Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neue Ausstellung in Gedenkstätte: Der Amerikaner in der Wannsee-Vi…
> Das Haus, in dem das NS-Regime den Holocaust organisierte, besitzt eine
> bisher unbekannte Geschichte. Sie wird nun in einer Ausstellung erzählt.
Bild: Die Fotos von Fritz Traugott waren Grundlage für diese 2024 entstandene …
Berlin taz | Das Bild irritiert. Da ist das wohlbekannte Gebäude am Wannsee
zu sehen, die Fassade mit Efeu eingewachsen, aber doch unverkennbar die
Villa, in der am 20. Januar 1942 die Umsetzung des Holocaust durch die
Nazis und ihre obersten Bürokraten [1][organisiert worden ist]. So weit, so
vertraut. Aber was ist das? Auf dem Flachdach des Gebäudes weht groß und
weit sichtbar die Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika.
Es handelt sich nicht um eine Fotomontage. Fritz Traugott hieß der Mann,
der das Schwarz-Weiß-Foto mit der US-Flagge geschossen hat, das nun im
Garten der Gedenkstätte zu sehen ist. Und Fritz Traugott war es auch, der
dafür sorgte, dass diese Flagge im Sommer 1945 am Dach der Villa gehisst
wurde, die zuvor als Gästehaus der SS gedient hatte.
„On the Roof of Himmler’s Guesthouse“ heißt [2][die Ausstellung] in der
Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, die der Geschichte
dieses verfluchten Gebäudes eine weitere, bislang unbekannte Facette
hinzufügt, eine positive dieses Mal.
Vor 80 Jahren, im Mai 1945, zog eine Einheit der US-Army in die Villa am
Wannsee ein. Sie blieb zwar nur bis zum September. Aber es war nicht
irgendeine Einheit und Fritz Traugott war nicht irgendein US-amerikanischer
Soldat. Die GIs, die es sich in der Villa bequem machten, waren
Spezialisten für Verhörtechniken und Spionage. Im Krieg sollten sie
militärische Informationen von gefangen genommenen Deutschen sammeln.
## Erst kurz zuvor in die USA geflüchtet
Nun, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, ging es darum, Nazi-Verbrecher
dingfest zu machen. Schließlich sollten die Deutschen zu Demokraten
umerzogen werden. Sie nannten sich [3][Ritchie-Boys] nach dem Camp Ritchie
im US-Bundesstaat Maryland, wo sie ausgebildet worden waren. Und weil
Deutschkenntnisse für ihre Arbeit unerlässlich waren, kamen viele dieser
Ritchie-Boys aus Deutschland. Sie waren nur kurz zuvor vor Hitler in die
USA geflüchtet.
So auch Fritz Traugott. Der 1919 geborene Hamburger Jude emigrierte 1938 in
die USA. Dort wurde er zum Militär eingezogen, zum US-Amerikaner
naturalisiert und nach dem D-Day in der Normandie nach Europa geschickt, um
die Deutschen zu bekämpfen. „Mobile Field Interrogation Unit #2“ hieß sei…
Einheit. Das Verhörzentrum für mutmaßliche Nazi-Verbrecher befand sich
gleich um die Ecke im Ortsteil Wannsee.
Auf einer Bank im Garten der Gedenkstätte sitzen an diesem warmen
Sommerabend Kathy, Michael und Mark Traugott. Den Kindern von Fritz
Traugott und seiner Frau Lucia ist es zu verdanken, dass die Erinnerungen
ihres Vaters nun die Geschichte des Hauses vervollständigen.
Fritz Traugott sei ein lustiger und liebevoller Vater gewesen, sagt
Michael, der Älteste, der 1945 gerade einmal ein Jahr alt war. Doch
gesprochen habe der Vater von der Zeit damals im Krieg und danach in Berlin
nie, auch nicht von seiner Jugend als deutscher Jude. Ein schweres Trauma
muss da gewesen sein, vermuten die drei Geschwister, die inzwischen längst
das Rentenalter erreicht haben.
## Briefpapier aus der Reichskanzlei und weitere Stücke
Der Vater ist 1995 gestorben. Aber erst nachdem auch die Mutter 2018
stirbt, trauen sich die Kinder an die Kiste mit den Erinnerungsstücken
heran, die in der Wohnung steht. Sie finden die Briefe, die Fritz Traugott
mindestens einmal wöchentlich aus Berlin an seine Frau geschickt hat, die
Fotos, die er mit einer neu erstandenen Kamera gemacht hat, Bildpostkarten
mit Autografen Hitlers, Briefpapier aus der Reichskanzlei und weitere
Stücke. Und sie machen sich daran, die Dinge zu entschlüsseln, soweit ihnen
das möglich ist.
Im März 2022 nimmt Michael Traugott Kontakt zur Gedenk- und Bildungsstätte
Haus der Wannsee-Konferenz auf. Er legt das Foto mit der US-amerikanischen
Flagge auf dem Dach bei. Ob man in Kontakt kommen könnte? Man kann.
Die Erinnerungen aus der Kiste in Florida werden zur Grundlage einer
Sonderausstellung im Garten der Gedenkstätte. Und deshalb sind Kathy,
Michael und Mark Traugott an diesem Donnerstag im Juni in Berlin. „Vater
wäre sehr stolz gewesen“, hätte er das noch miterlebt, meint Michael
Traugott. Nicht so sehr auf sie, die Kinder, sondern darauf, welch
historische Relevanz seine Erinnerungen gewonnen haben.
