# taz.de -- Pro und contra Koalitionsvertrag: Sollen die Grünen zustimmen? | |
> Am Sonntag will die Mitgliederversammlung der Grünen darüber abstimmen, | |
> ob sie ein Regierungsbündnis mit der SPD eingehen oder lieber nicht. | |
Bild: Damals war die Meinung einhellig: Abstimmung zur Aufnahme von Koalitionsv… | |
PRO | |
Grüner wird es nicht. Nicht mit dieser SPD, nicht mit Olaf Scholz. Der ließ | |
sich in beinharten Verhandlungen nur das abhandeln, was er den Grünen | |
zugestehen musste, damit die nicht aussteigen. Ein Viertel Macht, ein | |
Viertel Inhalt – wer mehr verlangt, ist ein Traumtänzer und wird am Ende | |
leer ausgehen. | |
Deshalb ist es richtig, dass die Grünen keine Kraft in längst verlorenen | |
symbolträchtigen Schlachten vergeudet haben. Über die Elbvertiefung | |
entscheiden Gerichte, nicht mehr die Politik. Die Stadtbahn ist in einer | |
Stadt, in der sich Tag für Tag dieselben Unbelehrbaren über die Staus | |
aufregen, die sie selbst anrichten, wohl wirklich nicht mehr durchzusetzen. | |
Mit diesem Thema in einen Volksentscheid zu gehen, wäre wagemutig, die | |
Niederlage sehr wahrscheinlich. Ein geschlossenes Heim, so es denn | |
überhaupt eingerichtet wird, wäre unschön, aber kein Grund, das große Ganze | |
in Frage zu stellen. | |
Die Ökologisierung des Hafens ist ein Pluspunkt mit weitreichenden | |
positiven Konsequenzen – für die Sauberkeit von Elbwasser und Atemluft, für | |
weniger Lärm, für gesündere Arbeitsplätze, für Ökonomie durch Ökologie. … | |
Ausbau von Rad- und öffentlichem Nahverkehr ist ein gewaltiger Fortschritt, | |
der Stopp des Flächenfraßes für Wohnen und Gewerbe ebenfalls. Auch bei | |
Kitas, Inklusion und Hochschulen gibt es kleine Erfolge für den kleinen | |
Partner. | |
Die Ansage von Olaf Scholz, über einen Anbau reden zu wollen, aber nicht | |
über einen Umbau seiner Politik, war ernst gemeint. Und er hat in sechs | |
Verhandlungswochen Ernst gemacht. Herausgekommen ist die Fortsetzung der | |
Scholz-Politik mit grünen Sprengseln. Das ist die Realität. Die mag, wer | |
will, böse finden, die Alternative indes wäre böser. | |
Denn taktisch käme nur ein Bündnis zwischen SPD und FDP in Frage, CDU, | |
Linke und AfD scheiden als mögliche Partner aus. Wenn Rot-Grün konkret | |
keine Umweltzone, aber auch keine Studiengebühren bedeutet, hieße Rot-Gelb | |
wahrscheinlich Studiengebühren, aber immer noch keine Umweltzone. Ein | |
simples Beispiel, das die Alternativen aufzeigt. Es geht hier nicht um die | |
reine grüne Lehre, sondern um eine möglichst gerechte und | |
zukunftsorientierte Politik für die zweitgrößte Stadt Deutschlands. Wer die | |
bei Katja Suding in besseren Händen glaubt, kann den Vertrag ja ablehnen, | |
mit grüner Programmatik hätte das nichts zu tun. | |
Strategisch steht für die Grünen ihre Regierungsfähigkeit auf dem Spiel. | |
Die rot-grüne Koalition 2001 beendeten sie mit herben Verlusten an Personen | |
und Prozenten, die zum linken Regenbogen abgewandert waren, aus dem | |
schwarz-grünen Experiment kamen sie 2010 arg zersaust heraus. Wenn sie sich | |
jetzt einer ernsthaften Regierungsoption verweigern oder diese in den | |
kommenden Jahren in den Sand setzen, ist es vorbei mit grüner | |
Glaubwürdigkeit in Hamburg. | |
Parteien, die nur um sich selbst kreisen, gibt es reichlich. Was diese | |
Stadt braucht, ist eine ökologische, soziale und innovative Neuausrichtung. | |
Wenn die Grünen dafür nicht zur Verfügung stehen wollen, machen sie sich | |
