# taz.de -- Musical von und mit ukrainischen Kindern: Der Planet der strickende… | |
> An der migrantischen Bühne „Thespis“ in Bautzen spielen ukrainische | |
> Kinder ein Neujahrsmusical. Es geht um die Sehnsucht nach Licht und nach | |
> Frieden. | |
Bild: Die Kinder haben sich die Geschichte des Musicals auch selber ausgedacht | |
Einer der kleinen Schauspieler muss schnell noch einmal pullern, dann kann | |
es losgehen. Im oberen Saal des Bautzener Thespis-Zentrums herrscht | |
Gedränge, etwa 60 Personen fasst der Raum. In der Mehrzahl sind geflüchtete | |
Frauen aus der Ukraine gekommen, deren Kinder ein musikalisches Märchen zum | |
Neujahrsfest einstudiert haben. Keines ist älter als 12 Jahre, und einige | |
der 14 Aktiven kommen aus dem arabischen Raum. | |
Die Mischung ist charakteristisch für diesen bürgerbühnenähnlichen Ableger | |
des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen. „Thespis“ vermittelt und | |
fördert künstlerisch seit 2018 Kontakte zwischen Migrantinnen und Migranten | |
wie auch mit der nicht gerade als ausländerfreundlich geltenden Bautzener | |
Bevölkerung. | |
Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem Eintreffen der von dort | |
geflohenen Familien haben sich die Akzente verschoben. Im Mai 2022 holte | |
Theaterintendant Lutz Hillmann außerdem mit [1][Georg Genoux] einen | |
„osterfahrenen“ Leiter an das Zentrum. Der in Hamburg aufgewachsene | |
46-jährige Anhänger des partizipativen Theaters hat in Moskau studiert und | |
praktiziert, in der Ukraine und in Sofia gearbeitet. Schon vor Kriegsbeginn | |
stieß er in der Ostukraine Theaterprojekte an, in instabilen Zonen, wo | |
Moskau seit Längerem auf eine Annexion der Donbass-Gebiete hinarbeitet. | |
Zu Beginn des Musicals erscheinen Genoux und zwei Assistentinnen in einer | |
fiktiven Schaffneruniform. Vom Servierwagen aus schenken sie Tee ein. Aha, | |
es geht auf eine Reise, versteht man sogleich, ob nun per Bahn oder | |
fliegend. Eine Reise, die etwas mit dem in Russland wie in der Ukraine | |
bedeutsamen Neujahrsfest zu tun haben soll. Seit der Kalenderumstellung | |
durch Peter den Großen im Jahr 1700 fällt es mit dem zentraleuropäischen | |
Neujahr am 1. Januar zusammen, hatte in der Sowjetunion sogar den Charakter | |
eines Ersatzfestes für das unterdrückte Weihnachten. Nun muss es den | |
Geflüchteten im Exil heimatliches Flair ersetzen. | |
## Ein Wunder, gemeinsam mit den Kindern ausgemalt | |
Wegen einer Krankheitswelle unter den kleinen Mitspielern musste die für | |
den 19. Dezember geplante Premiere verschoben werden. Aber der Geist dieser | |
Stückentwicklung ist nicht an den Anlass gebunden und wird auch bei den | |
folgenden Vorstellungen im März noch wirken. In der Ankündigung ist vom | |
Aufleuchten des „Wunders des Neujahrsfestes“ die Rede. „Zurück mit dem | |
Licht!“ ist die knapp einstündige Aufführung denn auch überschrieben. | |
Dramaturgin Yana Hummena, Regisseurin Olga Bakukha und Genoux’ Frau | |
Anastasia Tarkhanova haben sich gemeinsam mit den Kindern dieses Wunder | |
ausgemalt. | |
Welche Sehnsüchte sich in der märchenhaften Geschichte ausdrücken, wird | |
schnell klar. Ein kleiner Junge, noch ein Knirps im Wollpullover, | |
durchstreift einen Kosmos von Stationen auf der Suche nach dem Licht. Er | |
ist nicht der Kleine Prinz bei Saint-Exupéry, aber eine ähnlich unschuldige | |
und doch schon weise Figur. Er will eigentlich „den Planeten schmücken“, | |
aufbauen und das Licht feiern. Mit seinen Gefährten, die er in den | |
Fantasiewelten trifft, steht er für das helle Prinzip. | |
Folgerichtig steht ihm plötzlich die personifizierte Finsternis gegenüber, | |
