| # taz.de -- Neue Kunst im Diözesanmuseum: Hipper Heiliger Geist | |
| > Die neue Ausstellung des Diözesanmuseums in Freising überrascht: mit | |
| > Werken von internationalen Kunststars und Fokus auf körperliche | |
| > Ambivalenzen. | |
| Bild: Installation des US-Künstlers James Turrell | |
| Freising Schon beim Betreten des Freisinger Diözesanmuseums gerät was | |
| Durcheinander in der Schaltzentrale der eigenen Synapsen. Dachte man vor | |
| der Tür noch: [1][Kirche], Gott, Staubfänger, fragt man sich jetzt, ob sich | |
| hier eine esoterische Hippie-Kommune ihren Gemeinschaftsraum mit einer | |
| Gruppe [2][Gothic Punks] in Game-of-Thrones-Kostümen teilt. Oder ob hier | |
| gleich ein Männerballett bras bas zu Tanzmetall von Rammstein tanzt? Oder | |
| ob das hier die Pyroshow von Gott selbst ist, der da hinten in der Ecke | |
| sitzt und zündelt. | |
| Hat sich der eigene Geist halbwegs wieder sortiert, schreitet man durch den | |
| von weißen, hohen Arkadengängen umgebenen und durch eine milchige Glasdecke | |
| erhellten Lichthof in die Richtung des bunten Lichtbündels. Es kommt aus | |
| einer Nische, zu der Treppenstufen führen. Man sieht helloranges, wie | |
| dichter Nebel strömendes Licht, das einen ovalen Rahmen um einen | |
| dunkelroten Kreis bildet. | |
| Fast unmerklich färbt sich der Kreis hellgrün, und das Oval lila. In | |
| Dutzenden Schattierungen und Größen wechseln Kreis und Ovalschichten von | |
| blau bis pink die Farben. Wo Wand ist, wo Grenze, ob der Kreis der Einstieg | |
| in die Ewigkeit, das Zentrum einer ayurvedischen Lichtzeremonie oder | |
| einfach eine überdimensionierte Lavalampe – egal. Was da strömt, betört die | |
| Sinne, man will da hin, da rein, ob man das geräuschlose Rauschen des | |
| Lichts, das man zu hören meint, für göttliches oder psychedelisches | |
| Rauschen hält. | |
| Auf dem Weg zum Licht passiert man eine okkult bröckelnde Steinsäule, auf | |
| der ein Engel mit dürren Beinchen steht, einen zerfransten, dreckigen | |
| Lumpen umgehängt und leicht vornüber gebeugt, so dass man sein Gesicht | |
| nicht sehen kann. Halb stürzt er, halb hebt er ab – aber die morbide | |
| Tristesse des steinernen Engels ist weniger verstörend als genauso betörend | |
| wie das bunte Lichtspiel. | |
| Obwohl die Augen des Engels nicht zu sehen sind, fühlt man seinen Blick | |
| beziehungsweise traut man sich kaum, den eigenen Blick vom Engel | |
| abzuwenden, in der Hoffnung, man könne ihn durch seine steinernen Lumpen | |
| hindurch erreichen und erweichen. Kalter starrer Stein neben wabernd | |
| wärmendem Kolorit, Licht und Schatten in einem Raum, Leben und Tod, Freud | |
| und Leid – thematisch eigentlich keine allzu große Überraschung für das | |
| Museum einer Kirche, man muss nur erst mal verstehen, dass es darum geht. | |
| ## Internationale Superstars | |
| Zeigen, dass Religion auch in Menschen und Gesellschaften wirkt, in denen | |
| Gott, Jesus und andere biblische Figuren nicht mehr unbedingt als heilig | |
| gelten, ist das Programm des Anfang Oktober wieder eröffneten | |
| Diözesanmuseums. 1870 als klassizistischer Bau auf dem Freisinger Domberg | |
| errichtet, wurde es bis 1974 als „Knabenseminar“ genutzt, danach als | |
| Museum. | |
| Um die Strahlkraft des Museums zu intensivieren, wurden internationale | |
| Superstars gewonnen: Kein geringerer als der für seine | |
| Licht-Raum-Installationen berühmte US-Land-Art-Künstler James Turrell hat | |
| das Lichtspiel in der ehemaligen Kapelle des Knabenseminars entworfen. Und | |
| der steinerne Engel „Arcangelo“ wurde von der belgischen Künstlerin | |
| Berlinde de Bruyckere angefertigt, die zu den bedeutendsten Bildhauerinnen | |
| der Gegenwart gehört. | |
| Noch im Bau ist außerdem eine Votivkapelle, die von der für ihre | |
| drastischen Körperskulpturen bekannten US-Künstlerin Kiki Smith entworfen | |
| wurde. Alle drei sind ein ziemlicher Scoop für das Museum, dessen | |
| verantwortlicher Oberhirte ebenfalls ein Superstar ist: [3][Kardinal | |
| Reinhard Marx]. | |
| Doch nicht Marx, sondern der Museumsdirektor Christoph Kürzeder und sein | |
| Team haben die neue Dauerausstellung „Wie immer. Nur anders“ kuratiert. Und | |