überflüssig. Wenn sie es doch sind, müssen sie jetzt mal loslegen. | |
SVEN-MICHAEL VEIT | |
*** | |
CONTRA | |
So kurz vor dem Rot-Grünen Traualtar stehen und dann noch Nein sagen. Geht | |
das überhaupt? Die Partei-Basis sollte das erwägen. Denn die Zustimmung zu | |
einem geschlossenen Heim Hamburgs ist ein politischer Sündenfall. | |
Es ist ein Unterschied, ob Hamburg dies unter einer SPD- oder CDU- oder | |
FDP-Regierung tut oder mit dem Segen der Grünen. Geschlossene Heime sind | |
nicht etwa Strafe für "straffällige Jugendliche", wie man oft liest. Auch | |
junge Menschen, die sich selbst verletzen oder auf der Straße leben, werden | |
so weggesperrt. Dass dieses Einsperren hilft, ist durch keine Studie | |
belegt. Umgekehrt ist die Gefahr von Machtmissbrauch sehr groß. | |
Die Grünen sind eine gesellschaftliche Kraft, die bislang dafür steht, die | |
Freiheitsrechte der Kinder zu verteidigen. Nun wird dieses Stück grüne | |
Seele verkauft, diese Überzeugung für die Beteiligung an Macht geopfert. | |
Eine Macht, die klein ist. Neben der Umwelt erhalten die Grünen nur die | |
Zuständigkeit für die gestaltungsarmen Ressorts Justiz und Wissenschaft. | |
Die Bereiche Schule und Soziales bleiben weitgehend frei von grünen | |
Inhalten. Es gibt nicht mehr Geld für die offene Kinder- und Jugendarbeit, | |
wie versprochen. Es gibt nur winzige Verbesserungen beim Krippen-Personal, | |
und nicht die von den Grünen versprochenen 25 Prozent. Es soll 120 Stellen | |
für die Inklusion geben, die im Haushalt nicht abgesichert sind, den | |
Schulen also an anderer Stelle fehlen werden. | |
Der Teil des Koalitionsvertrages zum Thema Schule ist gespickt mit | |
Formulierungen, die den grünen Bildungspolitikern deutlich machen sollen: | |
Ihr habt hier nichts zu melden. Stattdessen: Noch schärferes Vorgehen gegen | |
Schulschwänzen statt innovativer Pädagogik. | |
Auch die Sozialpolitik wird schlicht fortgeschrieben. Kein Wort über | |
Kinderarmut oder die Bekämpfung sozialer Spaltung, nirgends mehr die Rede | |
von einer Enquete-Kommission zur Überprüfung der Jugendhilfe, wie sie die | |
Grünen vor der Wahl gefordert hatten. Dafür die Selbstverpflichtung auf | |
eine Fortsetzung der Schuldenbremsenpolitik, auf den jährlichen Abbau von | |
250 Stellen, unabhängig davon, dass die Stadt und ihre Aufgaben boomen und | |
die Steuern sprudeln. | |
Wo liegt der Schaden, wenn die Grüne Basis diesen Vertrag abnickt? Immerhin | |
kann, wer an den Tischen der Macht sitzt, einiges über | |
Hinterzimmerdiplomatie erreichen. Nur sprechen Verlauf und Ergebnis der | |
Koalitionsverhandlungen nicht dafür, dass die Grünen da erfolgreich | |
agieren. Sie werden schneller mit dem Scholz'schen Machtapparat | |
verschmelzen als man gucken kann. Eigentlich sind Rot und Grün längst | |
liiert, Trauschein hin oder her. | |
Was fehlen wird, sind die Grünen als Teil der Opposition, die mit klarer | |
Stimme für ihre Inhalte streitet. Sie werden nicht mehr identifizierbar und | |
so unattraktiv als Partei für Menschen, die in sozialen und pädagogischen | |
Berufen arbeiten. Sie hinterlassen eine Lücke, die die Linkspartei mit | |
Freuden ausfüllen wird. | |
Aber ist Rot-Grün nicht immer noch besser als Rot-Gelb? Wo doch die Gelben | |
wieder Studiengebühren wollen. Ob sich die kleine FPD damit bei Olaf Scholz | |
durchsetzt, müsste man glatt erst mal sehen. KAIJA KUTTER | |
11 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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