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# taz.de -- Ukrainische Geflüchtete kehren zurück: Aus dem sicheren Europa in…
> Weil sie ihrem Land vor Ort zu helfen wollen, kehren viele geflüchtete
> Ukrainer*innen zurück. Darunter auch Frau und Sohn des Autors.
Bild: Ankunft einer Familie aus der Ukraine in Berlin am 4. März 2022
Luzk taz | Seit dem Beginn von Wladimir Putins Angriffskrieg am 24. Februar
2022 sind 1,1 Millionen Ukrainer*innen nach Deutschland geflohen.
Statistiken über die Anzahl der Geflüchteten, die, oft schon nach wenigen
Monaten, wieder zurückgekehrt sind, liegen nicht vor. Meine Familie wäre
ein Teil davon. Sie sind nicht die einzigen. Es gibt viele Ukrainer*innen,
die sich aus dem friedlichen Europa in ein vom Krieg zerrissenes Land
aufgemacht haben.
Gleich einen Tag nach dem 24. Februar 2022 boten uns viele Bekannte in
Deutschland Zuflucht an. Ich bedankte mich, lehnte jedoch jegliche Hilfe
ab. Denn ich war der Überzeugung, die schwere Zeit und die Bombenangriffe
würden bald vorbei sein – zumal zu jener Zeit die Feindseligkeiten nur im
Norden, Osten und Süden der Ukraine offen ausgebrochen waren.
In meiner Stadt Luzk, im Westen des Landes und circa 150 Kilometer von Lwiw
entfernt, gingen wir während der Luftangriffe in den Keller, wir lebten
alle in einem Raum, versteckten uns im Badezimmer. Wir folgten dem Prinzip
der „Verteidigung durch zwei Wände“. Nach den ersten Angriffen auf den
Militärflugplatz, die wir von unseren Fenstern aus beobachteten, gab es
eine Pause – die Russen ließen Luzk unangetastet.
Doch danach begann eine neue Angriffswelle, und viele rechneten mit einer
russisch-belarussischen Offensive aus dem Norden. Bis zur belarussischen
Grenze sind es von Luzk 150 Kilometer. Außerdem waren neue
Einwanderungsbestimmungen für Ukrainer*innen in Europa verabschiedet
worden, die es ihnen erleichterten, dem Krieg zu entkommen.
Zu diesem Zeitpunkt berichteten wiederum gute Bekannte, dass eine deutsche
Familie aus Potsdam bereit sei, Ukrainer*innen aufzunehmen. Mitte März
beschlossen wir, dass meine Frau und mein jüngerer Sohn fliehen würden.
Laut Kriegsrecht dürfen Männer zwischen 18 und 60 Jahren die Ukraine nicht
verlassen.
## Flucht nach Potsdam
Unsere neuen Freunde in Potsdam stellten Swetlana und Iwan die erste Etage
ihres Hauses zur Verfügung. Mein Sohn besuchte das
Leibniz-Mathematik-Lyzeum, und Swetlana bekam eine Stelle in einem Café.
Das half ihr nicht nur finanziell, sondern auch dabei, besser Deutsch zu
lernen. Neue Bekanntschaften entstanden, neue Gefühle kamen auf.
Da meine Frau und mein Sohn in Potsdam gemeldet waren, hatten sie Anspruch
auf Sozialleistungen. Außer der Sprachbarriere, die sie fast immer mit
Englisch überbrückten, ging es ihnen gut. Aber natürlich hatten sie etwas
Heimweh nach der Familie und ihrem Land.
Da die Ukrainer*innen freien Eintritt in den Museen bekamen, waren
Swetlana und Iwan jedes Wochenende in Berlin und Potsdam unterwegs. Fast
vier Monate später konnten sie sogar selbst Führungen durch die Städte und
Museen anbieten: Sie waren praktisch überall gewesen!
Was den Alltag betrifft, so gefielen ihnen die guten Verkehrsverbindungen
und die vielen Möglichkeiten für Radfahrer: Wir als Fahrradfanatiker in der
Ukraine haben es schwer mit zu wenigen Fahrradwegen und dem Respekt anderer
Verkehrsteilnehmer.
Iwan war von der Schule sehr angenehm überrascht – wegen der Lernprozesse,
die für ihn neu waren, und der guten Unterrichtsgestaltung. Uns hat die
Einstellung der Deutschen in den Familien sehr gefallen – der Respekt
voreinander, auch die herzlichen Beziehungen zu den Nachbarn und die Liebe
zu Parks und Grünanlagen.
