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# taz.de -- Am Ende der Balkanroute: Ein bisschen Normalität
> Bei der Flucht in die EU landen viele Schutzsuchende im italienischen
> Triest. Helfer dort geraten zunehmend unter Druck von der rechten
> Regierung.
Bild: Khan als Batter bei einem Kricketspiel unter Freunden
Der Mischwald lichtet sich und gibt die Kante einer über sechs Meter hohen
Klippe frei. Oberhalb der Kante ist Slowenien. Am Fuß der Klippe fängt
Italien an. Hier, in den waldigen Hügeln südöstlich der italienischen
Hafenstadt Triest, liegt die letzte Grenze, die Schutzsuchende auf ihrem
Weg über die Balkanroute, einer der meistgenutzten Fluchtrouten nach
Europa, überqueren müssen. Über den Winter kamen verglichen mit den
vergangenen Sommermonaten wenige Menschen so in Triest an. Mit dem nahenden
Frühling erwarten lokale Hilfsorganisationen wieder mehr Ankommende. Sie
fürchten eine Überlastung der Hilfsangebotskapazitäten.
Auch die seit letztem Herbst regierende postfaschistische Regierung von
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bereitet lokalen solidarischen
Organisationen Sorge. Immer wieder hetzt die Regierung gegen Schutzsuchende
und treibt eine migrationsfeindliche Politik voran. Das erhöht auch den
Druck auf zivilgesellschaftliche Hilfsangebote in Triest.
An der Klippe angekommen sind es nur noch wenige Kilometer bis ins Tal nach
Triest. Der Fels an der slowenisch-italienischen Grenze fällt schroff ab.
Unten liegt Geröll. An einem Busch, der aus der Felswand wächst, ist ein
rotes Tuch festgeknotet. Eine dürftige Hilfestellung für alle Absteigenden.
Am Fuß des Felsens und auf den Trampelpfaden Richtung italienische
Schnellstraße liegen zahlreiche Rucksäcke, Schlafsäcke und Kleidungsstücke
im Gebüsch. Die Menschen lassen ihr Gepäck vom tagelangen Marsch hier, um
in der Stadt nicht als Schutzsuchende identifiziert werden zu können. Denn
wer von der Polizei aufgegriffen wird, muss sich behördlich registrieren
lassen. Persönliche Daten und Fingerabdrücke werden erfasst. Für Menschen,
die gerne weiterziehen und ihren Asylantrag in einem anderen EU-Staat
stellen möchten, ist das verheerend.
Gemäß dem Dublin-III-Abkommen ist nämlich in den meisten Fällen das Land
für die Bearbeitung des Asylgesuchs zuständig, in dem die Schutzsuchenden
zuerst registriert werden. Jemand, der in Deutschland einen Asylantrag
stellt, dessen Fingerabdrücke jedoch schon in Italien registriert wurden,
dem droht die Abschiebung nach Italien. Nachdem die von der Balkanroute
kommenden Schutzsuchenden also das verräterische Gepäck losgeworden sind,
verlassen sie den Wald, betreten die Straße Richtung Innenstadt und warten
an der Haltestelle des Dorfes San Dorligo della Valle auf den nächsten Bus.
Der bringt sie zur Piazza della Libertà, dem Platz vor dem Triester
Hauptbahnhof.
Abends stehen Dutzende Männer um das runde Hochbeet auf der Piazza della
Libertà. Die Stimmung ist ruhig und ausgelassen. Die jungen Männer sitzen
unter dem gelben Licht der Laternen auf den die Piazza säumenden Bänken und
schauen auf ihre Handys. Andere stehen in Grüppchen herum und unterhalten
sich. Einige Freiwillige der aktivistischen Gruppe Linea d’Ombra
(Schattenlinie) sind auch vor Ort. Sie verteilen warmen Tee und
Lebensmittel. Es werden Informationen über Schlafmöglichkeiten und den
Asylprozess in Italien ausgetauscht.
Wer gerade angekommen und nicht offiziell als Asylsuchende:r registriert
ist, kann für einige Nächte niedrigschwellig in einer von lokalen
Hilfsorganisationen betriebenen Notschlafstätte unterkommen. Nur wenige
Straßen vom Bahnhof entfernt ist eine dieser Schlafstätten, das Centro
Diurno (Tageszentrum).
