# taz.de -- Ausstellung über Salman Schocken: Das Vermächtnis des Warenhausk�… | |
> Das Jüdische Museum Berlin widmet sich in einer Sonderausstellung dem | |
> Werk von Salman Schocken. Er betrieb Kaufhäuser und verlegte Bücher. | |
Bild: Salman Schocken ließ seine Kaufhäuser im modernen Stil der neuen Sachli… | |
Die Vitrine hütet einen früher alltäglichen Gegenstand. Es handelt sich um | |
einen schneeweißen Stehkragen aus Leinen, hergestellt von der Firma | |
Grünfeld. Da findet sich auch eine grün-schwarze Hutschachtel aus dem | |
Warenangebot von N. Israel, weiterhin liegen da zwei Teelöffel, eine | |
Blechdose für Bonbons und seidene Taschentücher. Es sind zweifellos Waren | |
hoher Qualität, wenn auch etwas aus der Zeit gefallen. Das passt für diese | |
Schau im Jüdischen Museum Berlin, denn es geht um den jüdischen | |
Kaufhausmagnaten Salman Schocken, um seine Warenhäuser – und um Literatur. | |
Schocken (1877–1959) gelang in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts | |
der Aufbau eines der größten Warenhauskonzerne im Deutschen Reich. Ein | |
langes Blechschild gibt davon in der Schau einen Eindruck. Da sind | |
sämtliche sächsischen Filialen des Konzerns aufgezählt: „Zwickau, Chemnitz, | |
Freiberg, Aue, Meissen, Crimmitschau, Auerbach, Frankenberg, Oelsnitz, | |
Lugau, Planitz.“ | |
[1][Wobei Warenhäuser damals eine andere Bedeutung hatten als heute, da die | |
letzten dieser Konsumtempel vor sich hin siechen.] Damals galt ein Kaufhaus | |
als ungeheurer Fortschritt, denn dort gab es fast alle Waren unter einem | |
Dach. Und weil diese zentral eingekauft wurden, konnten Kaufhäuser ihre | |
Produkte günstiger als viele Einzelhändler und Markthändler anbieten. Auch | |
galten Festpreise, Handeln entfiel. In der Schau kann man auf einem großen | |
Foto sehen, wie Schocken über seiner Warenausgabe das revolutionäre Prinzip | |
in großen Lettern festhielt, gesetzt wie ein Gedicht: | |
„Gleiche, gute Leistungen | |
bei allen Waren, zu jeder Zeit. | |
Für jeden Käufer. | |
Daher keine Rabatte, | |
keine Sonderveranstaltungen, | |
kein Kredit.“ | |
Das gefiel der Kundschaft, weniger aber der Konkurrenz. Völkische | |
Gruppierungen, allen voran die NSDAP, identifizierten die Warenhäuser als | |
angeblich jüdische Erfindung. Als die Nazis 1933 die Macht erklommen | |
hatten, wurden die Kaufhäuser nicht abgeschafft – aber, soweit sie jüdische | |
Eigner hatten, „arisiert“. Das geschah auch Salman Schocken. Aber wir | |
greifen der Geschichte voraus. | |
Denn diese Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin heißt „Inventuren. Salman | |
Schockens Vermächtnis“. Das können schlecht nur Teelöffel und Hutschachteln | |
sein. Obwohl: Fast könnte man meinen, all diese Gegenstände könnten | |
sprechen. Der amerikanische Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger Joshua | |
Cohen hat den Waren ein zweites Leben eingehaucht. Er hat zu jedem Objekt | |
einen assoziativen Text verfasst. „Der Stehkragen seines Hemdes drückte in | |
seinen Hals, als würde die Hand der Geschichte ihn an der Kehle packen und | |
ihm die Stimme verweigern“, schreibt er etwa. Oder wie wäre es hiermit über | |
die Blechdose? „Jeden Abend begann er, die Nachrichten zu lesen, und hörte | |
erst auf, wenn er das letzte Bonbon aus der Dose gegessen hatte. Aber er | |
schummelte: Er lutschte nicht, er kaute.“ | |
## 92 Nummern umfasste die „Bücherei des Schocken-Verlags“ | |
Eines der Vermächtnisse Schockens ist die Architektur im Stil der neuen | |
Sachlichkeit, errichtet von fortschrittlichen Architekten wie Erich | |
Mendelsohn. Gleich zu Beginn betritt man die Schau zwischen zwei | |
Bürogebäuden, das eine mit einem gläsernen Turm, das andere mit | |
aufstrebenden Linien ausgestattet. Es handelt sich um Schockens Häuser in | |
Stuttgart und Pforzheim. Viele, nicht alle Gebäude sind heute zerstört, sei | |
es durch den Krieg oder den Nachkrieg. | |
Schocken war aber nicht nur Warenhauskönig, sondern auch Verleger, womit | |
wir beim zweiten Vermächtnis sind. Es zeigt sich in vielen kleinen Büchern | |
mit Pappeinbänden und Etikett auf dem Titel. Da liegt sie, die 92 Nummern | |
umfassende „Bücherei des Schocken-Verlags“, begründet 1933 in der Not als | |
intellektuelles Stärkungsmittel für die verfolgten Jüdinnen und Juden. | |
„Der Schocken-Verlag hat sich zum Ziel gesetzt, der deutschlesenden | |
Judenheit Bücher von wirklichem Gehalt und dauerndem Bestand zu schaffen, | |
die ihr zu geistiger Behauptung und sittlicher Erneuerung Richtung weisen | |
können“, kann man in einer Werbeschrift lesen. Die Schocken-Bücherei, Kern | |
des Verlags bis zum von den Nazis erzwungenen Ende im Jahr 1938, umfasste | |
schöngeistige Werke zur Unterhaltung wie Bücher, die Leserin und Leser zu | |
den Traditionen und Regeln des Judentums führten, das bei vielen der | |
Angehörigen der Minderheit in Vergessenheit geraten war, nun aber als | |
einigendes Band wichtig wurde. Hier konnten sie sich über die Gedanken des | |
Kulturzionisten Martin Buber informieren, wie über jüdische Altertümer in | |
Palästina oder Kafkas Welt. | |
Bibliophil war die Reihe nicht ausgestattet, stattdessen eher schlicht und | |
an die Reihe des Insel-Verlags erinnernd. Es ging für die verarmenden Leser | |
nicht um Kopfgoldschnitt und Lesebändchen. Das Schocken-Buch kostete nur | |
1,25 Mark, das war entscheidend. Viele Auswanderer nahmen die Büchlein mit, | |
nach Palästina, in die USA, Neuseeland. Schocken selbst ging 1934 nach | |
Palästina, wo er die Zeitung Haaretz kaufte – bis heute das Aushängeschild | |
für eine linksliberale und demokratische Politik. Später zog es ihn in die | |
USA. Auch dort entstanden keine Kaufhäuser mehr, wohl aber 1945 der Verlag | |
Schocken Books. Seine Enkel haben ihn später an die Verlagsgruppe Random | |
House verkauft. | |
Joshua Cohen hat versucht, den Verlag zu kaufen, derselbe Cohen, der für | |
die Ausstellung die Texte zu den Objekten verfasst hat. Er spricht zur | |
Eröffnung ein Loblied auf Salman Schocken, dessen Kaufhäuser nicht für eine | |
Elite gedacht gewesen seien. „Schocken war ein liberaler Demokrat“, sagt | |
er. Doch heute sei „die liberale Demokratie, für die Schocken stand, | |
bedroht – in Israel und in den USA“. Schockens Warenwelt mag aus der Zeit | |
gefallen sein. Seine Ideen sind es nicht. | |
28 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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