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# taz.de -- Regisseurin über Kinofilm „Sonne“: „Vor der Sonne sind alle …
> Ihr Spielfilmdebüt „Sonne“ hat die Regisseurin Kurdwin Ayub im
> TikTok-Stil gedreht. Die Migrationsgeschichten zeigen auch die
> Gemütlichkeit von Wien.
Bild: Juvenile Stars: Yesmin (Melina Benli), Bella (Law Wallner) und Nati (Maya…
taz: Frau Ayub, in einem Antrag zur Filmförderung schrieben Sie, dass Sie
einen Film machen wollten, der Migrationsgeschichten richtig erzählt,
„nicht so falsch, wie es sich meist anfühlt“. Was fühlt sich denn meist
falsch an?
Kurdwin Ayub: Ich habe viele Geschichten gesehen, die entweder kitschig
waren oder in denen die Charaktere etwas sehr Leidendes an sich hatten. Da
wird dann immer Mitleid generiert und das wollte ich verhindern. Ich wollte
mal was Authentisches erzählen, etwas, wo Zuschauer*innen mit demselben
Migrationshintergrund oder einem ähnlichen dasitzen und sich denken „Ah,
meine Familie ist genau so“.
Und hat das Ihrer Meinung nach funktioniert?
Ja, viele sind danach zu mir gekommen und haben gemeint, sie fühlten sich
an sich und ihre Familien erinnert. Das freut mich sehr. Damit habe ich
quasi mein Ziel erreicht.
In Ihrem ersten Spielfilm „Sonne“ geht es um drei weibliche Jugendliche,
die mit einem Video viral gehen, in dem sie mit Hijabs bekleidet zu „Losing
My Religion“ von R.E.M. performen. Das Kopftuch steht hier aber nicht als
Zeichen der Unterdrückung, oder?
Für mich war es wichtig zu zeigen, dass wenn Yesmin ihr Kopftuch trägt oder
eben nicht, es immer ihre Entscheidung ist. Deswegen gibt es auch nie einen
Moment, wo ihre Eltern etwas dazu sagen oder mit ihr darüber streiten. Ich
fand es wichtig, dass man nie wirklich sieht, ob sie wirklich religiös ist
oder nicht. Das ist ihre Sache und nicht die der Zuschauenden. Die anderen
zwei Mädels hingegen, die nicht denselben kulturellen Background haben,
„nehmen“ sich das Kopftuch einfach, nur wegen dem Fame rund ums Video.
Die anderen beiden zeigen sich fortan oft mit Kopftuch und sehen sich mehr
und mehr als Teil der kurdischen Community. Spielen Sie damit auf das Thema
[1][kulturelle Aneignung] an?
Ach ja, das ist grad so ein sehr cooler Begriff. Aber ja, im Grunde ist das
kulturelle Aneignung im klassischen Sinne.
Missfällt Ihnen der Begriff?
Ich finde, die Debatte um kulturelle Aneignung ist oft auch schon eine
Aneignung, weil sie häufig von Non-PoCs geführt wird. Da diskutieren dann
Menschen, die offensichtlich der Mehrheitsgesellschaft angehören,
analysieren und setzen irgendwelche Regeln fest, für Minderheiten, deren
Lebensrealität sie nicht mal richtig kennen.
Haben Sie einen Vorschlag, wie es besser funktionieren könnte?
Miteinander reden und nicht einander vorschreiben. Ich glaube, es könnte
ganz einfach sein, aber inzwischen herrscht auf allen Seiten der
Gesellschaft so viel Wut, – der Diskurs scheint irgendwie festgefahren.
In „Sonne“ spielen Ihre Eltern als Schauspieler*innen mit. Ist der Film
autobiografisch geprägt?
Ja, die beiden spielen nicht sich selbst, sondern erdachte Charaktere. Sie
haben das aber sehr gut gemacht, wie ich finde. Die Rolle, die meine Mutter
spielt, also Yesmins Mutter, entspricht gar nicht ihrem Charakter. Im Film
ist sie ja sehr streng und urteilend, so ist sie sonst gar nicht. Wir haben
zusammen überlegt, wie wir diese Rolle anlegen, und uns an ein paar Tanten
und Cousinen orientiert. Yesmins Vater ist viel lustiger, als ich meinen
eigenen Vater als Jugendliche erlebt habe. Er ist ja die treibende Kraft
dahinter, dass Yesmin, Bella und Nati dann mit ihrer „Losing My
Religion“-Performance auf muslimischen Festen auftreten. Nichts davon habe
ich selbst erlebt, aber so wie sich Yesmin oft fühlt, irgendwie entfremdet,
nicht so recht zugehörig, das kenne ich auch aus meiner Jugendzeit.
Aufgewachsen sind Sie in Simmering, dem elften Wiener Gemeindebezirk. Ihr
Wien hat wenig mit dem [2][Postkarten-Sissi-Idyll] zu tun, dass sonst oft
porträtiert wird. Wie sieht Ihr Wien aus?
