| # taz.de -- Geflüchtete in Italien: Rechte rufen Notstand aus | |
| > Mehr als 31.000 Menschen kamen 2023 über das Mittelmeer nach Italien. Nun | |
| > hat Giorgia Meloni für sechs Monate den Notstand verhängt. | |
| Bild: Ein in Seenot geratenes Boot mit rund 400 Menschen im zentralen Mittelmee… | |
| Rom taz | Flüchtlingsnotstand herrscht jetzt in Italien. So sieht das | |
| jedenfalls die Rechtsregierung unter Giorgia Meloni, die am Dienstag per | |
| Kabinettsbeschluss den „stato di emergenza“ zunächst für die Dauer von | |
| sechs Monaten verhängte. | |
| Die Maßnahme ist die Reaktion auf den weiter ungebrochen anhaltenden | |
| Zufluss von Flüchtlingen vor allem über das Mittelmeer. In den fünf Tagen | |
| vom 7. bis zum 11. April trafen erneut etwa 3.000 Menschen in Italien ein, | |
| während sich weitere gut 1.000 Personen auf zwei Schiffen befinden, die | |
| Kurs auf die Küste Kalabriens halten. Wie schon im März [1][treffen | |
| dutzende kleine Boote aus Tunesien kommend ein], zugleich aber auch größere | |
| Schiffe mit mehreren hundert Passagieren, die von der Türkei aus in See | |
| gestochen sind. | |
| Mit Stand 11. April verzeichnete das Innenministerium seit Jahresbeginn die | |
| Ankunft von 31.400 Menschen; dies stellt gegenüber dem gleichen | |
| Vorjahreszeitraum [2][fast eine Vervierfachung dar]. Laut der | |
| Internationalen Organisation für Migration (IOM) war das erste Quartal 2023 | |
| das tödlichste Quartal für Migranten im zentralen Mittelmeer seit 2017. Das | |
| „Missing Migrants Project der IOM“ hat in der ersten drei Monaten dieses | |
| Jahres 441 Todesfälle dokumentiert. | |
| Vor diesem Hintergrund befürchtet die Regierung, im Jahr 2023 könnten | |
| insgesamt 300.000 Flüchtlinge nach Italien kommen. „Notstand“ herrscht in | |
| den Augen der Rechtsregierung vor allem deshalb, weil die im Land zur | |
| Verfügung stehenden Aufnahmeeinrichtungen, die gegenwärtig etwa 110.000 | |
| Personen beherbergen, bis zum letzten Platz gefüllt sind. | |
| Daran wird auch der jetzt verhängte, ganz offiziell verkündete Notstand | |
| kaum etwas ändern. Er räumt der Regierung vor allem die Vollmacht ein, mit | |
| Sofortmaßnahmen auf die wachsende Zahl der Ankünfte zu reagieren. Ein extra | |
| eingesetzter Sonderkommissar kann in verkürzten und vereinfachten | |
| Vergabeverfahren zum Beispiel Schiffe und Flugzeuge bereitstellten, um | |
| Flüchtlinge von Lampedusa aufs italienische Festland zu bringen, er kann | |
| ohne Ausschreibung Unterkünfte anmieten und neue Abschiebezentren öffnen. | |
| Unmittelbar hat die Regierung 5 Millionen Euro hierfür bereitgestellt, doch | |
| in Rom ist die Rede davon, dass in den nächsten Monaten bis zu 300 | |
| Millionen Euro lockergemacht werden könnten. | |
| ## Italien fordert Maßnahmen aus Brüssel | |
| Doch vorneweg erklärte der Zivilschutzminister Nello Musumeci, die | |
| Verhängung des Notstands werde „das Problem nicht lösen“ und „nur Europ… | |
| könne für eine nachhaltige Lösung sorgen. Das Ihre will die Regierung | |
| beisteuern, indem sie jetzt weitere Abschiebezentren eröffnen sowie die | |
| Abschiebeverfahren beschleunigen und vereinfachen will. Auch dies wird | |
| allerdings nicht wirkliche Resultate zeitigen, da es Italien trotz | |
| bestehender Rücknahmeabkommen etwa mit Tunesien nicht gelingt, im | |
| Asylverfahren nicht anerkannte Flüchtlinge tatsächlich in ihre | |
| Herkunftsländer zurückzubringen. Wie bisher schon werden sie als irreguläre | |
| Migrant*innen im Land bleiben oder in andere europäische Staaten | |
| weiterwandern. | |
| Den gleichen Effekt dürfte die von Melonis Regierung angestrebte | |
| Einschränkung des „besonderen Schutzes“ für jene Flüchtlinge darstellen, | |
| die kein Asyl erhalten, dennoch von den Kommissionen als in ihren | |
| Heimatländern durch Krieg bedroht anerkannt werden. Auch sie werden bei | |
| zukünftiger Nichtanerkennung das Heer der Irregulären vergrößern, nicht | |
| aber die Zahl der im Land präsenten Migrant*innen verkleinern. | |
| [3][So bleibt Meloni als letzte Hoffnung tatsächlich „Europa“]. Außer | |
| allgemeinen Absichtserklärungen, dass der Flüchtlingszustrom „eine | |
| europäische Frage“ sei, hat Italiens Ministerpräsidentin jedoch auf den | |
| letzten EU-Gipfeln nichts erreicht. Weder wurden gemeinsame Einsätze im | |
| Mittelmeer beschlossen noch macht die Revision der Dublin-Verträge – nach | |
| ihnen ist der jeweilige europäische Erstaufnahmestaat allein für die bei | |
| ihm eintreffenden Flüchtlinge zuständig – bisher Fortschritte. | |
| Stattdessen verweist zum Beispiel Frankreich gerne darauf, dass Italien | |
| sich bei den „sekundären Wanderungsbewegungen“ – sprich in den Fällen, … | |
| denen in Italien eingetroffene Menschen in andere EU-Länder weiterziehen – | |
| nicht kooperativ zeige und die Rücknahme der Flüchtlinge verweigere. Hinzu | |
| kommt, dass Italien bei der Flüchtlingsaufnahme keineswegs einen | |
| Spitzenplatz innehat: Im Jahr 2021 wurden dort 77.000 Anträge auf | |
| humanitären Schutz gestellt, während es in Deutschland 217.700, in | |
| Frankreich 137.500 und in Spanien 116.000 waren. | |
| 12 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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