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# taz.de -- Zivilorganisation über Push-Backs: Kroatiens Gewalt gegen Migranten
> An der EU-Außengrenze in Kroatien werden Geflüchtete wiederholt illegal
> zurückgedrängt. Human Rights Watch prangert das in einem Bericht an.
Bild: Ihr Ziel ist wahrscheinlich Kroatien: eine Gruppe Migranten in Westbosnien
Berlin taz | Kroatien drängt seit etwa fünf Jahren Menschen illegal und mit
Gewalt über die Grenze zurück. Ein am Mittwoch vorgestellter [1][neuer
Bericht der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW)] zeigt,
dass die Praxis entgegen anderslautenden Versicherungen der Regierung in
Zagreb weitergeht.
Auch unbegleitete Kinder und Familien mit Kleinkindern werden von der
kroatischen Polizei weiter zurückgedrängt. Das geschehe „trotz offizieller
Dementis und wiederholter – nicht eingehaltener – Zusagen, das Recht auf
Asyl und andere Menschenrechtsnormen zu respektieren“, so HRW. „Die
Grenzpolizei stiehlt oder zerstört häufig Telefone, Geld, Ausweispapiere
und andere persönliche Gegenstände und setzt Kinder und Erwachsene oft
einer erniedrigenden und entwürdigenden Behandlung aus.“
Die Menschen würden „regelmäßig und oft gewaltsam“ [2][nach Bosnien und
Herzegowina zurückgeschoben], ohne ihre Asylanträge oder Schutzbedürfnisse
zu prüfen, gibt HRW an. Die kroatische Polizei übergebe die Menschen nicht
an den regulären Grenzposten an die Behörden von Bosnien und Herzegowina.
Befragte gaben gegegnüber HRW an, dass sie durch Flüsse oder Bäche waten,
über Felsen klettern oder sich einen Weg durch dichte Wälder bahnen
mussten, oft nachts und ohne zu wissen, wie sie die nächste Stadt erreichen
könnten.
HRW befragte nach eigenen Angaben mehr als 100 Personen, darunter mehr als
20 unbegleitete Kinder und zwei Dutzend Eltern, die mit kleinen Kindern
reisten, die von den oft brutalen Zurückdrängungen berichteten, teils erst
im April 2023. Einige sagten, die kroatische Polizei habe sie Dutzende Male
zurückgedrängt und ihre Asylanträge routinemäßig ignoriert. Andere Gruppen
wie das Border Violence Monitoring Network (BVMN) oder das
Geflüchtetenhilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sind seit Jahren zu
ähnlichen Ergebnissen gekommen.
## EU finanziert Grenzschutz in Kroatien
Zwischen Januar 2020 und Dezember 2022 hat der Dänische Flüchtlingsrat fast
30.000 solcher Zurückweisungen – oft auch Pushbacks genannt – erfasst. Etwa
13 Prozent der im Jahr 2022 so dokumentierten Zurückschiebungen betrafen
Kinder, allein oder mit ihren Familien. Afghanistan ist das häufigste
Herkunftsland.
„Die kroatische Regierung hat die Institutionen der Europäischen Union mit
Ablenkungsmanövern und leeren Versprechungen hinters Licht geführt“, so
Michael Garcia Bochenek, der Autor des HRW-Berichts. „Diese abscheulichen
Menschenrechtsverletzungen – und die offizielle Heuchelei, die sie
begünstigt – sollten ein Ende nehmen.“
Die EU finanziert den Grenzschutz in Kroatien mit erheblichen Summen. Ein
von der EU finanzierter Grenzüberwachungsmechanismus, der 2021 eingerichtet
wurde, sei „nicht unabhängig“, kritisiert HRW.
Kroatien bestreitet trotz erdrückender Beleg die Pushbacks bis heute. Eine
Ausnahme war ein TV-Interview, das die kroatische Präsidentin [3][Kolinda
Grabar-Kitarović] 2019 in der Schweiz gab. „Ich habe mich beim
Innenminister, dem Polizeichef und den Polizisten vor Ort erkundigt, und
sie haben mir versichert, dass sie keine übertriebene Gewalt anwenden.
Natürlich ist ein bisschen Gewalt nötig, wenn sie Pushbacks durchführen“,
sagte Grabar-Kitarović damals.
## Deutsche Beamte als Grenzschützer in Kroatien
Hintergrund der kroatischen Praxis war lange die Anwärterschaft auf die
Vollmitgliedschaft in die Schengen-Gemeinschaft, die Bewegungsfreiheit ohne
Passkontrollen an den Landesgrenzen innerhalb der Europäischen Union (EU)
ermöglicht. Für den Wegfall dieser Binnengrenzkontrollen mussten die
Schengen-Innenminister überzeugt sein, dass ein Kandidat seine Grenzen
effektiv sichert. Im Dezember 2022 war es nach neun Jahren so weit:
Kroatien wurden volles Mitglied des Schengenraums.
Nach einer Erhebung der Nichtregierungsorganisation Border Violence
Monitoring Network (BVMN) hat Deutschland von 2016 bis 2021 insgesamt 24 so
genannte Verbindungsbeamt*innen für den Grenzschutz in Kroatien
stationiert, dazu 129 Bundespolizist*innen mit Mandat der
EU-Grenzschutzagentur [4][Frontex]. 2,8 Millionen Euro [5][flossen aus
Deutschland] an den kroatischen Grenzschutz in Form von Fahrzeugen,
Wärmebildkameras und Überwachungstechnologie. 87 Seminare und Besuche
wurden abgehalten – Gesamtkosten: 422.000 Euro. „Begünstigt wurden
nachweislich auch solche Einheiten, die an gewaltsamen Pushbacks und
Misshandlungen beteiligt sind“, so das BVMN.
Jenseits solcher Trainings hat Kroatien operative Einsätze der
EU-Grenzschutzagentur Frontex auf seinen Territorium weitgehend abgelehnt –
offensichtlich um ungestört an den Pushbacks festhalten zu können, die von
der EU offiziell kritisiert und abgelehnt werden.
Ende März 2023 hatte der Europarat einmal mehr Pushbacks an den
EU-Außengrenzen angeprangert und dabei ausdrücklich auch Kroatien
kritisiert. Die Regierungen sollten „Mechanismen entwicklen, um jede Art
von Misshandlung an den Grenzen zu verhindern“, erklärte der Vorsitzende
des Anti-Folter-Komitees (CPT) der Straßburger Organisation, Alan Mitchell.
„Pushbacks sind illegal, inakzeptabel und müssen aufhören“, fügte er hin…
Das CPT forderte von den Staaten eine ordnungsgemäße Registrierung von
ankommenden Migranten und die Möglichkeit für diese, Asyl zu beantragen.
3 May 2023
## LINKS
[1] https://www.hrw.org/news/2023/05/03/croatia-ongoing-violent-border-pushbacks
[2] /Gefluechtete-in-Bosnien-und-Herzegowina/!5739243
[3] https://www.srf.ch/news/international/lokale-behoerden-am-anschlag-immer-me…
[4] /Frontex/!t5007627
[5] /Die-Rolle-von-Frontex-im-Grenzregime/!5900343
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Kroatien
Frontex
Grenzschutz
EU-Grenzpolitik
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Pushbacks
Migration
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