# taz.de -- Wohnungskrise in den Städten: Geht doch zelten! | |
> Bauministerin Klara Geywitz (SPD) meint, sie hat eine Lösung für den | |
> stockenden Wohnungsbau gefunden. Dabei ist es eine Kapitulation. | |
Bild: Obdachlose zelten an der Schillingbrücke. Gegenüber Investorenprojekte … | |
Klara Geywitz macht die Marie-Antoinette. Die SPD-Politikerin und | |
Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen der BRD benimmt sich | |
gerade genauso ahnungslos wie [1][die verhasste französische Königin], die | |
1793 von den Revolutionären als Verkörperung der Dekadenz des Ancien Régime | |
geköpft wurde. | |
Um die Entfremdung zwischen den ausschweifend luxuriös lebenden Monarchen | |
und der hungernden Bevölkerung zu veranschaulichen, legte man ihr den | |
berühmten Satz in den Mund: „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch | |
Kuchen essen.“ | |
Ähnlich ahnungslos über die Zustände in Deutschland scheint Ministerin | |
Geywitz. Für die verzweifelt eine Wohnung suchenden Bürger in Großstädten | |
und Ballungsräumen hat sie jetzt folgende überraschende Lösung | |
vorgeschlagen: Umziehen. Und zwar aufs Land. | |
„Gerade in kleinen und mittelgroßen Städten ist das Potenzial groß, weil es | |
dort auch Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte gibt“, sagte die | |
SPD-Politikerin [2][in einem Interview.] | |
Eine kreative Lösung | |
Wer also keine bezahlbare Wohnung mehr dort findet, wo er gerne leben | |
würde, dem kann die Politik jetzt auch nicht mehr helfen. In Deutschland | |
heißt die Lösung der städtischen Wohnungsnot ab sofort: Geht doch zelten! | |
Jedenfalls fast. „Homeoffice und Digitalisierung bieten inzwischen ganz | |
neue Möglichkeiten für das Leben und Arbeiten im ländlichen Raum. Und diese | |
wollen wir stärken“, meint Geywitz. | |
Sicher, es ist der Job einer Stadtentwicklungsministerin, kreative Lösungen | |
für die Landflucht zu entwickeln. Und sicher ist es auch ihr Job, das Land | |
attraktiv zu machen. Aber ausgerechnet damit zu werben, dass es in | |
ländlichen Regionen die gleiche Infrastruktur wie in der Stadt gibt, kommt | |
Marie-Antoinettes Ahnungslosigkeit nahe. | |
Hat die Ministerin mal versucht, zu googeln, ob der Bedarfshalt in einer | |
Kleinstadt mehr als einmal die Woche von einem Bus angefahren wird oder ob | |
es eine Arztpraxis in einer Entfernung unter 50 Kilometern gibt? | |
Dass in ländlichen Regionen nicht nur Ärzteschwund herrscht, sondern auch | |
der Lehrermangel noch eklatanter als in Städten ist, trällern die Spatzen | |
von den verfallenden Dächern in verlassenen Gegenden, in denen nicht mal | |
mehr Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen, weil auch die längst in die | |
Städte abgehauen sind, auf der Suche nach Essen. | |
Über 100.000 Wohnungen zu wenig | |
Knapp zwei Millionen Wohnungen stehen laut Geywitz außerhalb der beliebten | |
Ballungsräume leer. | |
Ja sicher. Aber was war noch mal mit den 400.000 neuen Wohnungen, die die | |
Ampel pro Jahr neu bauen lassen wollte? 295.000 sind es 2023 gerade mal | |
gewesen, darunter lediglich 30.000 Sozialwohnungen, die eigentlich mit | |
100.000 jährlich eingeplant waren. Schuld daran, so die Ministerin: Krieg, | |
Fachkräfte- und Baumaterialmangel. | |
Geywitz’ Versuch, Leute aufs Land zu locken, wird zu Recht mit großer | |
Empörung aufgenommen. Allen voran der Hauptgeschäftsführer [3][des Städte- | |
und Gemeindebunds André Berghegger,] der den Vorstoß der Ministerin zwar | |
grundsätzlich begrüßt, sie allerdings darauf hinweist, dass dafür auf dem | |
Land erst mal gleichwertige Lebensverhältnisse geschaffen werden müssten. | |
Und dass dies im Übrigen kein Sonderwunsch sei, sondern so im Grundgesetz | |
stehe. | |
Wenn das notwendige Geld für den Ausbau der Infrastruktur bereitgestellt | |
würde, dann, so Berghegger, ließen sich sicher auch Menschen zum Umzug aufs | |
Land bewegen. | |
Geywitz macht es sich einfach und lässt die Möglichkeiten, in den | |
Großstädten bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, links liegen. Allein in | |
Berlin stehen fünf Prozent aller Büroräume seit Jahren leer, für die sieben | |
größten Städte Deutschlands wird 2026 ein Leerstand von acht Prozent | |
prognostiziert. Die Umwandlung ist kostspielig und kann nicht sämtlichen | |
Wohnungsbedarf kompensieren. Und trotzdem wäre es mal wirklich ein Vorstoß | |
einer Stadtentwicklungsministerin, legte sie einen konkreten Plan für die | |
Umwandlung der trostlos leer stehenden Kauf- und Bürohäuser in den | |
Innenstädten der Republik vor. | |
Stattdessen will Geywitz bis Ende des Jahres eine „Strategie“ vorlegen, in | |
der sie erläutert, wie sie sich die Umzugspläne für Millionen Menschen | |
vorstellt. Nicht auszuschließen, dass die Ministerin dann im kommenden Jahr | |
erklärt, dass ihre Pläne gut waren, aber an mangelnden Umzugsunternehmen | |
gescheitert sind. | |
29 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Marie-Antoinette-bei-Disney/!5940084 | |
[2] https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/bauen-mieten-wohnen-so-… | |
[3] https://www.morgenpost.de/wirtschaft/article406892534/wohnung-unbezahlbar-s… | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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