Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nach Bootsunglück vor Italiens Küste: 8.000 Euro für die Fahrt i…
> Nach der Flüchtlingstragödie vom Sonntag werden Vorwürfe gegen Italiens
> Regierung laut. Die reagiert mit der Androhung einer Verleumdungsklage.
Bild: Die Reste eines Bootswracks am 27. Februar am Strand von Cutro
Rom taz | Sie hatten das rettende Ufer schon fast erreicht, waren nur noch
etwa 100 Meter vom Strand des kalabrischen Dorfes Steccato di Cutro
entfernt, [1][als ihr Holzkahn bei schwerem Wellengang zerbarst], womöglich
weil er auf eine Sandbank oder auf einen Felsen gelaufen war. Und damit
wurde die Schiffsreise der Flüchtlinge zur Tragödie. Bis zum Montagmittag
wurden 62 Tote geborgen, während 81 Menschen das rettende Ufer erreichten;
bis zu 30 Personen werden noch vermisst.
Die Flüchtlinge an Bord stammten aus [2][Afghanistan], Pakistan, Iran,
Somalia und den palästinensischen Gebieten. Sie sollen für die Überfahrt
Beträge zwischen 5.000 und 8.000 Euro bezahlt haben. Ihre Reise begann am
Donnerstag im türkischen Izmir und führte an der griechischen Küste entlang
hin zur süditalienischen Region Kalabrien, wo sie am Sonntag um 4 Uhr
morgens ihr tragisches Ende nahm.
Zwar gelangt weiterhin das Gros der Flüchtlinge von Libyen und Tunesien aus
nach Italien, doch die Türkei-Route hat in den letzten Monaten ein
wachsendes Gewicht. 2022 sind von der Türkei aus etwa 29.000
[3][Flüchtlinge] Richtung Europa abgefahren, und immerhin 18.000 von ihnen
hatten Italien als Ziel, kamen an den Küsten Kalabriens und Apuliens an.
Die Route gilt gemeinhin als einigermaßen sicher, da das Gros der Reise in
Küstennähe erfolgt. Vor allem aber dürften viele Italien als Ziel
bevorzugen, weil die Aufnahmebedingungen in Griechenland oft genug
katastrophal sind und auch weil es von Italien aus wesentlich leichter ist,
sich in andere EU-Länder weiterzubewegen, als von Griechenland aus. Dort
nämlich bleibt nur die Balkanroute.
## Überlebende saßen in Schockstarre am Strand
Italiens Öffentlichkeit ist jetzt mit dramatischen Zeugenaussagen von
Menschen konfrontiert, die am Sonntag in Steccato di Cutro vor Ort waren.
„Ich habe drei, vier Kinder gesehen, die leblos von den Wellen an den
Strand getrieben wurden, nackt, da die Wellen ihnen die Kleider vom Leib
gerissen hatten“, berichtete der örtliche Bürgermeister dem [4][Corriere
della Sera]. 14 der 62 Toten sind Heranwachsende und Kinder, das kleinste
von ihnen nur wenige Monate alt.
Andere Zeugen nahmen entsetzt zur Kenntnis, dass die Überlebenden in
völliger Schockstarre, ohne auch nur ein Wort zu sagen, auf dem Strand
sitzend auf ihren Abtransport warteten. 21 Personen wurden ins Krankenhaus
eingeliefert, die anderen in eine Aufnahmeeinrichtung gebracht. Zwei Türken
und ein Afghane wiederum wurden als mutmaßliche Schleuser von der Polizei
festgenommen.
Schwere Vorwürfe erhob derweil in einer TV-Sendung am Sonntagabend der Arzt
und Seenotretter Orlando Amodeo, der früher in Polizeidiensten gestanden
hatte. Er beschuldigt die Behörden der unterlassenen Hilfeleistung,
erklärt, dass die Tragödie „fast gewollt“ erscheint.
Schließlich war das Flüchtlingsschiff schon am Samstag von einem Flugzeug
der EU-Grenzagentur Frontex gesichtet worden, hatten die italienischen
Behörden daraufhin zwei Schiffe mit einem Suchauftrag ausgesandt – sie dann
allerdings des schweren Seegangs wegen wieder zurückgerufen. Es sei
schlicht nicht wahr, dass bei diesem Seegang nicht gerettet werden könne,
er sei selbst habe Einsätze bei noch höheren Wellen durchgeführt, erklärte
der Arzt.
Aus dem Innenministerium kam darauf keine Antwort, sondern eine
Klageandrohung. „Die schwerwiegenden Falschbehauptungen“ würden einer
Prüfung unterzogen, um „den guten Ruf der Regierung, des Innenministers
Matteo Piantedosi sowie aller Abteilungen des Ministeriums zu verteidigen“.
27 Feb 2023
## LINKS
[1] /Schiffbruch-bei-Flucht/!5918214
[2] /Flucht-aus-Afghanistan/!5915664
[3] /Proteste-gegen-Fluechtlingsunterkunft/!5914233
[4] https://www.corriere.it
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Bootsflüchtlinge
Italien
Seenotrettung
GNS
taz Plan
Tunesien
Schwerpunkt Flucht
Italien
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Afghanistan
IG
Migration
## ARTIKEL ZUM THEMA
Bewegungstermine in Berlin: Warum Grenzen?
Im Schatten der globalen Krisen geht das Sterben an den Außengrenzen der EU
weiter. Eine Ausstellung rückt die Krise zurück ins Bewusstsein.
Gewalt gegen Schwarze aus Subsahara-Afrika: Hass von oben
Der tunesische Präsident Kais Saied befeuert mit seiner Rhetorik Proteste
und Hetze gegen Migration aus Subsahara-Afrika. Es kam auch zu Angriffen.
Nach Bootsunglück vor Libyens Küste: Unglück mit Ansage
Unweit der libyschen Küste kentert erneut ein Flüchtlingsboot auf dem Weg
nach Italien. Dort wird gegen Melonis Flüchtlingspolitik demonstriert.
Nach dem Bootsunglück vor Italien: Melonis Kommunikations-Unfall
Italiens Rechtsregierung verabschiedet neue Maßnahmen gegen Schlepper.
Plötzlich spricht sie auch von Wegen zu „regulärer Einwanderung“.
Ertrunkene Flüchtlinge vor Italien: Die EU ist mitschuldig
Wieder sind Menschen auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Aus
Brüssel und Rom sind nur scheinheilige Trauer-Floskeln zu hören.
Flucht aus Afghanistan: Die Mauern werden höher
Die Türkei wird zur Falle für aus Afghanistan geflohene Menschen. In
Abstimmung mit den Taliban wird nach Afghanistan abgeschoben.
Ukrainische Geflüchtete kehren zurück: Aus dem sicheren Europa in den Krieg
Weil sie ihrem Land vor Ort zu helfen wollen, kehren viele geflüchtete
Ukrainer*innen zurück. Darunter auch Frau und Sohn des Autors.
Fluchtroute über Bulgarien: 18 Tote in LKW gefunden
Anwohner entdeckten in einem Wald einen verlassenen LKW. Darin waren 52
Geflüchtete aus Afghanistan, 18 Menschen konnten nur tot geborgen werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.