Die Nachteile waren vor allem eine komplizierte Bürokratie, Warteschlangen
sowie Einschränkungen bei der Digitalisierung. Swetlana und Iwan erzählten
ihren Gastgebern, dass Postsendungen in der Ukraine in einem oder
anderthalb Tagen ankommen und es wohl möglich ist, ein Bankkonto innerhalb
von 10 Minuten und ohne persönliches Erscheinen zu eröffnen.
Aber dann kam der Frühling 2022. Die ukrainische Armee stoppte Wladimir
Putin kurz vor Kyjiw, und der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko
bekam Angst und zog sich von einer direkten Kriegsbeteiligung zurück – das
tut er eigentlich bis jetzt.
## Probleme in Deutschland
In unserer Region wurde es ruhiger, und parallel [1][bekamen Swetlana und
Iwan in Potsdam ein Wohnungsproblem]. Die Gastfreundschaft unserer Freunde
konnten wir nicht weiter in Anspruch nehmen, und in der Zwischenzeit war es
praktisch unmöglich geworden, eine Unterkunft in Deutschland zu finden.
Kurz vor dem Schulabschluss meines Sohnes und den damit verbundenen
Schwierigkeiten, seine Schulausbildung fortzusetzen, wollten sie nicht an
einen abgelegenen Ort in Deutschland umziehen. Außerdem hatten sie, zwei
Monate nach der Einreichung ihrer Unterlagen, [2][immer noch keinen Termin
für die Anmeldung eines Daueraufenthalts in Deutschland erhalten.]
Auf den Beginn eines Integrationskurses würden sie ebenfalls noch mehrere
Monate warten müssen. Deswegen beschlossen wir dann doch, dass Swetlana und
Iwan am Ende des Schuljahres in die Ukraine zurückkehren würden.
Aber diese Gründe für die Rückkehr sind nur formaler Natur. Vier Monate
Leben in Deutschland haben uns davon überzeugt, dass wir nicht bereit sind,
die Ukraine zu verlassen, selbst angesichts der russischen Bedrohung
physischer Zerstörung. Der Auslöser war Iwans Satz: „Papa, ich werde hier
nicht in Frieden leben können, solange ihr alle dort seid.“
## Nicht alle können zurück
Selbstverständlich ist unsere Entscheidung eine von Menschen, die an einem
Ort wie Luzk leben, der weit weg von der Front liegt. Für die
Bewohner*innen des Stadtviertels Saltiwka, in der Stadt Charkiw, oder
für die Menschen aus Mariupol kommt es überhaupt nicht in Frage, aus Europa
zurückzukehren. Wohin denn?
[3][Tausende von Menschen, die relativ sichere Regionen verlassen haben,
sind trotzdem in Europa geblieben. Das ist ihre Wahl.] Wir haben uns anders
entschieden, weil wir glauben, dass Europa nach unserem Sieg nicht
verschwinden wird. Dorthin werden wir reisen, arbeiten und studieren. Wir
müssen nur diese ganzen Stromausfälle, Luftangriffe und das tägliche
Sterben aushalten. In der Ukraine ist es für uns einfacher, uns selbst und
dem Land zum Sieg zu verhelfen.
Ironischerweise hat die größte Fluchtwelle der jüngsten Geschichte auch
ihre positiven Seiten. Millionen von Ukrainer*innen haben erfahren, wie
das alltägliche Leben in Europa funktioniert. Es handelte sich dabei nicht
um eine vorübergehende touristische Erfahrung, sondern um ein
grundsätzliches Verständnis des europäischen Lebensstils.
Ideal wäre es, mit einem Koffer voll besserer Fähigkeiten und Kenntnisse
zurück in die Ukraine zu kommen, um dabei zu helfen das Heimatland zum
Besseren zu verändern. Schön wäre es auch, [4][wenn wir mit westlichen
Geldern und russischen Reparationszahlungen unser Europa in der Ukraine
aufbauen] könnten.
Aus dem Russischen [5][Gemma Terés Arilla]
24 Feb 2023
## LINKS
[1] /Verteilungsschluessel-bei-Gefluechteten/!5845756
[2] /Ukrainische-Gefluechtete-in-Deutschland/!5906862
[3] /Ukrainische-Gefluechtete-in-Deutschland/!5901674
[4] /Wiederaufbau-der-Ukraine/!5887128
[5] /Gemma-Teres-Arilla/!a100800/
## AUTOREN
Juri Konkewitsch
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