| # taz.de -- Nach Bootsunglück vor Libyens Küste: Unglück mit Ansage | |
| > Unweit der libyschen Küste kentert erneut ein Flüchtlingsboot auf dem Weg | |
| > nach Italien. Dort wird gegen Melonis Flüchtlingspolitik demonstriert. | |
| Bild: Solidarität mit den Opfern eines Bootsunglücks vor der kalabrischen Kü… | |
| Rom taz | Erneut hat der Untergang eines Flüchtlingsbootes bei der | |
| Überfahrt von Libyen nach Italien zahlreiche Todesopfer gefordert. Das | |
| Unglück ereignete sich in internationalen Gewässern nordwestlich von | |
| Bengasi, als das Boot mit 47 Personen an Bord kenterte. 17 Menschen konnten | |
| am Sonntagnachmittag gerettet werden, doch 30 sind vermisst, mit sehr | |
| geringen Chancen, sie noch lebend zu finden. | |
| Es war ein Unglück mit Ansage, denn seit mehr als einem Tag wussten die | |
| italienischen ebenso wie die libyschen und maltesischen Rettungsleitstellen | |
| von der Notsituation, unternahmen jedoch nichts. Am Samstag um kurz nach | |
| zwei Uhr morgens waren sie von der NGO Alarm Phone alarmiert worden, die | |
| einen Notruf von den Flüchtlingen erhalten hatte. Alarm Phone hatte nicht | |
| nur die präzisen Koordinaten durchgegeben, sondern auch die | |
| Rettungsleitstelle in Rom auf ein in der Nähe befindliches Frachtschiff | |
| hingewiesen. | |
| Doch Italien unternahm vorerst nichts, das Frachtschiff setzte seinen Kurs | |
| fort, es wurde nicht zum Ort des Notfalls umdirigiert. Die | |
| Rettungsleitstelle in Rom beschränkte sich vorerst darauf, die libysche | |
| Küstenwache zu unterrichten, die ihrerseits untätig blieb. In der | |
| Zwischenzeit lieferte Alarm Phone von einem Aufklärungsflugzeug gelieferte | |
| Bilder, die auch durch die Medien gingen und die ganze Dramatik der | |
| Situation des von hohen Wellen hin- und hergeworfenen Bootes zeigten. Erst | |
| daraufhin wurde Italien tätig, beorderte aber keineswegs Rettungseinheiten | |
| der Küstenwache hinaus, sondern wies einige Handelsschiffe an, an den | |
| späteren Unglücksort zu fahren. | |
| Am Ende waren vier Schiffe vor Ort, doch auch sie unternahmen nichts, | |
| beschränkten sich über Stunden hinweg darauf, die Situation zu beobachten. | |
| Als dann endlich das Schiff Froland sich näherte, um einen Rettungsversuch | |
| zu unternehmen, kenterte das Flüchtlingsboot. | |
| ## Untätigkeit Italiens als mögliche Ursache | |
| Alarm Phone klagt jetzt an, die Untätigkeit Italiens sei ursächlich für den | |
| Tod von 30 Menschen, da „die italienischen Behörden vorsätzlich | |
| Rettungsmaßnahmen verzögert“ hätten, während sich die Wetterbedingungen | |
| Stunde um Stunde verschlechterten. | |
| Von einer „Schande für Italien“ sprach auch die neue Vorsitzende der | |
| Partito Democratico (PD), Elly Schlein. Sie erreichte die Nachricht, | |
| während sie auf der nationalen Versammlung der Partei in Rom zur | |
| Vorsitzenden proklamiert wurde – eine Schweigeminute für die Opfer wurde | |
| eingelegt. Für die Regierung antwortete Außenminister Antonio Tajani, der | |
| davor warnte, die Toten „zu instrumentalisieren“. Faktenwidrig behauptete | |
| Tajani, Italiens Küstenwache lasse Menschen in Seenot nie ohne Beistand. | |
| Italien erlebt mit dem Unglück vom Sonntag [1][die zweite | |
| Flüchtlingstragödie binnen zwei Wochen]. Am 26. Februar war vor der Küste | |
| Kalabriens ein von der Türkei abgefahrenes Boot gekentert. Während 80 | |
| Menschen gerettet werden konnten, ertranken mindestens 79 Personen. Auch in | |
| diesem Fall war die Küstenwache nicht ausgerückt, weil sie trotz schwerer | |
| See nicht von einem Notfall ausgegangen war. | |
| ## Demonstrationen gegen Melonis Flüchtlingspolitik | |
| Am Sonntag demonstrierten im kalabrischen Unglücksort Cutro etwa 5.000 | |
| Menschen [2][gegen die Flüchtlingspolitik der Rechtsregierung unter Giorgia | |
| Meloni], die jetzt die Strafen für Schleuser weiter verschärfen will. | |
| Bisher fiel sie aber vor allem dadurch auf, dass sie die Daumenschrauben | |
| gegen die in der Seenotrettung tätigen NGOs anzog und deren Schiffe nach | |
| jedem Rettungseinsatz per Zuweisung weit entfernt im Norden Italiens | |
| liegender Häfen systematisch aus dem Verkehr zieht. | |
| Hinter dieser Maßnahme steht die Behauptung, die NGOs würden mit ihren | |
| Einsätzen als „pull factor“ wirken und die Flüchtlinge überhaupt erst auf | |
| die Idee bringen, die gefährliche Fahrt übers Meer anzutreten. Obwohl die | |
| NGOs jetzt weitgehend blockiert sind, stiegen die Flüchtlingszahlen jedoch | |
| in diesem Jahr deutlich. Vom 1. Januar bis zum 10. März trafen etwa 18.000 | |
| Menschen übers Meer kommend in Italien ein, während es im gleichen | |
| Vorjahreszeitraum nur 6.000 waren. Allein Freitag und Samstag letzter Woche | |
| kamen vor allem [3][aus Tunesien] fast 3.000 Menschen auf Lampedusa an. | |
| Bei ihren Überfahrten spielten die NGOs keinerlei Rolle. Eine rettende | |
| Rolle hätten sie jedoch womöglich bei der Tragödie vom Sonntag spielen | |
| können. Die 20 Menschen ertranken akkurat in der Zone, in der die | |
| Rettungsschiffe regelmäßig aktiv waren, bevor sie durch die Schikanen der | |
| italienischen Regierung von dort vertrieben wurden. | |
| 13 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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