Sowohl Migrant:innen als auch bedürftige Italiener:innen kommen dort
unkompliziert an einen Schlafplatz. Es braucht nur eine mündliche Anmeldung
und eine Unterschrift. „Ob sie ihren richtigen Namen angeben oder nicht,
ist uns egal. Wir sind ja nicht die Polizei“, erklärt Giulio, ein
Mitarbeiter. Neben dem Centro Diurno gibt es zwei weitere Notschlafstätten
in der Stadt, insgesamt sind es 55 Notschlafplätze.
„Momentan reichen die Schlafplätze zum Glück“, berichtet Giulio. Er sitzt
an einem großen Tisch, um den bunte Plastikstühle stehen. Um ihn herum
herrscht lebhaftes Treiben. Das Zentrum ist jeden Tag geöffnet. Tagsüber
ist es ein Ort, an dem Menschen im Warmen, Trockenen verweilen, ihr Handy
aufladen, sich duschen, sich ausruhen können. Das Zentrum ist gut besucht,
aber nicht überfüllt. „Im Winter kommen weniger Menschen über die
Balkanroute, dann reichen hier die Kapazitäten“, erklärt Giulio.
„Letzten Sommer und Herbst sah es anders aus“, meint der Mitarbeiter mit
ernster Miene. Im Sommer 2022 kamen 300 bis 400 Menschen pro Woche in
Triest an, so die Zahlen der Hilfsorganisation Consorzio Italiano di
Solidarietà (ICS). „Wenn so viele kommen, reicht der Platz nicht. Dann
müssen Menschen auf der Straße schlafen“, meint Giulio betrübt. Im Sommer
diente ein verlassenes Gebäude zwischen Hafen und Bahnhof als
provisorischer Schlafplatz für Hunderte Schutzsuchende. „Wir haben Angst
vor dem Frühjahr.“
Neben den Schlafplätzen im Centro Diurno und einer von der Caritas
betriebenen Schlafstätte in der Via Anastasio gibt es 20 Betten im
Kellerraum eines von der ICS verwalteten Mehrfamilienhauses in der Via Dei
Bonomo im Norden der Stadt. Dort wird auch jeden Abend warmes Essen
ausgegeben. Die Nutzer:innen können sich und ihre Kleidung in
Sanitäranlagen im Nebenraum waschen. Tagsüber finden in dem Kellerraum, der
durch seine rohgemauerten Bögen an eine römische Taverne erinnert,
Italienischkurse statt. An der Wand hängen eine Pace-Flagge und einige von
Kindern gemalte Bilder. Es ist ein angenehmer, sicherer Ort.
Ein Mann, der vor einigen Tagen in Triest angekommen ist und einen
Schlafplatz in der Via Dei Bonomo gefunden hat, erzählt, dass er froh ist,
sich hier kurz ausruhen zu können. Er kam erschöpft von dem tagelangen
Fußmarsch durch Kroatien und Slowenien in Triest an. Ein Bekannter hatte
ihm den Tipp gegeben, zuerst zum Hauptbahnhof zu gehen. Dort traf der junge
Afghane auf die Freiwilligen, die ihm einen Schlafplatz in der
Notunterkunft in der Via Dei Bonomo vermittelten. Er will hier nur kurz
verschnaufen und sich vor den italienischen Behörden verstecken, bevor er
weiterzieht Richtung Deutschland, wo er Freund:innen und Familie hat.
Nur 30 Prozent der Menschen, die in Triest ankommen, wollen in Italien
bleiben. Gianfranco Schiavone, Vorsitzender der ICS, sitzt an seinem
Schreibtisch in seinem Büro in der Innenstadt und scrollt auf seinem
Bildschirm hektisch im Jahresbericht von 2022 herum. „Die meisten Menschen,
die in Triest ankommen, wollen weiterziehen“, erklärt er und zeigt auf das
passende Tortendiagramm. Nach Deutschland, Frankreich oder in die
skandinavischen Länder. „Das sind die Menschen, die nur einige Nächte in
den Notschlafstätten verweilen und dann weiterziehen.“
Diejenigen, die sich in Italien registrieren lassen, werden nach der
behördlichen Erfassung ihrer Daten in einem staatlich organisierten Camp
untergebracht. Dort müssen sie bis zur offiziellen Erfassung ihres
Asylgesuchs bleiben. „Theoretisch sollte das nur wenige Tage dauern. Aber
oft sind es mehrere Monate.“
Casa Malala ist eine der beiden staatlichen Unterkünfte in Triest. Eine
Stunde dauert die Busfahrt vom Stadtzentrum. Casa Malala liegt zwischen
einer Autobahnauffahrt und einer Schnellstraße. Die slowenische Grenze ist
nur wenige Hundert Meter entfernt. Das gelb gestrichene Haus ist von einem
spitzen roten Zaun umgeben. An der Fassade sind Kameras angebracht. Vor dem
Zaun sind drei graue Jeeps des Esercito, des italienischen Militärs,
geparkt. Zwei Männer in Tarnkleidung steigen aus einem der Geländefahrzeuge
und laufen in Richtung der blauen Verwaltungscontainer, die vor dem
Hauptgebäude aufgestellt sind.
