# taz.de -- Betrug bei Wohnungssuche: Mieten, kaufen, verzweifeln | |
> Der Wohnraum in Deutschland ist knapp. Das nutzen Betrüger aus und | |
> fälschen Wohnungsanzeigen. Die Anzahl an Betrugsfällen nimmt drastisch | |
> zu. | |
Bild: Bei einer Massenbesichtigung in Berlin ist warten angesagt – doch nicht… | |
Wer schon einmal auf [1][Wohnungssuche] war, kennt das Gefühl der | |
Frustration. Stundenlanges Scrollen auf Immobilienportalen, Dutzende Mails, | |
Massenbesichtigungen, und am Ende heißt es: „Wir haben uns für jemand | |
anderen entschieden.“ | |
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie angespannt die Situation auf dem | |
deutschen Wohnungsmarkt ist. In Deutschland fehlen laut einer [2][Studie | |
des Pestel-Instituts] aus dem Jahr 2023 [3][rund 700.000 Wohnungen]. Das | |
Forschungsinstitut beschäftigt sich unter anderem mit Berechnungen zum | |
Wohnungsmarkt für Kommunen, Unternehmen und Verbände. | |
Das Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, | |
wurde 2023 bereits spektakulär verfehlt: Lediglich 295.000 neue Wohnungen | |
entstanden Kein Wunder also, dass laut einer Befragung der | |
Immobilienplattform Immoscout24 jede:r zweite Wohnungssuchende über ein | |
Jahr mit der Suche verbringt. | |
Diese Situation nutzen Betrüger:innen immer häufiger aus. Karolina | |
Wojtal, Co-Leiterin und Pressesprecherin des Europäischen | |
Verbraucherzentrums Deutschland (EVZ), sagt: „Wir gehen davon aus, dass | |
jährlich Zehntausende Menschen Opfer von Betrug auf dem Wohnungsmarkt | |
werden.“ Die Betrugsmaschen sind vielfältig. Betrüger:innen geben sich | |
etwa als Vermieter:innen aus und verlangen Kaution in Vorkasse, | |
versprechen Mieter:innen ein Sonderkaufrecht gegen Gebühren oder drängen | |
sie dazu, ein Kautionskonto anzulegen, über das sie die volle Kontrolle | |
haben. Wohnungssuchende werden um hohe Geldsummen betrogen – teilweise geht | |
es auch um Identitätsdiebstahl. | |
## LKA schlägt Alarm | |
Karolina Wojtal sagt, durch die steigende Beliebtheit von | |
Immobilienplattformen habe sich das Problem verstetigt. Doch die | |
eigentliche Ursache sei, dass Verbraucher:innen immer schwerer an | |
bezahlbaren Wohnraum kämen. In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden | |
Betrugsdelikte auf dem Wohnungsmarkt nicht erfasst, auch ein Großteil der | |
Landeskriminalämter (LKA) untersucht den Straftatbestand bisher nicht | |
gesondert. | |
Trotzdem vermelden nahezu alle LKAs auf taz-Anfrage: Die Problematik spitze | |
sich zu. So schreibt etwa das LKA Rheinland-Pfalz, dass „in den letzten | |
Jahren analog zur gestiegenen Problematik des,umkämpften' Immobilienmarktes | |
vermehrt entsprechende Betrugsfälle registriert wurden.“ | |
Auch Sebastian Rodriguez weiß vom umkämpften Immobilienmarkt zu berichten. | |
Der 48-Jährige ist groß und kräftig, trägt einen Dreitagebart, Kaki-Hosen | |
und ein weißes Longsleeve. Er spricht schnell, aber entspannt. | |
Der freiberufliche Pianist ist in Buenos Aires geboren und lebt seit über | |
30 Jahren in Nordrhein-Westfalen. Mehr als drei Monate war Rodriguez im | |
vergangenen Jahr im Kölner Umland auf Wohnungssuche. Aus privaten Gründen | |
