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# taz.de -- Geflüchtete in Italien: Lampedusa am Limit, Meloni nervös
> Fast 7.000 Menschen sind in den letzten drei Tagen in Italien angekommen.
> Die Geflüchtetenzahlen werden noch deutlich ansteigen.
Bild: Das Schiff „Diciotti“ hat etwa 600 Menschen von Lampedusa nach Reggio…
Rom taz | In der Nacht auf Montag traf ein Schiff mit 650 Menschen aus
Syrien, Pakistan, Ägypten und Bangladesch im kalabrischen Hafen Roccella
Ionica ein. Von Freitag bis Sonntag kamen etwa 6.000 Menschen von Libyen,
vor allem aber von Tunesien aus an Italiens Küsten, vorneweg auf Lampedusa,
an.
Die Boote der italienischen Küstenwache waren unentwegt im Rettungseinsatz,
um die Flüchtlinge von meist kaum hochseetauglichen kleinen Nachen aus Holz
oder Metall an Bord zu nehmen. Mehr als 60 meist aus dem tunesischen Sfax
gestarteten Booten leistete die italienische Küstenwache Hilfe. Zahlreiche
erreichten auch aus eigener Kraft Lampedusa. Das dortige Erstaufnahmelager,
das 400 Plätze vorhält, platzte am Sonntag mit mehr als 2.400 beherbergten
Personen aus allen Nähten. Erneut ereigneten sich in den letzten Tagen
diverse Tragödien zwischen Tunesien und Lampedusa; allein in der letzten
Woche wurden 100 Ertrunkene registriert – so viele Opfer wie bei der
Katastrophe vor einem Monat [1][vor der kalabrischen Küste.]
Das Gros der Eingetroffenen stammt aus dem subsaharischen Afrika. Viele
haben sich auf den Weg gemacht, [2][weil Tunesiens Präsident Kais Saied
seit einem Monat gegen die im Land lebenden Migrant*innen aus
Schwarzafrika] hetzt und sie als Teil einer Verschwörung erklärt, die auf
die „Ersetzung“ der arabischen Bevölkerung durch Schwarze ziele. In der
Folge verloren zahlreiche Schwarze Wohnung und Arbeitsplatz und sind
Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt.
Schon jetzt zeichnet sich deshalb ab, dass die Flüchtlingszahlen deutlich
ansteigen werden. Bis zum 23. März waren fast 27.000 Menschen eingetroffen,
das Vierfache des im gleichen Vorjahreszeitraum erreichten Werts. Das
bisherige Spitzenjahr war 2016: Damals erreichten 180.000 Menschen Italien
auf der Mittelmeerroute.
## Die NGOs als „Pull Factor“ dargestellt
Entsprechend nervös ist die Rechtsregierung in Rom unter der
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. [3][Sie hatte die Flüchtlingsabwehr zu
einem ihrer politischen Ziele erklärt und umgehend ein Dekret
verabschiedet, das die Arbeit der auf hoher See in der Flüchtlingsrettung
aktiven NGOs erschwert]. Am Anstieg der Ankunftszahlen änderte dies jedoch
nichts, schlicht weil das Gerede des Innenministers von den NGOs als „Pull
Factor“, der die Migrant*innen erst zur Abreise verleite, keinerlei
Faktenbasis hat: Nur ein kleiner Bruchteil der Menschen in Seenot werden
von NGOs gerettet.
Und dieser Teil dürfte noch kleiner werden, weil die Regierung ihre
Schikanepolitik fortsetzt. Am Sonntag legten die italienischen Behörden das
– vom Künstler Banksy finanzierte – Schiff „Louise Michel“ im Hafen von
Lampedusa an die Kette. Das Vergehen der Besatzung bestand darin, dass sie
nach einem Rettungseinsatz nicht, wie von den Behörden angeordnet, sofort
den Hafen Trapani angelaufen hatte, sondern „eigenmächtig“ noch Menschen
aus weiteren Booten gerettet und damit gegen das Dekret verstoßen hatte.
Vom Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs vergangener Woche war Meloni
noch mit der Auskunft zurückgekehrt, sie habe endlich den Durchbruch bei
der Europäisierung der Flüchtlingspolitik erreicht – von einer
„kopernikanischen Wende“ war die Rede. Konkrete Maßnahmen wurden jedoch in
Brüssel nicht verabredet. Die Ministerpräsidentin hofft vorneweg, dass die
EU den Druck auf den Internationalen Währungsfonds erhöht, der einen
Milliardenkredit an Tunesien lockermachen soll, um die tiefe ökonomische
Krise zu mildern.
27 Mar 2023
## LINKS
[1] /Ertrunkene-Fluechtlinge-vor-Italien/!5915754
[2] /Migrantinnen-in-Tunesien/!5917526
[3] /Todeszone-EU-Aussengrenze/!5917247
## AUTOREN
Michael Braun
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Italien
Tunesien
Schwerpunkt Flucht
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Italien
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