# taz.de -- Regisseur über sein Stück zum Krieg: „Maul aufmachen! Nicht sch… | |
> Regisseur Lukasz Lawicki reiste in die Ukraine und schrieb dann das Stück | |
> „14 Tage Krieg“. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Angst und Waffen. | |
Bild: Szene aus dem Stück „14 Tage Krieg“: Statt um die Ästhetisierung de… | |
taz: Ästhetisieren Sie mit Ihrem Theaterstück „14 Tage Krieg – eine | |
Momentaufnahme“ den Ukraine-Krieg, Herr Lawicki? | |
Lukasz Lawicki: Nein, das passiert in den Medien! Wir sehen jeden Tag | |
zerbombte Häuser, bekommen eine Schreckensnachricht nach der anderen und | |
Informationen über militärische Fortschritte. Wir reden aber nicht über die | |
Menschen, die direkt betroffen sind. 2014 ging es auf der Krim los, dann | |
wurde es Normalität und wir haben es alle vergessen – obwohl der Krieg nie | |
aufgehört hat. Die Ästhetisierung des Krieges liegt mir fern, aber einen | |
künstlerischen Umgang damit schließe ich nicht aus. | |
Warum wollten Sie jetzt dieses Stück machen, das gerade bei der Sparte 7 im | |
Staatstheater Oldenburg zu sehen ist? | |
Die Idee entstand aus einem Gefühl der Machtlosigkeit. Als es 2022 in der | |
Ukraine erneut losging, hab ich gespendet – hatte aber auch das Gefühl, das | |
reicht nicht! Da war schnell klar: [1][Ich muss in die Ukraine fahren und | |
mit Menschen sprechen], ihre Stimmen für uns hörbar machen. Für mich ist | |
das die Konsequenz aus einer kapitalistischen Sichtweise, die wir als | |
normal akzeptiert haben: Wir nutzen den globalen Handel, aber wir sehen | |
nicht, was wir damit im Einzelnen anrichten, beispielsweise in | |
Militärdiktaturen oder scheinheiligen Demokratien. | |
Welche Bilder wollen Sie denen entgegensetzen, denen wir täglich ausgesetzt | |
sind? | |
[2][Die Bilder der Menschen] und die Menschlichkeit! Ich habe den | |
Interviews, die ich geführt habe, viel Zeit und Raum gegeben: Wie hat sich | |
das Leben, der Alltag drei Monate nach Ausbruch des Krieges verändert? Mein | |
Text basiert auf meinen Erfahrungen und den Gesprächen mit den Menschen, | |
die dort leben. Ich will ihnen ein Gesicht geben, ihre Namen nennen. Wir | |
müssen aufhören, sie als eine graue Kriegsmasse zu begreifen. Ich habe mich | |
bewusst entschieden, so wenig wie möglich von der Zerstörung zu zeigen und | |
setze auf die persönlichen Geschichten meiner Protagonist:innen. | |
Wie haben Sie diese Menschen kennengelernt? | |
Das war kompliziert: Zwei Wochen vor meiner Abreise hatte ich noch keine | |
Kontakte. Dann erfuhr ich aus den Medien von Oleksii Palianychka, einem | |
ukrainischen Theatermacher – aus diesem Kontakt entstanden am Ende alle | |
weiteren Verbindungen. Ich habe in L’viv vor allem mit Theaterschaffenden | |
gesprochen, in Kyiv mit der Schauspielerin Marichka S., in Irpin mit Yuna | |
D., einer Englischlehrerin, dazu mit Menschen, die aus Luhansk geflohen | |
sind, zum Beispiel Anja K., einer Psychologin, die mit ihren kleinen | |
Kindern mehrere Monate im Luftschutzbunker saß. | |
Wie nahe waren Sie an der Front? | |
Ich hatte vor Ort das Gefühl, dass ich näher ran müsste – war aber | |
mindestens 500 Kilometer von den Kampfhandlungen entfernt. Um das zu | |
erzählen, was ich erzählen wollte, musste ich aber nicht an die Front. | |
Wie haben Sie den Alltag in der Ukraine erlebt? | |
Sehr unterschiedlich. Teilweise können die Menschen nur von heute auf | |
morgen planen. Viele von ihnen wollten sich nicht mehr verstecken und waren | |
es müde, [3][in den Luftschutzkeller zu gehen]. Wieder andere sind | |