hatte er seine vorherige Wohnung schnell verlassen müssen. Rodriguez | |
schlief auf Sofas von Bekannten und Freunden. | |
## Belastende Suche | |
Neben seiner Arbeit als Pianist habe er täglich mehrere Stunden auf | |
Portalen wie Immoscout24, Immowelt oder kleinanzeigen.de verbracht, um sich | |
eine neue Bleibe zu suchen, erzählt er. „Das war wie ein Job neben meinem | |
richtigen Job“, sagt Rodriguez – eine massive zusätzliche Belastung für d… | |
Musiker. Bis er Anfang 2023 eine Mail bekommen habe: eine Einladung zur | |
Wohnungsbesichtigung in Kerpen, einer Kleinstadt rund 30 Autominuten von | |
Köln entfernt. | |
„Die Monate vorher waren kräftezehrend“, erzählt er. Endlich habe er ein | |
wenig aufatmen können. „Ich habe zwar viele Freunde, bei denen ich schlafen | |
konnte, trotzdem konnte ich irgendwann nicht mehr.“ | |
Mit seiner Situation ist er nicht allein. „Oft befinden sich | |
Wohnungssuchende in äußerst prekären Situationen“, sagt EVZ-Sprecherin | |
Wojtal. Besonders Studierende, Berufseinsteiger:innen oder Menschen | |
mit wenig Orts- oder Sprachkenntnis stünden unter Druck, schnell eine | |
Wohnung zu finden. Diese Dringlichkeit führe dazu, dass sie anfälliger | |
wären, Opfer von Betrug zu werden. „Das Privileg zehn Tage in Ruhe und | |
gemeinsam mit einem Makler eine Wohnung zu suchen, haben die Wenigsten“, | |
sagt Wojtal. | |
Der Kontakt mit dem vermeintlichen Vermieter, erzählt Rodriguez, sei | |
professionell und unkompliziert abgelaufen. Das Einzige, was ihm | |
aufgefallen sei: Der Mann, der sich „Lars Lundin“ genannt habe, antwortete | |
oft nachts auf Mails. Die leisen Zweifel von Rodriguez räumte „Lars Lundin“ | |
bei der Besichtigung der kleinen, frisch renovierten Wohnung in Kerpen aus. | |
## Seriöser Anschein | |
„Lundin“, den Rodriguez als großen Anzugträger mit blonden Haaren und | |
schwedischen Akzent beschreibt, sei überaus freundlich gewesen und habe | |
seriös gewirkt. „Er hat mir erzählt, er sei Ingenieur für Solaranlagen, | |
komme aus Schweden, habe Kinder und wolle mit seiner Familie zurück in | |
seine Heimat.“ Bei der Besichtigung habe eine entspannte Plauderatmosphäre | |
geherrscht. | |
Die Landeskriminalämter warnen vor genau dieser gespielten Seriosität. So | |
schreibt etwa das LKA Bremen: „Wenn hervorgehoben wird, dass der Vermieter | |
einen angesehenen Beruf ausübt […], seien Sie skeptisch. Es könnte dazu | |
dienen, Vertrauen aufzubauen.“ Gleichzeitig, so das LKA Bremen, sei auch | |
vor dem Gegenteil Vorsicht geboten: Wenn Inserate Rechtschreib- und | |
Grammatikfehler enthielten, sei das ein Indiz für die mögliche Fälschung | |
der Anzeige. | |
Sollten Wohnungssuchende also misstrauisch werden, wenn der vermeintliche | |
Vermieter nicht seriös genug wirkt? Oder eben zu seriös? Wojtal betont, wie | |
schwierig es geworden sei, sich vor Betrug auf dem Wohnungsmarkt zu | |
schützen: „Die Tipps, die wir Verbraucher:innen noch vor einigen Jahren | |
gegeben haben, sind inzwischen Schall und Rauch.“ Die Qualität von | |
Fake-Anzeigen sei massiv gestiegen, außerdem würden sich die Täter:innen | |
immer mehr Mühe geben, einen vertrauensvollen Eindruck zu erwecken. | |
Sebastian Rodriguez bekam, wie er berichtet, noch vor der Besichtigung, | |
