| # taz.de -- Berlinale-Sektion Generation: Hoffen auf eine bessere Welt | |
| > Identität, Ukraine, Monstersagen: Die Kinder- und Jugendfilme der | |
| > Berlinale liefern für aktuelle Krisen und soziale Fragen einen | |
| > Lichtblick. | |
| Bild: Ashish (Om Bendkhale) in „Aatmapamphlet“ | |
| Kunst müsse die Stimme gegen das Böse sein, so formulierte es der | |
| ukrainische Präsident Wolodimir Selenski in einer Videoschalte [1][bei der | |
| Berlinale-Eröffnung.] Dass sich die 73. Ausgabe des Filmfestivals also auch | |
| mit den Widrigkeiten des aktuellen Weltgeschehens beschäftigt, ist nur | |
| konsequent. | |
| Auch das Kinder- und Jugendprogramm der Berlinale, das seit 1978 | |
| internationales Gegenwartskino für junge Zuschauer*innen (unterteilt in | |
| die Sektionen Generation Kplus, für Kinder ab fünf Jahren sowie 14plus, für | |
| Jugendliche) zugänglich macht, widmet sich dem, was uns gesellschaftlich | |
| umtreibt. | |
| So zeigt etwa das Dokumentarfilmprojekt der ukrainischen Regisseurin Alisa | |
| Kovalenko, wie sich das Leben im Kriegsgebiet auf junge Menschen auswirkt, | |
| wie Angst und Verzweiflung, aber auch Langeweile und Perspektivlosigkeit | |
| ihren Alltag bestimmen. | |
| Anders als viele Produktionen, die sich ausschließlich an Erwachsene | |
| richten, haftet den 25 Lang- und 31 Kurzfilmen der | |
| Berlinale-Generationssektion meist auch etwas Hoffnungsvolles an. | |
| Kovalenkos Protagonist*innen etwa reisen in „My ne zgasnemo“ („We Will | |
| Not Fade Away“) nach Nepal, um an einer Himalaja-Expedition teilzunehmen | |
| und eine Welt fern von Bombenhagel und Maschinengewehrsalven | |
| kennenzulernen. | |
| Diese vom ukrainischen Sportjournalisten Valentyn Shcherbachev initiierte | |
| Reise zeigt den fünf Jugendlichen nicht nur eine neue Landschaft, sie | |
| vermittelt ihnen neue Perspektiven, ermöglicht das Entdecken anderer | |
| Lebensrealitäten und stärkt ihren Zusammenhalt. | |
| ## Jugendfilme für Erwachsene | |
| Neben Werken wie Enzo d’Alòs Zeichentrickfilm „A Greyhound of a Girl“ od… | |
| dem slowakischen Spielfilm „Mimi“ von Mira Fornay, die eindeutig dem Genre | |
| Kinder- und Jugendfilm zuzuordnen sind, wollte man bei der Auswahl auch | |
| Filme miteinbeziehen, die über diese klassische Bezeichnung hinausgingen, | |
| sagt Melika Gothe, zuständig für die Filmvermittlung der Sektion Generation | |
| im Podcast „wieso?, weshalb?, warum?“. Thematisch müsse es für ein junges | |
| Publikum passen, ihre Lebensumstände und Sichtweisen widerspiegeln. | |
| Ein Film, der das schaffen dürfte, gut und gern auch in der | |
| Panorama-Sektion laufen könnte, ist „Mutt“. Ab 14 Jahren freigegeben, | |
| richtet sich das Spielfilmdebüt des chilenisch-serbischen Filmemachers Vuk | |
| Lungulov-Klotz zwar qua Sektion an ein jüngeres Publikum. | |
| Die Geschichte um den jungen trans Mann Feña ist aber durchaus Kino für die | |
| gesamte (Wahl-)Familie. Denn nicht nur von seinen Eltern hat Feña sich | |
| distanzieren müssen, auch die Beziehung zur Schwester und dem ehemaligen | |
| Partner haben durch den Transitionsprozess gelitten. Als binnen eines | |
| Tages die verloren Geglaubten wieder in Feñas Leben auftauchen, treiben | |
