# taz.de -- Woher die Öko-Hennen kommen: Nicht unter freiem Himmel | |
> Die meisten Eltern von Öko-Legehennen kriegen keinen Auslauf im Grünen. | |
> Viele männliche Küken werden getötet. Die Behörden drücken beide Augen | |
> zu. | |
Bild: Ein sicherlich glückliches Huhn | |
BERLIN taz | Biohühner sind glücklicher. Sie fristen ihr Leben nicht in | |
einem engen Stall, sie trippeln im Grünen herum, picken ihre Körner draußen | |
auf dem Hof. Das jedenfalls glauben viele Verbraucher – und so schreibt es | |
ja auch die Ökoverordnung der Europäischen Union vor. Doch die Behörden in | |
Mecklenburg-Vorpommern haben nach taz-Recherchen einfach eine Ausnahme | |
gemacht: Die rund 25.000 Hühner, die für Deutschlands größten Lieferanten | |
von Öko-Legehennen-Küken die Eier produzieren, dürfen nicht unter freiem | |
Himmel herumlaufen. | |
Eigentlich klang die Gründung der neuen Biobrüterei GmbH in der Gemeinde | |
Finkenthal bei Rostock nach einer guten Nachricht: Endlich sollten die | |
meisten Bioeier von Ökolegehennen kommen, deren Elterntiere unter | |
Biobedingungen leben. Bisher nutzen die Biolegehennenhalter fast | |
ausschließlich Küken aus konventionellen Ställen, da es nicht genug | |
Ökotiere gibt. Das soll sich nun ändern: Die Biobrüterei will jährlich bis | |
zu 2,5 Millionen Ökoküken liefern – zwei Drittel des deutschen Bedarfs. | |
Die Elterntiere, die für die Finkenthaler Brüterei produzieren, bekommen | |
zwar besonders umweltfreundlich erzeugtes Biofutter. Aber neben ihrem Stall | |
hätten sie nur einen „überdachten Laufhof“, sagt Miteigentümer Friedrich | |
Behrens der taz. Jedes Huhn habe in diesem Unterstand mit | |
Maschendrahtwänden „mindestens“ 0,1 Quadratmeter Platz, so groß wie eine | |
Bodenfliese. Der Untergrund bestehe aus Beton, der mit Stroh eingestreut | |
sei. | |
## Freigelände mit Vegetationsdecke | |
Die EU-Bio-Verordnung verlangt aus Tierschutzgründen aber: „Geflügel muss | |
während mindestens eines Drittels seiner Lebensdauer Zugang zu Freigelände | |
haben.“ Dieses „muss überwiegend aus einer Vegetationsdecke bestehen“. F… | |
jede Legehenne sind dort mindestens 4 Quadratmeter vorgeschrieben. | |
Dass seine Elterntiere dennnoch keinen Grünauslauf haben, erklärt Behrens | |
mit einer behördlichen Anweisung. „Wir haben ihn vorrätig, aber dürfen sie | |
aus hygienischen Gründen da nicht reinlassen.“ | |
Aber wie kann so ein Betrieb dann überhaupt das Biosiegel erhalten? „Die | |
Anforderungen an die ökologische Elterntierhaltung sind derzeitig nicht in | |
der EG-Öko-Verordnung geregelt“, behauptet das Agrarministerium in Schwerin | |
trotz der eindeutigen Formulierungen des Regelwerks. | |
## Angst vor Ansteckung | |
Die Ausnahme von der Auslaufpflicht rechtfertigt die Behörde mit den | |
Hygieneanforderungen, die Tierseuchen verhindern sollen: Krankheiten aus | |
Elterntierställen können sich besonders schnell verbreiten, da infizierte | |
Eier an andere Höfe verkauft werden. Wenn die Hühner draußen gehalten | |
werden, steigt das Risiko, dass etwa Wildvögel sie anstecken. Dass es auch | |
billiger und einfacher ist, auf Flächen für einen Grünauslauf zu | |
verzichten, erwähnt das Ministerium nicht. | |
Auch im brandenburgischen Löpten soll ein neuer großer Stall für | |
Ökolegehennen entstehen. Matthias Rackwitz von der Bürgerinitiative gegen | |
den geplanten Massentierhaltungsbetrieb hält das Seuchenschutzargument nur | |
für vorgeschoben. Tatsächlich steht – etwa in der Salmonellenverordnung – | |
kein Grünauslaufverbot. Und anderswo – zum Beispiel in der Schweiz – könn… | |
Bio-Elterntiere sehr wohl auf die Wiese. | |
## Die Schweiz kann’s besser | |
Allerdings leben in dem Alpenland höchstens 2.000 Hühner unter einem Dach, | |
nicht im Schnitt 5.000 wie in den fünf Stallgebäuden für die deutsche | |
Biobrüterei. Deshalb beliefern Schweizer Legehennenerzeuger weniger | |
Betriebe, sodass das Seuchenrisiko geringer ist. Derart kleinteilig sollte | |
auch die deutsche Öko-Elterntierhaltung sein, sagt Rackwitz. | |
Die Bioverordnung verlangt auch, dass die Branche „hohe Tierschutzstandards | |