traumatisiert, zerrissen, resignieren. In Irpin, wo es zu starken | |
Kampfhandlungen gekommen war, haben die Menschen aufgeräumt und sind in | |
Häuser, die nur zur Hälfte zerbombt waren, wieder eingezogen. Viele sagten: | |
Wir wissen genau, wie es Flüchtlingen in Westeuropa ergeht – und wollten | |
das Land nicht verlassen. | |
Ist in Zeiten des Krieges auch noch Platz fürs Theater? | |
Nach der Invasion ist zunächst an vielen Orten [4][das Theaterleben | |
eingestellt worden] und die Theater wurden zu Schutzräumen, Lagern oder | |
Unterkünften umfunktioniert. Danach haben sie aber wieder begonnen, den | |
Spielbetrieb aufzunehmen. Die Menschen verarbeiten ihr eigenes Leben, das | |
Hier und Jetzt auf der Bühne. Das hat eine ganz andere Qualität auch als | |
dokumentarisches Theater: Es bekommt eine therapeutische Funktion. Oleksii | |
Palianychka sagte mir: Kinder brauchen die Illusion der Normalität und des | |
Alltags. | |
Hatten Sie Angst? | |
Zunächst nicht. Als ich das erste Mal einen Luftalarm mitbekommen habe, war | |
ich aber schon sehr aufgeregt. Das hat sich gelegt – ich wollte mit den | |
Ukrainern möglichst angstfrei durch die gemeinsame Zeit kommen. Als ich | |
wieder in Deutschland war, kam aber die Angst: Leben die Menschen noch, die | |
ich kennengelernt habe? Wessen Haus wurde getroffen? Ich bekomme gerade | |
Fotos aus der Stadt Soledar, die im Osten, am Frontverlauf liegt – mit | |
Bildern zerstörten Straßen und Häusern. | |
Wie entstand aus all diesen Eindrücken und Gesprächen ein Theaterstück? | |
Ich habe mehrere Textfassungen gemacht. Ich wollte die [5][Geschichten der | |
Menschen] nach Deutschland tragen, respektvoll sein, aber auch den | |
Schrecken des Krieges auf der Bühne zeigen, ohne vulgär zu sein. Zuerst | |
habe ich versucht, mich sachlich zu nähern, aber das ist mir nicht | |
gelungen. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Deswegen habe ich am Ende | |
entschieden, einen emotionalen Zugang zu suchen. | |
Hierzulande wird die Frage der Waffenlieferungen stark diskutiert. Denken | |
Sie da heute anders als vor der Reise? | |
Ja! Ich habe in zwei Ländern den Militärdienst aus voller Überzeugung | |
verweigert – in Polen und in Deutschland. Waffenlieferungen waren ein No-Go | |
für mich. Als ich jetzt gesehen habe, was in der Ukraine passiert ist, | |
welche Auswirkungen der Krieg hat, habe ich meine Meinung geändert. Ich | |
finde, dass wir den Menschen dort eine Selbstverteidigung ermöglichen | |
müssen. Wir sind verpflichtet, Menschen, die einen demokratischen | |
Rechtsstaat anstreben, dabei zu unterstützen. Ein Gesprächspartner sagte | |
mir: Wenn unser Militär versagt, dann brauchen eure humanitären | |
Organisationen nur noch Leichensäcke zu liefern. Dann gibt es nichts mehr, | |
wofür man spenden kann. Der Dialog ist unfassbar wichtig, aber gerade ist | |
kein echter Dialog möglich. Es fehlt der politische Druck dafür. Eines habe | |
ich auf der Reise gelernt: Maul aufmachen! Nicht schweigen! | |
Wie haben die Zuschauer:innen in Oldenburg reagiert? | |
Das Stück hört nicht auf, wenn der letzte Text gesagt ist, es gibt immer | |
ein Nachgespräch, zum Teil sind die ukrainischen Protagonist:innen | |
dabei oder zugeschaltet. Die Resonanz ist gut. Wenn im Saal 130 Leute | |
sitzen und nur drei von ihnen gehen gleich, ist das sehr gut. Das ist mir | |
wichtig: dass die Leute hier mit den Menschen in der Ukraine sprechen. | |
26 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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