| auch Schmerz und Wut erneut an die Oberfläche. | |
| Unaufgeregt und doch mitreißend weiß Lungulov-Klotz diese | |
| Coming-of-Age-Story zu inszenieren, Lío Mehiel als Protagonist vermittelt | |
| Feñas Zerrissenheit indes überaus gekonnt. Denn neben dem Schmerz ist da | |
| auch Hoffnung, dass aus dem, was Feña seinetwillen hinter sich gelassen | |
| hat, etwas Neues entstehen kann. Die Message des Films kommt letztlich von | |
| Feñas Kumpel Aidan: „Be proud instead of straight“. | |
| ## Konversionstherapie in Argentinien | |
| Auch „Almamula“ von Juan Sebastian Torales greift für seinen Film eine | |
| queere Thematik auf. In seiner Heimatstadt Santiago del Estero, im Norden | |
| Argentiniens, wird Protagonist Nino (Nicolás Díaz) ständig von anderen | |
| Kindern angegriffen. Deren Eltern beschweren sich bei Ninos Eltern und | |
| brandmarken den Jungen als schlechten Umgang – aufgrund seiner | |
| Homosexualität. Ein kurzfristiger Umzug aufs Land soll’s richten und eine | |
| Art Keuschheitsseminar des dortigen Priesters alle „vom Wege Abgekommenen“ | |
| heilen. | |
| Doch noch einschüchternder als die Homophobie seines Umfelds wirkt auf Nino | |
| die Sage um das titelgebende Monster, das im Wald lebt und diejenigen holt, | |
| die sich fleischlichen Sünden hingeben. Die Almamula sei Überbleibsel der | |
| Kolonialisierung, sagt Torales im Gespräch mit der taz. Mithilfe des | |
| Schauermärchens hätten die christlichen Kolonialisten versucht, die | |
| sexuelle Freiheit der indigenen Bevölkerung zu beschneiden. | |
| Mit Erfolg; noch heute erzähle man sich diese Mär, um alles vermeintlich | |
| Unkonventionelle zu diskreditieren, so Torales. Mit seinem zwischen Mystery | |
| und Jugenddrama changierenden Spielfilmdebüt setzt der Argentinier dem | |
| etwas entgegen und hinterfragt geschickt die Dichotomie zwischen Gut und | |
| Böse. | |
| ## Schüler gegen das Kastensystem | |
| Hoffnung auf eine bessere Welt macht auch der indische Beitrag | |
| „Aatmapamphlet“ von Ashish Avinash Bende (Generation 14plus). Hier folgen | |
| wir dem Jungen Ashish (Om Bendkhale) beim Aufwachsen und seiner sich | |
| entwickelnden Liebe für die gleichaltrige Srushti (Pranjali Shrikant). | |
| Während Religion und das indische Kastensystem Ashishs Liebe und | |
| Freundschaften im Älterwerden auf eine harte Probe stellen, behaupten sich | |
| die jungen Menschen gegen die soziale Spaltung. Mit Einflüssen aus dem | |
| Bollywood-Kino kreiert Avinash Bende eine wunderbare Komödie, die auch als | |
| gegenwärtige Klassismuskritik gelesen werden kann. | |
| Mit ihrer Auswahl an Kinder- und Jugendfilmen beweist die neue Leitung der | |
| Sektion Generation – neben Melika Gothe ist seit September 2022 Sebastian | |
| Markt zuständig – ein Feingespür für aktuelle Themen. Viele der | |
| diesjährigen Beiträge liefern zudem Inspiration für eine wichtige Frage: | |
| Welche Zukunft erwartet die Kinder und Jugendlichen von heute? Diese zu | |
| beantworten, könnte Aufgabe der kommenden Berlinalen werden. | |
| 23 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
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