| # taz.de -- Steigende Mieten: Warten auf das Wohngeld | |
| > Ab Januar soll das Wohngeld im Schnitt um 30 Euro erhöht werden. In | |
| > Berlin warten Empfänger*innen oft über ein halbes Jahr auf die | |
| > Bewilligung. | |
| Bild: Das Wohngeld steigt in die Höhe – die Wartezeit darauf aber auch | |
| Berlin taz | Sieben Monate hat Richard Behrend auf die Bearbeitung seines | |
| Wohngeldantrages gewartet. Ende vergangenen Jahres stellte der 54-Jährige | |
| seinen Antrag beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Trotz Bestätigung, | |
| dass alle erforderlichen Unterlagen eingereicht seien, hatte er bis Juni | |
| kein Geld erhalten. Um die Wartezeit zu überbrücken, nahm Behrend einen | |
| Kredit auf. „Aber ich habe keine weiteren Hilfen bekommen, und mein Konto | |
| war irgendwann im Minus“, erzählt er der taz. „Ich wusste nicht, was ich | |
| noch machen soll.“ | |
| Haushalte, deren Einkommen zu hoch sind, um Bürger*innengeld zu | |
| beziehen, aber nicht ausreicht, um die Mietkosten zu tragen, können unter | |
| bestimmten Voraussetzungen Wohngeld erhalten. Die Höhe liegt derzeit im | |
| Schnitt bei 370 Euro monatlich. Wie das Bundesbauministerium am Mittwoch | |
| mitteilte, hat das Bundeskabinett am Dienstag eine [1][Wohngelderhöhung] | |
| beschlossen. | |
| Damit sollen die steigenden Kosten für Miete, Energie und den täglichen | |
| Bedarf aufgefangen werden. Am 1. Januar 2025 soll es um 15 Prozent steigen, | |
| durchschnittlich um 30 Euro. Berechtigt sind laut Bauministerium im | |
| nächsten Jahr rund 1,9 Millionen Haushalte. 40 Prozent der | |
| Empfänger*innen sind Familien, rund 48 Prozent sind Rentner*innen. | |
| Das Wohngeld wird alle zwei Jahre angepasst, zuletzt im vorigen Jahr. Das | |
| Problem: Die seinerzeit verabschiedete [2][Reform „Wohngeld Plus“] führt in | |
| Berlin zu einer Überlastung der Bezirksämter und zu sehr langen | |
| Bearbeitungszeiten. Wie Richard Behrend müssen viele Menschen monatelang | |
| auf die Bearbeitung ihres Antrags warten. | |
| ## Ämter kommen nicht hinterher | |
| Zum 1. Januar 2023 war unter anderem der Berechtigtenkreis erheblich | |
| erweitert worden, indem die Einkommensgrenzen angehoben wurden. Unmittelbar | |
| vor der Reform erhielten in Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund | |
| 600.000 Haushalte Wohngeld. Mittlerweile sind es mehr als dreimal so viele. | |
| Dadurch ist die Anzahl der Wohngeldanträge enorm gestiegen. Allein in | |
| Berlin gingen in den ersten vier Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes | |
| laut Senatsverwaltung für Wohnen 14.209 neue Anträge ein – mehr als doppelt | |
| so viele wie im Januar des Vorjahres. Im Mai dieses Jahres erhielten mit | |
| über 43.000 Haushalten doppelt so viele Wohngeld wie im selben Monat vor | |
| der Reform. | |
| Die durchschnittliche Bearbeitungszeit von Wohngeldanträgen lag in Berlin | |
| im Dezember 2022 noch bei neun Wochen, wie aus einer Antwort der | |
| Senatsverwaltung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schenker | |
| hervorgeht. Wenige Monate danach lag sie bereits bei 15 Wochen. Negativer | |
| Spitzenreiter ist das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg: Hier betrug die | |
| durchschnittliche Bearbeitungszeit zwischen Juni 2023 und Mai 2024 sogar | |
| 26,8 Wochen – über ein halbes Jahr. | |
| Für Richard Behrend war das ein großes Problem. Von den 1.500 Euro, die er | |
| als Sozialassistent verdient, gehen jeden Monat 900 Euro für die Miete ab. | |
| „Und meine Frau kann nicht arbeiten, bis wir einen Kindergartenplatz für | |
| unseren jüngsten Sohn gefunden haben“, erklärt er. Etwa 600 Euro Zuschuss | |
| stehen dem 54-Jährigen für die Miete der Wohnung zu, in der er mit seiner | |
| Frau und zwei Kindern lebt. Geld, auf das er angewiesen ist, jedoch | |
| monatelang nicht bekommt. Hinzu kommt: Nach 18 Monaten muss der Antrag | |
| erneut gestellt werden, und die Warterei geht von vorne los. | |
| ## Ohne Bescheid keine Ermäßigungen | |
| Bis ihr Wohngeld bewilligt wird, warten Antragstellende nicht nur auf ihr | |
| Geld, sondern auch auf den Bescheid. Ohne diesen können sie weder das | |
| vergünstigte S-Bahn-Ticket für Menschen mit geringem Einkommen erhalten | |
| noch Freizeitangebote zum ermäßigten Preis wahrnehmen. | |
| „Auch in diesem Sommer kommen viele Wohngeldempfänger*innen in Berlin | |
| nicht ermäßigt ins Schwimmbad, weil die Bescheide auf den Ämtern nicht | |