beachtet“. Doch männliche Küken der Biobrüterei werden kurz nach dem | |
Schlüpfen getötet und als Futter für Zootiere verkauft – so wie es in der | |
konventionellen Branche üblich ist. Denn die verwendete Rasse des | |
französischen Zuchtkonzerns Novogen ist so einseitig auf eine hohe | |
Legeleistung gezüchtet, dass sie zu langsam Fleisch ansetzt, um gemästet zu | |
werden. Und Hähne legen bekanntlich keine Eier. | |
Annalina Behrens, Tochter des Biobrüterei-Eigners, ist im Unternehmen | |
zuständig für das Tierwohl. Sie sagt, dass die Firma einige Eier mit einem | |
Aufschlag verkauft. Die so erwirtschafteten zusätzlichen Einkünfte werden | |
in die Mästung männlicher Küken investiert, die damit vor der Tötung am | |
ersten Lebenstag bewahrt werden: „Im Jahr 2013 konnten so gut 30.000 Hähne | |
aufgezogen werden“. | |
## Bio-Agrarindustrie | |
Das ist aber extrem wenig im Vergleich zu den insgesamt 300.000 bis 400.000 | |
Legehennen, die die Betriebe von Behrens’ Erzeugerzusammenschluss | |
Fürstenhof GmbH halten. | |
Problematisch dürften viele Bio-Konsumenten auch finden, dass die neue | |
Brüterei Kritikern als Teil der „Agrarindustrie“ gilt. Die zehn | |
Fürstenhof-Betriebe produzieren laut Behrens ein Zehntel aller deutschen | |
Bioeier – zum Beispiel für die Supermarktketten Alnatura, Edeka und Rewe. | |
Bis zu 20.000 Tiere leben unter einem Dach. | |
Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft | |
fürchtet, dass die Brüterei eine „agrarindustrielle Schaltstelle im | |
Biosektor“ mit einer „fast monopolartigen Marktstellung“ werden könnte. | |
Schließlich hat die Brüterei kaum Konkurrenten, sodass | |
Bio-Legehennen-Halter dazu gezwungen werden könnten, Küken bei ihr zu | |
kaufen. | |
So ein Monopol könnte verhindern, dass kleine Unternehmen mit höheren | |
Tierschutzstandards in den Markt einsteigen. Es drohe, so Niemann, eine | |
„verdrängende Dominanz von ,Agrarindustrie-Bio‘ über das ,Bauernhof-Bio�… | |
nicht nur in der Geflügelhaltung, sondern nun auch in der ,Bio‘-Züchtung, | |
,Bio‘-Vermehrung und in weiteren Produktbereichen“. Behrens dagegen | |
argumentiert, dass irgendwann noch viel größere Konzerne der Brüterei | |
Konkurrenz machen würden. Tatsächlich plant der weltweit größte | |
Legehennenzüchter, die Lohmann-Gruppe, ab kommenden Frühjahr ebenfalls | |
Bruteier mit Bio-Siegel zu liefern. „Ob es einen Grünauslauf geben wird, | |
ist noch unklar“, sagte ein Firmensprecher der taz. | |
## Hier legen, da ausbrüten | |
Aber Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) | |
hatte eh noch nie ein Problem mit agrarindustriellen Strukturen. In keinem | |
anderen Bundesland sind die Betriebe so riesig und so wenig bäuerlich wie | |
hier. | |
Backhaus’ niedersächsischer Amtskollege Christian Meyer (Grüne) ist da | |
anders gepolt. Er verlangte von Mecklenburg, mehr Grünauslauf für die Tiere | |
vorzuschreiben. Sein Druckmittel: Die Biobrüterei lässt die in Mecklenburg | |
gelegten Eier in Niedersachsen ausbrüten. Das geht aber nur, solange Meyer | |
deren Ökozertifikat anerkennt. | |
Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Ländern: „Biomast- und | |
Biolegehennen-Elterntiere, die nach dem 31. Oktober 2015 aufgestallt | |
werden, ist künftig auch Grünauslauf zu gewähren“, teilt das Ministerium in | |
Hannover mit. | |
## Unter Vorbehalt der Revision | |
Ob es je dazu kommt, ist unsicher. Das Ministerium in Schwerin bestätigt | |
nur, dass bis „November 2015 Bedingungen für einen Auslauf formuliert | |
werden“. Das stehe dann auch noch „unter dem Vorbehalt der Revision der | |
EU-Öko-Verordnung“, von der niemand weiß, was sie bringt. | |
Doch selbst wenn Niedersachsen sich durchsetzt: „Ein ganzes Jahr soll die | |
EU-Ökoverordnung in Sachen Grünauslauf einfach auf den Kopf gestellt | |
werden“, sagt Aktivist Rackwitz. | |
Zudem kritisiert er, dass auch das Ministerium in Hannover die | |
Kükentötungen in der Biobrüterei zulässt. Auf entsprechende Fragen weicht | |
die Behörde aus. | |
4 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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