutzenden, wenn | |
nicht hunderten CDs, die Corelli über die Jahre ins Amt schleppte, fast | |
alle ausgewertet. Diese eine aber tatsächlich nicht. | |
Welche Konsequenzen empfehlen Sie aus dem Fall Corelli? | |
Es gibt eine Komponente, die mich sehr, sehr beschäftigt hat: die | |
menschliche. Corelli stammte aus einem Dorf in der ehemaligen DDR, hatte | |
die Schule ohne Abschluss beendet. Mit 15 fiel er in das Chaos der | |
Wiedervereinigung. Seine zwei älteren Brüder brachten ihn zur gleichen Zeit | |
ins rechtsradikale Milieu. Mit 17 ist er in eine der damals gefährlichsten | |
Neonazi-Organisationen eingestiegen: die Nationalistische Front. In deren | |
Zentrale hat er schließlich seinen 19. Geburtstag gefeiert. 180 Neonazis | |
waren eingeladen, mehrere rechte Bands spielten. Die Feier ist ihm völlig | |
aus der Hand geglitten, seine Gäste haben in dieser Nacht die Zentrale | |
zerlegt – Fenster, Türen, alles. Am nächsten Tag hat der Chef der | |
Nationalistischen Front den 19-Jährigen zur Brust genommen und gesagt, du | |
zahlst mir das auf Heller und Pfennig zurück. An diesem Tag ist Thomas R. | |
zur Polizei gegangen und hat gesagt, ich wechsele die Seiten und packe über | |
die Nationalistische Front aus, ich will raus dem rechten Milieu. | |
Die Sicherheitsbehörden reagierten auf das Gesuch nicht. Stattdessen wurde | |
Thomas R. V-Mann. | |
Heute würde man sagen, so einer muss doch an ein Aussteigerprogramm | |
weitergeleitetet werden. Aber daran hat damals kein Mensch gedacht. Alle | |
dachten nur: Wow, der ist der perfekte V-Mann. Und so wurde Corelli | |
angeworben und sein Leben lang, bis zu seinem Tod mit 39, im | |
rechtsextremistischen Milieu gehalten. Das finde ich menschlich, sagen wir, | |
suboptimal. | |
Wie kann man so etwas verhindern? | |
Ich schlage vor, bei solchen Vorgängen einen Vorrang für | |
Aussteigerprogramme einzuführen. Erst an zweiter Stelle sollte der Gedanken | |
an eine Anwerbung stehen. Und zweitens finde ich, solange wir an anderer | |
Stelle jungen Leuten zugestehen, in ihrer Entwicklung noch nicht gefestigt | |
zu sein, Stichwort Jugendstrafrecht, sollte man auch im Sicherheitsbereich | |
die Konsequenz ziehen und niemanden unter 25 Jahren als V-Leute | |
beschäftigen. | |
Die Sicherheitsbehörden verzichten bereits auf das Anwerben von | |
NPD-Spitzenfunktionären, Ihr Vorschlag würde die Auswahl noch weiter | |
einengen. Sollte man dann nicht gleich von den Spitzeln lassen? | |
Das ist erneut eine Frage, welche die Politik beantworten muss. | |
Aber als Grüner haben Sie dazu eine Meinung? | |
Ich habe da eine Position, ja. Aber im Zusammenhang mit meiner | |
Sachverständigentätigkeit möchte ich mich dazu gerade nicht äußern. | |
NaN NaN | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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