# taz.de -- Islamisch-christliche Kunst im Dommuseum: Da gab es keine Berührun… | |
> Von kultureller Aneignung war vor 1000 Jahren noch nicht die Rede. Das | |
> Dommuseum Hildesheim zeigt die islamisch-christlichen Beziehungen in der | |
> Kunst. | |
Bild: Das Fragment einer bestickten Altardecke (Damenstift Heiningen) zeigt neb… | |
Die Bernwardstraße in Hildesheim ist eine etwas verschlafene Fußgängerzone, | |
wie man sie in jeder mittelgroßen strukturschwachen Stadt Deutschlands | |
findet. Schlichte, niedrige Nachkriegsarchitektur, ein paar Filialen der | |
üblichen Ketten, immer wieder Leerstand. An einigen Imbissen und Läden | |
findet man arabische und deutsche Beschilderung. Nichts Ungewöhnliches in | |
einer kulturell durchmischten Stadt. | |
Dass nun aber auch das altehrwürdige katholische Dommuseum Hildesheim seine | |
aktuelle Ausstellung in Arabisch ankündigt, ist bemerkenswert. „Islam in | |
Europa 1000–1250“ heißt die große Sonderschau, die ausgehend vom Domschatz | |
kulturelle Verflechtungen zwischen Mitteleuropa und den islamisch geprägten | |
Regionen rund um das Mittelmeer untersucht. | |
Von einem Kulturaustausch im Hochmittelalter etwa zwischen dem maurischen | |
Spanien oder dem Abbasiden-Kalifat und Zentraleuropa weiß man eigentlich | |
vom Blick ins Geschichtsbuch. Verwunderlich also, dass sich bisher keine | |
europäische Sammlungseinrichtung, die auch die Artefakte jener historischen | |
kulturellen Verknüpfungen besitzt, bislang mit einer Ausstellung an das | |
Thema heranwagte. | |
Das Hildesheimer Dommuseum ist eine Institution von Weltrang, wenn es um | |
sakrale Kunst des hohen Mittelalters geht. Seine Bedeutung verdankt es | |
einem Bischof – dem heilig gesprochenen Bernward, der während seiner | |
Amtszeit von 993 bis 1022 die kleine Stadt zu einem der wichtigsten | |
künstlerischen Produktionsorte Mitteleuropas machte. Der Dom und die von | |
Bernward erbaute Michaeliskirche gelten als Hauptwerke der ottonischen | |
Kunst. | |
## Islam in Europa 1000 bis 1250 | |
Das Dommuseum richtet mit „Islam in Europa 1000–1250“ nun zum ersten Mal | |
mit einer Schau den Blick auf Gebiete jenseits des christlichen Raums. Aus | |
dem eigenen Bestand sowie Kirchenschätzen und Museumssammlungen in ganz | |
Europa, aus Wien oder aus London, wurden hierfür gut 100 meist sakrale | |
Objekte zusammengetragen. | |
Man taucht in dieser Ausstellung also ein in die recht hermetische Welt der | |
Mittelalterforschung, in die Kunstgeschichte der liturgischen Geräte, der | |
Gewänder und Buchmalereien, um an ihnen ablesen zu können, wie wenig | |
Berührungsängste zwischen islamisch und christlich geprägten Kulturen es in | |
der Geschichte einmal gab. | |
Eine große Karte des Mittelmeerraums in der Ausstellung verdeutlicht, wie | |
weit sich diese Verflechtungen erstreckten. Córdoba, Palermo, Kairo, | |
Konstantinopel und Bagdad werden dort als Zentren von Wissenschaft, Kunst | |
und Kultur verortet. Ganz oben, am Rand der Karte, direkt unter der Decke | |
der hohen Ausstellungshalle, findet man das Städtchen Hildesheim. | |
Die Anfang September eröffnete Ausstellung versammelt Gegenstände aus den | |
europäischen Kunstschätzen, die aus islamisch geprägten Regionen stammen | |
oder formale Einflüsse arabischer Kunst aufweisen. | |
## Über Byzanz zum Kaiser | |
Geradezu skurril sind etwa die beiden goldenen Platten von einer Kanzel im | |
Aachener Dom, gestiftet von Kaiser Heinrich II. In die Mitte der beiden | |
reich geschmückten Platten wurde je ein geschliffenes Objekt aus | |
Bergkristall gesetzt. Es handelt sich dabei um einen Teller und eine Tasse | |
samt Griff, um zunächst profane Gegenstände – aber sehr besondere. Sie | |
stammten aus dem Reich der Abbasiden, über Byzanz gelangten sie um das Jahr | |
1000 zum Kaiser. | |
Könnte es sich bei diesem über Tausende Kilometer nach Aachen | |
transportierten Geschirr um Raubkunst handeln? Stand der Forschung ist: | |
Nein. Zu dieser Zeit im Hochmittelalter – auch wenn es Kriege gab – müssen | |
solch wertvolle Kunstgegenstände diplomatische Geschenke gewesen sein. Oder | |
sie müssen Handelsware gewesen sein, so edel und begehrt, dass man auch die | |
weiten Wege nicht scheute – wie es auch bei heutigen Luxusobjekten noch der | |
Fall sein kann. | |
Dass sich die Verflechtungen zwischen den Kulturen im Kunstobjekt selbst | |
ausdrücken konnten, lässt sich da erkennen, wo christliche und islamische | |
Motive selbstverständlich nebeneinander stehen wie bei der Goslarer | |
Handschrift von 1240. Deren Darstellung von der Anbetung der Heiligen Drei | |
Könige ist von abstrahierten arabischen Schriftzeichen umrahmt. | |
Selbst die Reliquien des heiligen Godehard von Hildesheim wurden in | |
andalusische Seide aus dem frühen 12. Jahrhundert eingeschlagen, in deren | |
Ornament das arabische Wort „baraka“ („Segen“) eingewebt ist. | |
Schriftliche Quellen zu den Gegenständen gibt es fast keine. Schon deshalb | |
stehen hier die Objekte im Mittelpunkt, ihre minutiöse Beobachtung und der | |
formale Vergleich. Dieses kunsthistorische Gucken erlaubt nur Hypothesen. | |
Wobei man da nicht einem heutigen Missverständnis verfallen dürfe, betont | |
Kurator Felix Prinz. | |
## Keine „kulturelle Aneignung“ | |
Denn von so etwas wie „kultureller Aneignung“ könne bei diesen | |
christlich-islamischen Objekten nicht die Rede sein. Der Begriff Aneignung | |
hebe auf eine dominante Position ab. Doch die hatte Mitteleuropa gegenüber | |
dem islamischen Raum zwischen 1000 und 1250 n. Chr. nicht. | |
Die Evidenz der Objekte belegt vielmehr die künstlerischen Wechselwirkungen | |
im Hochmittelalter, über viele tausend Kilometer hinweg, ohne Feindbilder. | |
Eine schöne Vorstellung. Die Ausstellung ist übrigens durchweg | |
viersprachig: türkisch, englisch, deutsch und arabisch. | |
14 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Gregor Harbusch | |
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