Der Vorplatz der Unterkunft ist ein riesiger Parkplatz, auf dem Dutzende
Lkw stehen und Grenzkontrollen stattfinden. Kein Ort zum Verweilen. Ein
Durchfahrtsort. Eigentlich. Für Dutzende Asylsuchende ist es ein Wohnort.
Die ICS kämpft gegen das Campsystem und das Abdrängen von Migrant:innen
an den geografischen wie sozialen Rand der Gesellschaft. Die Organisation
mietet Wohnungen im Stadtzentrum und bringt Menschen, die sich im
Asylprozess befinden, dort unter. Nachdem das Asylgesuch offiziell
registriert wurde, dürfen sie die Camps verlassen – aber nur, wenn sie eine
andere Unterkunft haben. Diese finden viele in den Wohnungen, die die ICS
anmietet und verwaltet.
Pro untergebrachte Person erhält die Organisation eine Pauschale vom Staat,
mit der die Mieten und laufenden Kosten für die Wohnungen bezahlt werden.
Jede Person, die so untergebracht ist, erhält außerdem 30 Euro pro Woche
für Verpflegung.
## „Schönster Tag in meinem Leben“
„Das Geld reicht kaum“, meint Liaqat Khan. Khan kommt aus Pakistan. Dort
setzte er sich für Minderheitenrechte ein und wurde deshalb vom Staat
verfolgt. Er verließ sein Heimatland und flüchtete über den Iran, die
Türkei und die Balkanroute nach Italien. Vor zwei Jahren kam er in Triest
an. „Es war der schönste Tag meines Lebens“, sagt Khan strahlend. Nachdem
er einen Asylantrag gestellt hatte, musste er ein Jahr in der Casa Malala
leben. Erst dann wurde sein Asylantrag offiziell registriert und er konnte
in eine der von der ICS organisierten Wohnungen umziehen.
Khan sitzt am Küchentisch seiner Wohnung in der Via Dei Bonomo. Er wohnt
mit drei Mitbewohnern in einem Zweizimmerapartment im dritten Stock.
Insgesamt gibt es 12 Wohnungen in dem gelben Haus in der Via Dei Bonomo.
Alle werden von der ICS angemietet und an Menschen im Asylprozess vergeben.
Khans Küche ist weiß und strahlt vor Sauberkeit. Er bietet Energydrinks
an. Im Ruhezustand wirkt sein Gesichtsausdruck ernst, fast grimmig. Aber
der junge Mann lächelt viel. Dann hellt sich sein Gesicht auf, dann funkeln
seine kajalumrandeten Augen freundlich. Khan meint, dass er gerne hier
wohnt. Er mag die Wohnung und seine Mitbewohner. Er kocht gerne, besonders
pakistanisches Essen.
Der junge Mann verbringt viel Zeit in der Wohnung, weil er keine Arbeit
findet. Für Einwanderer, die kaum Italienisch sprechen und deren
Ausbildungszertifikate aus dem Heimatland in Europa nicht anerkannt werden,
gibt es kaum Jobs in der Region, bestätigt auch Schiavone.
Das von der ICS organisierte Unterbringungssystem ist immer wieder
politischen Attacken der rechten Regierung ausgesetzt. Seit Oktober 2022
wird Italien von einer rechtskonservativen, nationalistischen Koalition
regiert. Die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens)
holte bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst 26 Prozent der Stimmen
und war damit Wahlsiegerin. Insgesamt hat sie 119 von 400 Sitze im
Abgeordnetenhaus und stellt die Ministerpräsidentin, [1][Georgia Meloni].
