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# taz.de -- Dokumentarfilm „Shidniy front“: Soldaten wider Willen
> Der Ukraine-Krieg als Dokumentation: Der Film „Shidniy front“ von Vitaly
> Mansky und Yevhen Titarenko begleitet ein Sanitätsbataillon in der
> Ukraine.
Bild: Ein Verletzter wird geborgen, Szene aus „Eastern Front“
Seit den ersten Tagen des russischen Angriffskriegs, im Februar 2022, steht
der Rettungswagen der „Hospitaliters“ nicht still. Zu Beginn des
Dokumentarfilms „Shidniy front“ („Eastern Front“) von Vitaly Mansky und
Yevhen Titarenko fährt die Besatzung des Rettungswagens wörtlich um das
Leben des Patienten, den sie im Wagen versorgen. „Kurve!“ kündigen die
Fahrer Straßensperre um Straßensperre nach hinten an.
Einmal kostet es wertvolle Sekunden, bis ein Laster, der in die
Gegenrichtung vor der Straßensperre steht, zurückgesetzt hat. Als die
Fahrer endlich melden, dass das Krankenhaus näher rückt, hämmern
Bremsschwellen von unten an den Wagen, bevor er die lang herbeigesehnte
Auffahrt hinauf fährt.
Der Film „Eastern Front“ (in der Reihe Encounters) beginnt
nervenaufreibend. Die Sequenz ist ein kluger Auftakt zu einem Film über
einen Krieg, über den alle überall immer schon alles zu wissen glauben. Wie
in jeder Krankenhausserie ist in den Minuten, die die Fahrt zum Krankenhaus
dauert, alles außerhalb des Krankenwagens wie weggewischt, alle
Aufmerksamkeit gilt dem einen Menschenleben. Und das erfasst die Mission
des freiwilligen Sanitätsbataillons, zu dem die Crew des Krankenwagens
gehört, recht genau.
## Der Dokumentarfilmer, der Sanitäter wurde
„Eastern Front“ hat eine klare Aufgabenteilung. Der ukrainische Koregisseur
Yevhen Titarenko ist Teil des Sanitätsbataillons, er drehte die Einsätze im
Kriegsgebiet, der in der Ukraine geborene russische Co-Regisseur Vitaly
Mansky spricht den Kommentar. Bis 2014 besaß Titarenko eine
Produktionsfirma und Filmschule auf der Krim, nach dem russischen Überfall
auf die Krim ging er als Dokumentarfilmer nach Donezk, seit dem Februar
2022 ist er Teil der Hospitaliters.
Mansky unterzeichnete 2014 einen Solidaritätsaufruf mit der Ukraine und
siedelte nach Riga über. [1][2016 drehte er einen Film über seine Familie,
die in der Westukraine, auf der Krim und im Osten der Ukraine lebt:
„Rodnyje“ (Familienbande)]. Seit September 2022 steht er auf der Liste
gesuchter Personen des russischen Innenministeriums.
„Eastern Front“ zeigt keine Kampfszenen. Der Krieg ist in dem Film –
ähnlich wie in [2][Mantas Kvedaravičius’ Dokumentarfilm „Mariupolis 2“]…
dem letzten Jahr – vor allem durch die Zerstörungen sichtbar, die er
hinterlässt. Während der Fahrten des Sanitätsteams zeigt die Kamera
Titarenkos Wohnblöcke, die durch den wahllosen Beschuss durch russische
Artillerie komplett zerstört sind und Landschaften, die von
Granateinschlägen zerfurcht sind.
Bei einem ihrer Einsätze kommen die Sanitäter zu einem Rinderhof, der unter
Beschuss geraten ist. Fliegen schwirren über toten Tieren, dazwischen
stehen lebende Rinder ratlos auf dem Weg, etwas weiter sind andere Rinder
im Schlamm der Granatkrater versunken. Einige versuchen noch, aus dem
Schlamm herauszukommen, andere haben schon aufgegeben. Die Sanitäter
bemühen sich ihrerseits, einige der Rinder aus dem Schlamm zu befreien.
Erfolglos. Einer der Männer vergleicht den Anblick mit einem Bild aus einem
der Höllenkreise Dantes.
Zwischen diese Szenen von der Front sind Momente im Hinterland gesetzt. In
einer kleinen Gruppe sitzen einige der Sanitäter am Ufer eines Sees im
Kreis und erzählen sich, wie sich der russische Überfall 2014 und der
jetzige Krieg da, wo sie gewohnt haben, ausgewirkt hat, wie er ihre
Familien gespalten oder zusammengeführt hat.
„Eastern Front“ zeigt die Sanitäter als Soldaten wider Willen. Hätte
Russland ihr Land nicht überfallen, hätten sie Besseres zu tun. Im Wechsel
zwischen Front und Hinterland wird die Zivilgesellschaft der Ukraine
sichtbar, wird sichtbar, dass große Teile der ukrainischen Gesellschaft den
Krieg als eine Notwendigkeit sehen, der man sich nicht entziehen kann.
24 Feb 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
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Ukraine
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