Die haben sie allerdings. Die Gedenkstätte hat die Memorabilien in sieben
Themenblöcke aufgeteilt, die jeweils an Stelen gebunden sind, die sich über
den großen Garten verteilen. Wer die Karte zur Ausstellung nicht zur Hand
hat, muss bisweilen auf die Suche gehen, wo es weitergeht.
## Eine Aneignung der besonderen Art
Im Audioguide können Besucherinnen und Besucher hören, was Fritz Traugott
1945 seiner Lucia über das Leben in Berlin geschrieben hat – auf
Briefpapier mit dem Hakenkreuz und der Aufschrift „Der Führer“ oder „Der
Reichsführer-SS“, die der GI in der Reichskanzlei und in seiner Unterkunft
am Wannsee hat mitgehen lassen. Es war eine Aneignung der besonders
symbolischen Art: Ein von den Nazis verjagter Jude klaut die
Hinterlassenschaften der Mörder seines Volkes.
Wo sie da Quartier genommen haben, in einem Haus der SS, das wussten die
Soldaten. Von der historischen Bedeutung des Gebäudes aber konnten sie
nichts ahnen. Das Protokoll der Konferenz am Wannsee von 1942 wurde erst
1947 entdeckt.
Vor dem Einzug der knapp 50 Mann starken US-Einheit war das Gebäude durch
sowjetische Soldaten stark mitgenommen. 50 „Spülmädchen“ aus der Umgebung
mussten drei Tage lang putzen. Zu den US-Amerikanern gehörten auch 16
Kriegsgefangene, die niedrigere Arbeiten verrichten mussten, unter ihnen
der „Ahnenforscher“ und Antisemit Friedrich Wilhelm Euler, dessen Karriere
später nur einen leichten Knick nach unten erhalten sollte.
Fritz Traugotts Fotos zeigen einen entspannten Alltag im ehemaligen
SS-Haus. Auf einem Bild ist er auf der Terrasse sitzend zu sehen. An Lucia
schreibt er: „Das Bild zeigt mich auf einem Löwen sitzend – keine Sorge, er
ist aus Stein.“
## Die Ausstellung blickt auch auf die Gegenwart
Der Vater Fritz Traugott habe seine Vergangenheit ausgeblendet, erinnern
sich seine Kinder. „Er sprach nie Deutsch“, sagt sein Sohn Michael. Er
wollte unbedingt Amerikaner werden – und verdrängte dabei offenbar seine
Jugend in Deutschland. Dort musste er 1936 die reformpädagogisch
orientierte Hamburger Lichtwarkschule verlassen.
Auch sein Bruder entkam in die USA, die Eltern emigrierten nach Schweden.
Schwester Hedwig überstand, verheiratet mit einem „arischen“ Mann, die
NS-Verfolgung in Hamburg. Im Juni 1945 besuchte Fritz Traugott die Familie
mit ihren beiden Töchtern dort. Die antisemitischen Nachstellungen endeten
nicht mit dem Kriegsende. Doch die US-Behörden lehnten eine Einwanderung
der Familie ab.
Es ist nicht so, dass diese ungewöhnliche Ausstellung im blühenden Garten
eines Hauses des Massenmords in der Vergangenheit verhaftet bleibt – und
das zu Recht. Fritz Traugott gehörte zu den US-Amerikanern, die den
Deutschen Demokratie und Freiheit nahebrachten.
Auf der letzten Stele der Ausstellung heißt es: „Heute werden diese
Errungenschaften durch Wahlerfolge antidemokratischer Parteien
herausgefordert und auch die Vereinigten Staaten von Amerika sind von
antidemokratischen und autoritären Tendenzen bedroht, die Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit grundlegend infrage stellen.“ Dazu sieht man ein Bild
von [4][US-Vizepräsident J. D. Vance] bei seinem Besuch in der
KZ-Gedenkstätte Dachau am 13. Februar dieses Jahres. Kurz darauf traf sich
Vance mit [5][AfD-Chefin Alice Weidel].
Kathy Traugott ist sich sicher, dass ihr Vater verstört wäre, würde er die
politische Lage in den USA heute miterleben müssen.
On the Roof of Himmler’s Guesthouse – Die US-Army 1945 am Wannsee.
[6][Sonderausstellung in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus am Wannsee],
Am Großen Wannsee 56–58, täglich 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei. Bis zum 30.
Juni 2026
23 Jun 2025
## LINKS
[1] /Ortsbesuch-am-Tatort-von-einst/!6059612
[2] https://www.ghwk.de/de/blog/on-the-roof-of-himmlers-guesthouse
[3] /Zeitzeuge-des-Nationalsozialismus/!5921532
[4] /JD-Vance/!t6040546
[5] /Alice-Weidel/!t5403258
[6] https://www.ghwk.de/de/blog/on-the-roof-of-himmlers-guesthouse
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
US-Army
Ausstellung
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Wannsee
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
europäische Juden
Schwerpunkt Nationalsozialismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Deutsche Verbrechen an Polen vor 1945: Ein Findling gegen das Vergessen
Der neue Gedenkort zur Erinnerung deutscher Verbrechen an Polen wurde neben
dem Kanzleramt eingeweiht. Er soll nur ein fünfjähriges Provisorium sein.
Ausstellung über Salman Schocken: Das Vermächtnis des Warenhauskönigs
Das Jüdische Museum Berlin widmet sich in einer Sonderausstellung dem Werk
von Salman Schocken. Er betrieb Kaufhäuser und verlegte Bücher.
Zeitzeuge des Nationalsozialismus: „Nicht als Held gefühlt“
Paul Fairbrook floh als Zehnjähriger vor den Nazis in die USA – und war in
einer geheimen Armeeeinheit beteiligt an der Niederlage der Wehrmacht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.