Klein und schiach, aber trotzdem gemütlich. Mein Heimatbegriff oder woher
ich komme, ist immer mit der Wohnung im Gemeindebau verbunden, wo ich
aufgewachsen bin. Da wars irgendwie schmuddelig, aber trotzdem immer
heimelig. Vielleicht ist so mein Wien.
Auf die Frage, was Sie machen, wenn Sie nicht arbeiten, antworteten Sie in
einem Interview, dass Sie gern „arg versandeln“. Können Sie den
bundesdeutschen Leser*innen erklären, was damit gemeint ist?
Wenn ich mal nichts zu tun habe, dann komme ich in so einen Modus, wo ich
nur Trash-TV schaue, Chips und Cookie Dough esse und Bier trinke. Das ist
für mich wie Urlaub.
Was schauen Sie dann am liebsten?
„Selling Sunset“ oder „The Real Housewives of Beverly Hills“ zum Beispi…
Das ist schon arger Trash. Aber auch Serien wie „Never Have I Ever“, die
fand ich großartig. Da geht es um eine amerikanische Jugendliche mit
indischem Background. Im Gegensatz zu anderen Teenie-Formaten leidet sie
nicht die ganze Zeit, sondern ist richtig cool und lustig. So wär ich auch
gern in dem Alter gewesen.
Stimmt, das ist eine Serie, bei der der Cast mal wirklich sehr divers ist.
Ja, ich finde es nur nervig, dass [3][bei vielen Produktionen so getan
wird, als wäre man super divers. Der Hauptcast besteht dann aber trotzdem
nur aus weißen Menschen, und PoCs kommen wieder nur in klischeebehafteten
Nebenrollen vor], – als Putzhilfe oder Hausmeister. Ähnlich „cringe“ ist
es, wenn man Filme sieht, in denen Social-Media- und TikTok-Videos von
Jugendlichen eingebaut sind, und man eindeutig erkennt, dass sie von
älteren Menschen gemacht wurden, die sich gar nicht richtig damit
auseinander gesetzt haben.
Ein gutes Stichwort: „Sonne“ besticht durch unterschiedliche Stile. Sie
flechten Handyvideos, Instastories und TikToks ein. Das ist eine recht neue
Art der Seherfahrung. War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie das so machen
werden?
Ich glaube, man kann keinen „Jugendfilm“ mehr erzählen, ohne dass Social
Media vorkommt, weil das bestimmt 80 Prozent der Welt von Jugendlichen
ausmacht. Die Ästhetik entspricht aber halt auch einfach meinem Geschmack.
Seit ich filmisch arbeite, beschäftige ich mich mit Social Media und der
damit verbundenen Selbstdarstellung. Wer ist man? Wer will man sein? Das
sind die Fragen, die mich da interessieren. Ich finde, Handyvideos haben
immer auch etwas Melancholisches. Das sind ja meist Menschen, die nicht
wissen, wie man professionell eine Kamera führt, und das finde ich schön.
Gerade, weil es auch mal hässlich ausschaut. Ich mag die Überblendungen
oder wenn Augen düster leuchten. Das alles ist ästhetisch gesehen sehr
wertvoll für mich.
Warum eigentlich „Sonne“?
Die Idee zum Titel kam, weil die Sonne auf der kurdischen Flagge zu sehen
ist. Ich finde aber, die Sonne passt auch einfach als Symbol gut. Weil sie
einfach da ist und auf uns alle herunter scheint, ganz egal, welche
Hautfarbe wir haben oder aus welchem Land wir kommen. Vor der Sonne sind
wir alle gleich.
Ihr nächstes Projekt wird „Mond“ heißen. Können Sie verraten, um was es
gehen wird?
Es ist eine Fortsetzung, aber keine thematische. Es geht um eine
österreichische Sportlerin, die in ein arabisches Land zieht, um dort als
Personaltrainerin für eine reiche Familie zu arbeiten. Im Grunde geht es um
die Beziehung vom Westen zum Nahen Osten und umgekehrt.
Wird es auch ein „Sterne“-Projekt geben?
So ist der Plan, ja.
Da könnte man einen Bezug zu Ulrich Seidl vermuten, dessen Produktionsfirma
war an „Sonne“ beteiligt. Auf die Frage, ob Seidls Filmsprache für Sie
Inspiration sei, antworteten Sie einmal: Sie sei kein Vorbild für Sie,
sondern der einzige Weg. Wie meinten Sie das?
Ich habe nie wirklich gelernt, mit professionellen Schauspieler*innen
und vorgefertigten Dialogen zu arbeiten. Das hole ich gerade nach. Aber
meinen drei Protagonistinnen in „Sonne“ habe ich beispielsweise am Set
verschiedene Aufgaben gegeben, einen vorgeschriebenen Dialog aber gab es
nicht. Egal, wie gut ich den geschrieben hätte, – und mittlerweile kann ich
das schon ganz gut, würde ich sagen – meine Sprache wäre nie so authentisch
wie die der drei Jugendlichen. Das versuchen zu kopieren, hätte ich nicht
gewollt.
1 Dec 2022
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## AUTOREN
Sophia Zessnik
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