ein überzeugend dämonisch wirkendes Mädchen im schwarzen Kleid. Sie hält | |
jede Feier für schädlich und will den Jungen vernichten, der „nicht stark | |
und mächtig, sondern glücklich sein will“. | |
Mit solcher Dichotomie geht es auf anderen Stationen weiter, etwa auf der | |
düsteren Burg der Wölfe. Aber es gibt dort auch ein sympathisches | |
„Wölfchen“. Zu ihnen gesellen sich zwei Exemplare vom Planeten der | |
knuddeligen Spinnen, die helfen wollen, die Wunderlampe des Planeten von | |
der Finsternis zurückzuholen. Die Fantasie der Kinder bei der | |
[2][Stückentwicklung] gebar auch einen Planeten der Omas, die Schals für | |
ihre Enkel stricken. Die erscheinen durchaus punkig, wie die auf allen | |
Stationen eingestreuten Lieder unterstreichen. Darunter ist eines von den | |
Feinden des Lichts in den Tiefen des Ozeans. | |
Vor dem Hintergrund des akuten Krieges drängen sich Assoziationen geradezu | |
auf. Die zugespitzte Auseinandersetzung zwischen dunklen und hellen Mächten | |
hat offenbar auch die Seelen dieser entwurzelten Kinder erfasst. Deutlicher | |
kann die letzte Station eines Europa-Satelliten als Hoffnungsträger nicht | |
benannt werden. Die Finsternis triumphiert nur scheinbar: „Ihr werdet mich | |
nicht so leicht los. Die Menschen werden immer Angst haben“, droht sie. Das | |
nahe gehende gemeinsame Schlusslied vom zurückzuholenden Licht aber hebt | |
diese Drohung auf. | |
Ja, die Ukraine dominiere derzeit völlig bei Thespis, räumt Georg Genoux | |
ein. Eine wichtige Aufgabe sei dabei die Wahrung der Balance mit | |
Flüchtlingen aus anderen Konfliktgebieten, die sich nicht zweitklassig | |
fühlen dürften. Die etwas zu kurz kommende Fühlung mit Bautzener Einwohnern | |
aber wird wiederbelebt werden. Vorbereitet wird ein verbindendes | |
Fußballprojekt. | |
7 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Theater-Regisseur-Georg-Genoux/!5869615 | |
[2] /Theaterstueck-Soul-Almanya-in-Celle/!5559319 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
## TAGS | |
Theater | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Musical | |
Kinder- und Jugendtheater | |
Oper | |
Theater | |
IG | |
Theatertreffen Berlin | |
Proteste in der Ukraine | |
Jazz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Komponistin über Flucht als Opern-Thema: „Wir stumpfen langsam ab“ | |
Die Komponistin Cat Hope zeigt ihre Oper „Speechless“ in Hamburg. Texte | |
gibt es in dem Stück nicht, dafür aber Sänger*innen mit Fluchterfahrung. | |
Stückentwicklung mit JVA in Jena: Leben weggesaugt | |
Die Zeit, die nicht vergehen will: In Jena erzählt das Theaterstück „Knast�… | |
über Alltag, Zermürbung und mangelnde Einsicht in einer JVA. | |
Ukrainische Geflüchtete kehren zurück: Aus dem sicheren Europa in den Krieg | |
Weil sie ihrem Land vor Ort zu helfen wollen, kehren viele geflüchtete | |
Ukrainer*innen zurück. Darunter auch Frau und Sohn des Autors. | |
Berliner Theatertreffen 2023: In der Wirrnis der Gegenwart | |
Der Platz fürs Spielerische wird auf dem Theatertreffen gerahmt von | |
politischen Themen. So geht es etwa um Militarisierung und Feminismus. | |
Regisseur über sein Stück zum Krieg: „Maul aufmachen! Nicht schweigen!“ | |
Regisseur Lukasz Lawicki reiste in die Ukraine und schrieb dann das Stück | |
„14 Tage Krieg“. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Angst und Waffen. | |
Konzeptalbum über Hafenstadt Odessa: Klangerinnerungen an besonderen Ort | |
Der ukrainische Jazzpianist Vadim Neselovskyi setzt seiner Heimatstadt ein | |
musikalisches Denkmal: „Odesa: A Musical Walk Through a Legendary City“. |