# taz.de -- Nach dem Bootsunglück vor Italien: Melonis Kommunikations-Unfall | |
> Italiens Rechtsregierung verabschiedet neue Maßnahmen gegen Schlepper. | |
> Plötzlich spricht sie auch von Wegen zu „regulärer Einwanderung“. | |
Bild: Giorgia Meloni leitet eine Kabinettssitzung im Rathaus von Cutro am 09.03… | |
ROM taz | Italiens Kabinett unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat am | |
Donnerstag in Cutro, dem Ort der letzten [1][Flüchtlingstragödie], ein | |
neues Maßnahmenpaket auf dem Feld der Flüchtlings- und Migrationspolitik | |
beschlossen. | |
Am 26. Februar waren mindestens 72 Personen vor der Küste Cutros tief im | |
Süden des Landes ertrunken, als ihr von der Türkei abgefahrenes Holzboot | |
nur 100 Meter vom Strand entfernt bei hohem Wellengang kenterte und | |
auseinanderbrach.Bis zu 40 Menschen werden noch vermisst, während 80 | |
Menschen gerettet werden konnten. | |
Seither geht eine Welle des Entsetzens und der Anteilnahme durch das Land. | |
Der Papst würdigte die Opfer ebenso wie Staatspräsident Sergio Mattarella, | |
der nach Cutro reiste, um sich vor den Särgen der Toten zu verneigen, und | |
auch [2][Elly Schlein], die neue Vorsitzende der größten Oppositionspartei | |
Partito Democratico, reiste zum Kondolenzbesuch in dem kalabrischen Ort an. | |
Gar nicht blicken ließen sich bis zum Donnerstag dagegen die | |
Vertreter*innen der ultrarechten Meloni-Regierung, beginnend bei der | |
Ministerpräsidentin selbst. Einzig der Innenminister Matteo Piantedosi war | |
bisher durch zynische Kommentare aufgefallen, zum Beispiel dass Eltern, die | |
mit ihren Kindern eine solche Überfahrt wagen, schlicht „unverantwortlich“ | |
seien. | |
## 30 Jahre Haftandrohung für Schlepper | |
Deshalb jetzt die Kabinettssitzung in Cutro: Giorgia Meloni wollte das in | |
der Öffentlichkeit entstandene Bild der kaltherzigen Teilnahmslosigkeit | |
geraderücken – und sie wollte zugleich Entschlossenheit auf dem Feld der | |
Flüchtlings- und Migrationspolitik demonstrieren. | |
Doch schon kommunikativ wurde der Ausflug zum Desaster. Empörte | |
Bürger*innen bewarfen den Wagen Melonis mit Plüschtieren, um an die | |
toten Kinder des Schiffsunglücks zu erinnern, und die postfaschistische | |
Ministerpräsidentin schaffte es nicht einmal, sich in die Sporthalle zu | |
begeben, in der die Särge aufgebahrt sind, aus Angst vor öffentlichen | |
Anfeindungen. | |
So reichte es nur zur Verabschiedung eines Maßnahmenpakets, mit dem die | |
Regierung „den Schleusern das Handwerk legen“ will, das aber an der | |
Migrationsdynamik wenig ändern wird. So sollen Schlepper, die für den Tod | |
von Passagieren verantwortlich sind, künftig bis zu 30 Jahre Haft erhalten | |
(bisher sind es 20 Jahre), und so sollen in Italien weitere Haftzentren für | |
die Rückführung von irregulären Migrant*innen in ihre Heimatländer | |
errichtet werden. | |
Zugleich verspricht die Regierung für die Zukunft die Stärkung regulärer | |
Zuwanderungswege – und dabei sollen Migrant*innen aus jenen Staaten | |
bevorzugt werden, die sich Italien gegenüber bei der Verhinderung | |
irregulärer Migration kooperativ zeigen, zum Beispiel dadurch, dass sie in | |
ihren Ländern Werbekampagnen schalten, die auf die tödlichen Gefahren der | |
irregulären Überfahrten hinweisen. | |
Dass jetzt überhaupt Italiens Rechte plötzlich von regulärer Zuwanderung | |
redet, liegt vor allem daran, dass die Arbeitgeberverbände händeringend den | |
Mangel an Arbeitskräften beklagen, in der Landwirtschaft, im Tourismus, | |
aber auch auf dem Bau und in der Industrie. | |
Keine Rolle spielte dagegen diesmal der von der Regierung eröffnete | |
[3][Kampf gegen die NGOs], denen Italiens Rechte seit der Machtübernahme im | |
Oktober 2022 mit zahlreichen Schikanen die Arbeit systematisch erschwert, | |
beginnend damit, dass den NGO-Schiffen nach jedem Rettungseinsatz weit vom | |
Einsatzgebiet liegende Häfen in Norditalien zugewiesen werden. | |
Propagandistisch mochte dieser Kleinkrieg gegen die NGOs für einige Wochen | |
in der rechten Wählerschaft ziehen, an der Migrationsdynamik hat er jedoch | |
nichts geändert. Ganz ohne NGO-Beteiligung trafen im Jahr 2023 deutlich | |
mehr Menschen von Libyen und Tunesien kommend an Italiens Küsten ein als | |
noch im Vorjahr. Allein am Donnerstag, dem Tag der Kabinettssitzung in | |
Cutro, wurde aus Lampedusa die Ankunft zahlreicher Boote mit rund 1.300 | |
Personen an Bord gemeldet. | |
10 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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