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# taz.de -- Zukunft der Warenhäuser: Nach dem Kaufhaus-Kapitalismus
> Umbau statt Abriss? Darüber wird gerade viel diskutiert, insbesondere bei
> leer stehenden Kaufhäusern in den Innenstädten.
Bild: Retrolaternen und Barbecue – so stellen sich Investor MREI und Architek…
An der Karl-Marx-Straße 101 in Berlin-Neukölln eröffnet in diesem Sommer
ein bemerkenswerter Kaufhausumbau. Allerdings ist es nicht die Architektur,
die das Projekt bemerkenswert macht. Die stammt vom Berliner Büro von Max
Dudler, der schon seit den 1990er Jahren für seine strengen geometrischen
Rasterfassaden bekannt ist. Sie tauchen nun auch in der Karl-Marx-Straße
auf, wo Dudlers Büro dem Rohbau eines einstigen Kaufhauses eine dicke weiße
Lochfassade mit tiefen Fensterausschnitten überstülpte.
Und rückseitig wandelte er ein abweisendes Beton-Parkhaus durch eine glatte
Fassade aus schwarzem Metall und Panoramafenstern in ein transparentes
Bürogebäude um. Das ist in Sachen Architektur erst mal okay. Bemerkenswert
ist an „Kalle“, wie der Investor sein Projekt im hemdsärmeligen
Marketingsprech nennt, dass an diesem Umbau gleich mehrere Diskussionen aus
Wirtschaft, Städtebau und Architektur sichtbar werden.
Da ist die Gentrifizierung in Nordneukölln, wo nun neben Imbissen und Läden
für Billigelektronik ein Kalle mit 26.000 Quadratmetern Bürofläche für
Start-ups und Agenturen entsteht. Da ist eine viel CO2 emittierende
Baubranche, die nachhaltiger werden muss.
Und da ist die Sinnkrise der großen Kaufhausketten, für die der [1][jetzige
Abzug der Galeries Lafayette] aus Berlin oder die dritte Insolvenz von René
Benkos Signa-Gruppe nur einige von vielen Symptomen sind. In vielen
deutschen Städten fragt man sich gerade, was mit den alten Kaufhauskolossen
noch anzufangen ist, [2][die wie aussterbende Dinosaurier in den Zentren
herumstehen].
## Resterampe des Kapitalismus
Als der österreichische Investor S Immo das heutige Kalle 2016 kaufte,
hatte es bereits fünf Jahre leer gestanden. Zuletzt hatte nicht einmal mehr
der Karstadt-Schnäppchenmarkt funktioniert, eine echte Resterampe des
Kaufhauskapitalismus. S Immo plante rasch ein „Kaufhaus der Zukunft“ mit
Pop-up-Stores, Veranstaltungsbühne, Fitnessstudio und viel flexibel
einteilbarer Bürofläche.
MREI, der jetzige Entwickler des Kalle, sprach dann von einem
„Kiez-Kreativkosmos“, den man anlocken wolle. Dafür baute MREI eine
Markthalle im Erdgeschoss mit Treffpunkt unter einem großen Glasdach,
dahinter im ehemaligen Parkhaus ein Live-Musik-Club für 600 Gäste, der vom
Berliner Jazz-Club ZigZag gemeinsam mit dem britischen Plattenlabel Rough
Trade betrieben wird.
Rough Trade, das ist Kalles Mieter-Aushängeschild mit einer gewissen Street
Credibility. Das Label, das einst für Alternative- und Independent-Musik
stand, eröffnet hier einen Plattenladen ausschließlich mit Vinyl und einem
Retro-Passfoto-Automaten für die Szenebewussten mit etwas Geld in der
Tasche. Auf solch eine Zielgruppe schielt der Investor auch mit dem Konzept
für Kalles Dachterrasse: Die wird ähnlich wie ein selbst organisierter
Kulturdachgarten für elektronische Musik, der als „Klunkerkranich“ schon
seit 2013 erfolgreich das oberste Parkdeck eines Einkaufszentrums bespielt,
keinen Steinwurf vom Kalle entfernt.
Aber während dort jener gut verkäufliche Berliner Hedonismus herrscht, bei
dem alles ein bisschen selbst gebastelt aussieht, wird die Dachterrasse vom
Kalle eine durchkommerzialisierte Kulisse: Unter einer transparenten
Struktur aus Gewächshausdächern soll ein „Asian Barbeque“ betrieben werde…
am hinteren Gebäuderand wartet ein Infinity Pool. Hans Stier, Partner bei
MREI, spricht beim Baustellenrundgang von einer erwünschten
„instagramability“. Denn zum tatsächlichen Schwimmen ist der Pool weder
tief noch lang genug.
## Euphemismus der Investoren
Dachterrasse und Markthalle sollen „öffentlich zugänglich“ sein, so Stier.
Das ist ein beliebter Euphemismus bei Investoren. Klingt fast wie
„öffentlich“, als handele es sich um einen städtischen Park und als würde
letztlich nicht doch das Portemonnaie entscheiden, wer hier überhaupt
hinkommt. 200 Millionen Euro hat MREI in den Umbau investiert (zum
Vergleich: der Umbau der Galeries Lafayette zum Bibliothekstandort soll
500 Millionen kosten), die Flächen seien bereits zu 70 Prozent vergeben.
Das Projekt scheint tragfähig – was auch viel über den Stand der
Gentrifizierung in Neukölln aussagt.