Die rechtspopulistische Lega von Matteo Salvini und die
christlich-konservative Forza Italia (Vorwärts Italien) von Silvio
Berlusconi sind ebenfalls an der Regierung beteiligt. Diese
migrationsfeindliche Koalition versucht immer wieder, das von der ICS
organisierte Unterbringungssystem zu untergraben.
In der Küche des Büros in der Via Dei Bonomo erzählt Claudio M., wie die
Regierung ihr Projekt behindert. Claudio ist einer der Operator:innen
bei der ICS, die für die Verwaltung einiger der insgesamt circa 50
Wohnungen zuständig sind. Dazu gehört auch die persönliche Unterstützung
der Bewohner:innen. Täglich besuchen die Operator:innen die Menschen.
Sie sammeln die von der Regierung verlangten Unterschriften. Sie helfen
beim Schreiben des Lebenslaufs, bei der Jobsuche oder begleiten die
Bewohner:innen beim Behörden- und Arztbesuch.
Claudio arbeitet seit acht Jahren für die ICS. Er weiß genau, wie das
System funktioniert, aber auch wie die Regierung versucht, es zu
untergraben. „Vor einigen Monaten hat uns die Präfektur das Budget
gekürzt.“ Die Präfektur (prefettura) ist die Vertretung der
Zentralregierung in den italienischen Provinzen. „Wir bekommen kein Geld
für Kleidung mehr. Außerdem meinen sie, dass die Asylsuchenden kein Ticket
für den ÖPNV brauchen.“ Die Pauschale, die die ICS für die Unterbringung
und Versorgung der Asylsuchenden erhält, wurde von der ebenfalls rechten
Vorgängerregierung von 34 Euro auf 28 Euro heruntergesetzt.
„Die Regierung will die Menschen lieber in Camps am Stadtrand unterbringen.
Camps machen der lokalen Bevölkerung Angst. So will es die Regierung.
Meloni braucht Angst vor Migrant:innen, damit ihre Politik funktioniert.“
Aber durch die Unterbringung in der Stadt gehören die Asylsuchenden zu
Triest. Sie gliedern sich ins Stadtbild ein und sind Teil der Bevölkerung.
„Wir haben zum Glück einen guten Stand in der Stadt. Wir haben die
Infrastruktur und das Wissen. So kommt die Regierung bei den öffentlichen
Vergabeverfahren nicht an uns vorbei“, erläutert Claudio.
Die Regierung will trotzdem lieber Massenunterkünfte am Stadtrand. Einige
Nichtregierungsorganisationen sprechen sich auch für mehr Camps aus. Sie
betreiben die Camps und wollen an der Ghettoisierung von Schutzsuchenden
verdienen. Bei jeder neuen öffentlichen Vergabe der Mittel muss die ICS
bangen, ob sie erneut den Auftrag erhält. „Wir sind Attacken der Regierung
gewöhnt. Aber wir kämpfen weiter.“ Claudio wirkt etwas müde, aber trotzdem
entschlossen und überzeugt von seiner Arbeit und von dem, wofür er und die
ICS kämpfen.
Mit einem Dekret, das am 11. März 2023 in Kraft trat, beendete die
Regierung Meloni die protezione speziale (den speziellen Schutzstatus). Es
ist die Reaktion auf das [2][Bootsunglück am 27. Februar bei Cutro],
Kalabrien, bei dem mindestens 72 Schutzsuchende starben. Der spezielle
Schutzstatus garantiert bisher, dass Menschen, die mindestens zwei Jahre in
Italien sind und gute Integrationsleistungen, etwa Sprachkenntnisse und
einen festen Arbeitsplatz vorweisen können, einen nationalen
Aufenthaltsstatus bekommen.
„Das hat doch nichts mit dem Bootsunglück zu tun. Meloni macht Showpolitik.
Sie will nur ihr Image polieren und zeigen, dass sie etwas tut“, analysiert
Claudio M. beim Espresso in der Via Dei Bonomo. „Die rechten und
konservativen Parteien meinen immer, wenn sie es hier nur noch schlimmer
für Schutzsuchende machen, dann würden die nicht mehr kommen. Aber dafür
müsste es hier eben schlimmer sein als im Krieg“, meint Claudio seufzend.