eine weitere Mail von „Lars Lundin“ zugesandt. Darin enthalten waren | |
Details zur Wohnung und ein Airbnb-Link – der sich später als Duplikat der | |
echten Website herausstellte. Die Bilder der Wohnung, die Rodriguez über | |
den Link abrufen konnte, zeigten gemütlich eingerichtete Zimmer und einen | |
Grundriss. Sogar ein Bild von seinem Ausweis schickte „Lars Lundin“ mit – | |
ebenfalls gefälscht, wie später klar wird. Auf Rodriguez wirkten Link und | |
Bilder unbedenklich. | |
## Vertragsabwicklung über Airbnb | |
Er erzählt, er sei überrascht, aber vor allem extrem erleichtert gewesen, | |
als ihm die 1,5- Zimmer-Wohnung direkt nach der Besichtigung angeboten | |
worden sei, ohne einen Gehaltsnachweis vorweisen zu müssen. „Als | |
selbstständiger Musiker ist es manchmal nicht leicht, ein regelmäßiges | |
Einkommen nachzuweisen“, sagt er. | |
Der vermeintliche Vermieter habe gesagt, dass die Vertragsabwicklung über | |
Airbnb laufe und Rodriguez die Kaution in Höhe von 1.300 Euro sowie eine | |
Monatsmiete in Höhe von 450 Euro überweisen solle, um den Schlüssel | |
zugesandt zu bekommen. Die Miete, erzählt Rodriguez, sei zwar | |
vergleichsweise günstig gewesen. Aber nicht so niedrig, dass er | |
misstrauisch geworden wäre. | |
Karolina Wojtal erklärt, dass es inzwischen keine besonders preiswerten | |
Angebote mehr brauche, um Verbraucher:innen zu einer | |
Vertragsunterzeichnung zu bringen. Durch den akuten Mangel an bezahlbarem | |
Wohnraum reiche allein die Verfügbarkeit einer Wohnung aus, um | |
Wohnungssuchende zu Betrugsopfern zu machen. Am Tag nach der Besichtigung, | |
erzählt Sebastian Rodriguez, sei er zur Bank gegangen und habe 1.750 Euro | |
auf ein italienisches Konto überwiesen. | |
„Noch am selben Abend habe ich ein komisches Gefühl bekommen und bei der | |
Bank angerufen, um die Überweisung zu stoppen. Doch es war zu spät.“ Das | |
Geld sei weg gewesen, „Lars Lundin“ auch – ein Schlüssel kam nie bei | |
Rodriguez an. Auch eine Anzeige bei der Polizei blieb ohne Ergebnis. „Zu | |
der Zeit hatte ich viele Aufträge, habe Konzerte gespielt und | |
unterrichtet“, sagt Rodriguez. | |
## Plattformen überprüfen Anzeigen nicht | |
So habe der Betrug keine existenzielle Bedrohung dargestellt. | |
EVZ-Sprecherin Wojtal sagt, es sei wichtig, Verbraucher:innen darüber | |
zu informieren, dass Plattformen die Annoncen, die auf ihnen geschaltet | |
würden, nicht auf Echtheit prüften. Um den Betrüger:innen etwas | |
entgegenzusetzen, sei es außerdem denkbar, Domaininhaber:innen | |
genauer zu kontrollieren. Gleichzeitig bleibt das Grundproblem bestehen: In | |
Deutschland gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum. | |
Sebastian Rodriguez hatte Glück: Nur wenige Wochen nachdem er Opfer des | |
Betruges wurde, hat er eine Wohnung gefunden – über den Kontakt eines | |
Kollegen. Jetzt lebt er in Düren, ebenfalls nahe Köln. „Ich hoffe, dass ich | |
nie wieder ausziehen muss“, sagt er. Die Belastung, die die Wohnungssuche | |
mit sich bringe, wolle er nicht noch einmal auf sich nehmen. | |
6 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Joscha Frahm | |
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