Noch vor wenigen Jahren wäre ein solches Bestandsgebäude mit seinem
deprimierenden Betonparkhaus umstandslos abgerissen worden. Jetzt sieht das
anders aus. Investoren stehen auf Umnutzung, Nachhaltigkeit ist ein
Verkaufsfaktor. Auch deswegen ließen die Investoren von Max Dudlers
Architekturbüro ein Konzept erstellen, in dem die Tragstruktur des Altbaus
bewahrt bleibt.
Nur die Fassaden wurden entfernt und die betone Spiralrampe für das
Parkhaus. An deren Stelle setzten die Architekt*innen ein aufwendig
konstruiertes Glasdach über dem „Marktplatz“ ein. Hoch darüber werden die
Dachterrassen von Kauf- und Parkhaus durch eine schmale Brücke mit
Glasbrüstungen verbunden – sieht auch ziemlich instagramable aus.
Architektonisch ist das alles gut gemacht, mit einer von Dudler bekannten
Ausführungsqualität. Vermutlich ist es auch ökonomisch und ökologisch
sinnvoll. Zahlen dazu veröffentlicht der Investor jedoch nicht. Man soll
seiner Erzählung lieber so glauben, wie man auch noch vor wenigen Jahren
der Argumentation glauben sollte, Abriss und energieeffizienter Ersatzbau
seien ökologisch sinnvoll.
## Lösungen für die Zukunft?
Architekt Dudler jedenfalls ist überzeugt: „Das ist die Zukunft“, lässt er
sich in einer Pressemitteilung zitieren. Jetzt sei der Gesetzgeber am Zug,
„das Normenwerk für Umbauten zu lockern“, damit es für Investoren noch
attraktiver werde, den Gebäudebestand zu erhalten.
Die Schließung von Kaufhäusern muss keine schlechte Nachricht bedeuten.
Steht man auf der Dachterrasse des Kalle, fragt man sich jedoch: Ist es
wirklich das, was die Stadt braucht? Diese Mischung aus Läden, Gastronomie,
Büros, Fitness-Studios und Dachgärten gehört mittlerweile zum
Standardrepertoire von Kaufhausumbauten privater Investoren. Es lässt sich
bei den Arkaden am Potsdamer Platz in Berlin seit ihrem Umbau zu „The
Playce“, beim N30 in Leipzig oder beim alten Kaufhof am Stachus in München
finden.
Spannender wird es, wenn Kaufhäuser von Städten oder Kommunen übernommen
werden. Die Stadt Chemnitz etwa ist schon seit 2001 im Besitz von zwei
historischen Kaufhäusern in ihrem Zentrum, darunter eine Ikone der
klassischen Moderne mit wechselhafter Geschichte.
1930 eröffnete das dynamisch geschwungene „Schocken“, [3][das der 1933 in
die Emigration gezwungene Erich Mendelsohn] für den jüdischen Kaufmann und
ebenfalls später ausgewanderten Salman Schocken plante. Während des NS
enteignet, diente der Bau auch zu DDR-Zeiten als Warenhaus. Nach seiner
Sanierung befindet sich nun das Sächsische Landesmuseum für Archäologie
darin.
## Vorbilder gibt es
Im nordrhein-westfälischen Neuss baute die Stadt erfolgreich im ehemaligen
Horten ein Kino, ein Theater, ein paar Läden sowie städtische
Dienstleistungen ein. In Braunschweig möchte eine lokale
Bürger*inneninitiative das leer stehende Karstadt zum „Haus der
Musik“ machen und einen Konzertsaal in seine Betonstruktur schneiden
lassen.
Wenn der Berliner Kultursenator Joe Chialo also aktuell die Pläne für den
Einzug der Berliner Landesbibliothek in die Galeries Lafayette fleißig
bewirbt, dann ist das kein utopisches Projekt – die Prototypen für eine
solche Umnutzung gibt es schon seit Jahren. Für das Kalle kommen solche
Ideen zu spät. Aber die nächsten beiden Kaufhäuser liegen nicht weit
entfernt.
Seit 2012 steht das alte C&A-Kaufhaus leer. Es gehört einem privaten
Investor, der allerdings nichts investiert, das Haus stattdessen verfallen
lässt, aber drei Jahre lang als Unterkunft für Geflüchtete mit Gewinn ans
Land Berlin vermietete. Und am Hermannplatz dümpelt das große
[4][Karstadt-Gebäude durch die Signa-Krise.] Noch vor wenigen Jahren wollte
Pleitier René Benko das Gebäude abreißen und nach Entwürfen von David
Chipperfield dem expressionistischen Vorkriegsbau, dem größten
Kaufhausgebäude der Weimarer Republik, angleichen.
Das wurde als „Stadtreparatur“ verkauft, hätte für Signa aber vor allem
mehr Fläche für Handel und Eigentumswohnungen bedeutet. Anwohner*innen
protestieren bis heute gegen die Pläne. Denn trotz Signa-Insolvenz wird ein
entsprechender Bebauungsplan wohl bald bewilligt.
Offenbar hofft man in Berlin auf einen neuen Investor für die megalomanen,
eigentlich obsoleten Pläne. Unter kommunaler Trägerschaft könnte man sich
eine bessere Zukunft für das Gebäude als Bildungs- oder Kulturzentrum
leicht vorstellen. Dafür sind bundesweit bereits Vorbilder zu finden. Man
muss sie nur sehen wollen.
23 Jul 2024
## LINKS
[1] /Zukunft-der-Berliner-Zentralbibliothek/!6023543
[2] /Kunstschau-in-vier-Ruhrgebietsstaedten/!5930131
[3] /Buch-ueber-Zionismus-und-Kuenste/!6007766
[4] /Signa-Pleite-in-Berlin/!5981182
## AUTOREN
Florian Heilmeyer
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Stadtplanung
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