Neben dem Vorantreiben der „Campisierung“ und der Beendigung der protezione
speziale will die Regierung auch wieder illegale Rückführungen nach
Slowenien durchführen. Im Jahr 2020 wurden etwa 1.200 Schutzsuchende von
Italien nach Slowenien zurückgepushed. Nachdem die italienische Polizei
Schutzsuchende auf italienischem Boden aufgegriffen hatte, wurden sie ohne
Beachtung ihres Asylgesuchs slowenischen Beamt:innen übergeben. Von
Slowenien wurden sie weiter nach Kroatien und schließlich nach Bosnien und
Herzegowina, also wieder raus aus der EU gebracht.
„Diese Rückführungen waren absolut rechtswidrig“, erklärt Caterina Bove.
Sie ist Anwältin und Teil der Organisation Associazione per gli Studi
Giuridici sull’Immigrazione (ASGI), eines Netzwerks italienischer
Anwält:innen und Aktivist:innen, die sich für die Rechte von
Schutzsuchenden einsetzten. Sie berichtet von der Klage und dem Urteil, das
die Rückführungspraxis an der italienisch-slowenischen Grenze vorerst
beendete. „Wir haben von den Kettenpushbacks gehört und wollten unbedingt
rechtlich dagegen vorgehen.“ Im Januar 2021 bestätigte ein Gericht in Rom,
was Bove und ihre Kolleg:innen längst wussten: Die Rückführungen nach
Slowenien sind unrechtmäßig. Sie verstoßen gegen das Recht auf Stellung
eines Asylantrags und gegen Regelungen des europarechtlichen
Dublin-Systems.
Beide verlangen von Italien die individuelle Prüfung jedes Asylgesuchs.
„Außerdem: Das bilaterale Abkommen zwischen Italien und Slowenien, auf dem
die Rückführungen basieren, ist an sich hinfällig. Es wurde nie von unserem
Parlament bestätigt.“ Die Rückführungen wurden gerichtlich für rechtswidr…
erklärt und gestoppt. „An anderen Orten finden sie aber leider noch statt.“
Bove berichtet, dass Schutzsuchende, die mit Schiffen aus Griechenland oder
Albanien an der Ostküste Italiens, zum Beispiel in Bari, Ancona oder
Venedig, ankommen, per Schiff wieder zurückgeschoben werden.
Auch am Ende der Balkanroute würde die italienische Regierung die
rechtswidrige Praxis gerne wieder aufnehmen, meint Bove. Sie schüttelt den
Kopf. „Die Regierung hat in den letzten Monaten mehrere Anfragen für
Rückführungen an Slowenien gestellt. Glücklicherweise verweigert Slowenien
momentan die Rücknahme.“
Khan hat einen illegalen Kettenpushback von Italien nach Bosnien und
Herzegowina erlebt. Vertreten von Bove und ihren Kolleg:innen hat er als
Kläger gegen den italienischen Staat für seine Rechte und für das Ende der
Rückführungspraxis gekämpft und gewonnen. Seit zwei Jahren ist er nun in
Italien. Vor Kurzem wurde ihm ein legaler Aufenthaltsstatus zuerkannt. Der
junge Pakistaner darf in Italien bleiben.
Auf einem abgenutzten Kunstrasenplatz am Stadtrand haben sich Khan und über
fünfzig weitere junge Männer zum gemeinsamen Cricketspiel versammelt. Auf
einer Seite des Platzes werden mit Elektroklebeband umwickelte Tennisbälle
auf den Schlagmann geworfen. An der anderen Seite des Platzes spielen
italienische Teenager:innen Fußball. Die Sonne scheint. Die Stimmung ist
heiter und ausgelassen. Einige Männer sitzen am Spielfeldrand und
beobachten das Spiel, andere werfen, schlagen und rennen.
Khan spielt mit. Zwischendurch pausiert er und setzt sich an den Rand. „Ich
gehe viermal die Woche Cricket spielen“, erzählt er. Die Menschen, die eine
Arbeit haben, kommen nur am Wochenende. Den ganzen Nachmittag herrscht ein
lebhaftes Treiben auf dem Platz. Die jungen Männer haben sich ein bisschen
Normalität geschaffen.
Khan wird Triest jedoch bald verlassen. Mit Erhalt seines Schutzstatus muss
er die Wohnung in der Via Dei Bonomo verlassen. Dort können nur Menschen
untergebracht werden, deren Asylprozess noch nicht beendet ist. Wer einen
Schutzstatus oder einen negativen Bescheid bekommt, muss wieder ausziehen.
Khan will nach Rom ziehen. Dort hat er Freunde und hofft, in der Hauptstadt
Arbeit zu finden.
5 Apr 2023
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Marita Fischer
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