| rechtzeitig bearbeitet werden können“, kritisiert die | |
| Landesarmutskonferenz. Sie fordert, dass Bescheide bis zur Bearbeitung von | |
| Folgeanträgen automatisch verlängert werden. | |
| Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg begründet die langen | |
| Bearbeitungszeiten gegenüber der taz mit einer Überlastung der Behörden. | |
| Die sei unter anderem auf das gleichzeitige Inkrafttreten des | |
| Wohngeld-Plus-Gesetzes und der Einführung des Bürger*innengeldes | |
| zurückzuführen. | |
| Dabei hatte der Senat den Bezirken 160 zusätzliche Stellen zur Bearbeitung | |
| der Wohngeldanträge zugesagt. Doch ein Großteil davon wurde erst nach | |
| Inkrafttreten der Reform ausgeschrieben und besetzt – wenn überhaupt. | |
| ## Anträge unnötig kompliziert | |
| Für den wohnungspolitischen Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, | |
| Niklas Schenker, ist der Bearbeitungsstau in den Bezirksämtern hausgemacht. | |
| „Für Senat und Bezirke war es absehbar, dass durch die Wohngeldreform | |
| deutlich mehr Menschen Anträge stellen würden“, so Schenker zur taz. | |
| „Dennoch wurden keine ausreichenden Vorbereitungen getroffen.“ | |
| Schenker fordert, die offenen Stellen in den Bezirken zügig zu besetzen, um | |
| der Überlastung in den Wohngeldstellen entgegenzuwirken. Außerdem seien | |
| Antragstellung und -bearbeitung unnötig kompliziert. Der Linken-Politiker | |
| plädiert nicht nur für eine Entbürokratisierung des Wohngeldverfahrens, | |
| sondern auch für die Einführung mehrsprachiger Anträge in vereinfachter | |
| Sprache. | |
| Anna Nowak* arbeitet in einer Sozialberatungsstelle in Kreuzberg. Einige | |
| ihrer Klient*innen würden seit über acht Monaten auf die Bearbeitung | |
| ihres Wohngeldantrages warten, erzählt sie. Es brauche daher dringend eine | |
| Vereinfachung des Antragsprozesses. „Das Wohngeld muss ständig neu | |
| berechnet werden, sobald das Einkommen sich ändert. Dann müssen Unterlagen | |
| nachgereicht werden.“ Stattdessen könnte man einen Zeitraum festlegen, in | |
| dem das Einkommen betrachtet wird, ähnlich wie beim Kinderzuschlag. | |
| In dringenden Fällen können Betroffene parallel zum Wohngeldantrag einen | |
| Antrag auf Bürger*innengeld stellen, um die Zeit bis zur Bewilligung zu | |
| überbrücken. Das sei jedoch ein kompliziertes Verfahren, da Bürgergeld und | |
| Wohngeld nicht gleichzeitig bezogen werden dürfen, so Nowak. | |
| *Name geändert | |
| 14 Aug 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wohngeld-soll-steigen/!6024731 | |
| [2] /Bundestag-beschliesst-Wohngeld-Plus/!5889318 | |
| ## AUTOREN | |
| Clara Zink | |
| ## TAGS | |
| Bezirksamt | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Mieten | |
| Wohnen | |
| Inflation | |
| Sozialpolitik | |
| Wohngeld | |
| Grüne Berlin | |
| Wohnungsmangel | |
| Christian Lindner | |
| Volkswirtschaft | |
| Klara Geywitz | |
| Wohngeld | |
| Klara Geywitz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bürokratie in Berlin: Wachsender Rückstau bei Wohngeldanträgen | |
| Berlins Bezirke kommen beim Wohngeld kaum hinterher. Teils brauchen sie ein | |
| halbes Jahr, um einen Antrag zu bearbeiten. Besserung ist nicht in Sicht. | |
| Betrug bei Wohnungssuche: Mieten, kaufen, verzweifeln | |
| Der Wohnraum in Deutschland ist knapp. Das nutzen Betrüger aus und fälschen | |
| Wohnungsanzeigen. Die Anzahl an Betrugsfällen nimmt drastisch zu. | |
| Alleingang des Finanzministers: Lindner will Bürgergeld kürzen | |
| Pauschalen statt individuellem Bürgergeld und mehr Druck auf ukrainische | |
| Geflüchtete? Laut Lindner könnte das einige Milliarden Euro sparen. | |
| Inflationszahlen für August: Preise steigen nur noch leicht | |
| Im August schwächt sich die Inflation in Deutschland deutlich ab. Sind die | |
| Preisschocks der vergangenen Jahre vorüber? | |
| Umsetzung der Wohngeldreform: Im Amt stapeln sich die Akten | |
| Bundesbauministerin Klara Geywitz besucht das Wohnungsamt in Berlin-Pankow | |
| und fragt: Klappt das mit der Umsetzung der Wohngeldreform? | |
| Bundestag beschließt Wohngeld Plus: Mehr Wohngeld, mehr Bürokratie | |
| Bundestag verabschiedet deutliche Erhöhung des Wohngeldes: Union | |
| kritisiert, dass die Kommunen überlastet werden. | |
| Bündnis für bezahlbaren Wohnraum: 187 Maßnahmen gegen Wohnungsnot | |
| Bündnis für bezahlbaren Wohnraum stellt Vorschläge gegen die Wohnungsnot | |
| vor. Linke kritisiert: Mietenkrise wird nicht grundlegend angepackt. |