| sie haben dafür gesorgt, dass aus dem Museum keine Busreisenabwurfstelle | |
| wird, an der man Senioren billigen Nippes mit Weihraucharoma verkauft, | |
| sondern ein Museum, über das die Welt reden soll. | |
| 30 km nördlich von München gelegen, beherbergt es über 40.000 Objekte, die | |
| ältesten stammen aus dem 5. Jahrhundert. Es ist die größte Kunstsammlung | |
| der katholischen Kirche – nur die Vatikanischen Museen sollen mehr | |
| besitzen. Im Juli 2013 wurde das Diözesanmuseum überraschend geschlossen, | |
| wegen Mängeln beim Brandschutz und einer fehlenden Nutzungsgenehmigung. | |
| ## „Offenes Haus“ | |
| „Eingänge, Übergänge, Durchlässe“ lautet ein Motto des generalsanierten | |
| Museums. In dessen Zentrum stehe der „Dialog zwischen Kirche, Kunst und | |
| Gesellschaft“, sagt Direktor Kürzeder. Das Haus sei „ein Angebot, eine | |
| Möglichkeit“, um christliche Perspektiven auf die Fragen des Lebens | |
| kennenzulernen, sagt Kardinal Marx. Ein „offenes Haus“ solle es sein, | |
| „offen für den kritischen Dialog“ sagt Generalvikar Christoph Klingan. | |
| Von einem Haus der „geöffneten Wände“, spricht Architekt Peter Brückner.… | |
| fast allen Mauern wurden Durchgänge geschaffen, die für Licht, Weitblick | |
| und Verbindungen sorgen. Von den Kunstwerken bis zur Architektur, das Motiv | |
| der Grenzüberschreitung, die verbindet, was nur auf den oberflächlichen | |
| Blick unverbunden ist, ist der rote Faden des neuen Museums. | |
| Die neue Dauerausstellung im 1. Stock muss sich deshalb auch keinesfalls im | |
| Dunkeln oder hinter den spektakulären Kunstwerken im Lichthof verstecken. | |
| Auf der 2.500 qm großen Ausstellungsfläche herrscht ein heiliges Gewusel | |
| von Rosenkränzen, Kreuzen, Gebetbuchbildchen, Münzen, Medaillen, Krippen | |
| und Kitsch hinter Vitrinen sowie ein groß- und freizügig gestalteter | |
| Parcours, der durch die thematisch sortierten Räume führt. | |
| Sie lassen viel Platz zum Verweilen und Umlaufen der Statuen, Skulpturen | |
| und Ikonen. Objekte, die der alten Kirche zu „leichtfüßig, affektiert und | |
| pastellbunt“ erschienen und aus ihnen verbannt wurden, sind zu sehen. | |
| Grenzüberschreitend sind immer wieder auch hier die Blicke, die uns | |
| begegnen: verrutscht, jauchzend, schmachtend, schockiert, verschmitzt, | |
| leidend, sterbend, begierig, verlockend, versonnen selbstbewusst, ulkig | |
| oder deppert, so viele Blicke von so vielen Jesusen und Marias, Engeln und | |
| Aposteln. So wie bei den Blickfängern im Lichthof laden einen auch die | |
| Objekte in den Ausstellungsräumen dazu ein, sie von oben bis unten, von | |
| hinten und vorne, von ganz nah zu betrachten. | |
| Unterstützt von der farblichen Gestaltung der Wände entsteht nie Überdruss. | |
| Man hat nicht das Gefühl, an Dingen vorbeizulaufen, die einst in düsteren | |
| Kirchen standen und heute nur noch Staubfänger und Symbole finsterer Zeiten | |
| sind. Im Gegenteil. Man vergisst manchmal, im Museum zu sein und glaubt, | |
| durch die Kulturlandschaft eines englischen Gartens zu schlendern. | |
| ## Mehr Landschaftsarchitektur als Liturgie | |
| Der Eindruck wird verstärkt von den riesigen Fenstern, die das heilige | |
| Gesamtkunstwerk Oberbayern rahmen: die zu Füßen liegenden Städte Freising | |
| und München, die Isar und die Alpen. Von den Sichtachsen über die | |
| Exponiertheit bis zur Weitläufigkeit – das Freisinger Diözesanmuseum ist | |
| mehr Landschaftsarchitektur als Liturgie, mehr mythisches Arkadien als | |
| karges Abendmahl. | |
| Die Ausstellung zielt nicht auf Ehrfurcht oder heiliges Staunen, sondern | |
| auf erhellende Unterhaltung. Noch dem größten Ungläubigen dürften hier die | |
| Augen geöffnet werden. Nicht zwingend für die Existenz von Gott oder | |
| Göttlichem. Sondern für die welthaltige und ambivalente Darstellung von | |
| Körperlichkeit in der christlichen Ikonografie. | |
| Man wird vor einigen Gemälden stehen und in einige Gesichter gucken und | |
| meinen, dass man sie schon mal irgendwo gesehen hat. Bei Instagram? | |
| Vielleicht. Und doch nicht ganz. Denn auf bildbasierten Medien wie | |
| Instagram geht es mittlerweile wesentlich religiöser zu als in den | |
| Kunstwerken der Katholiken. Auf Instagram zählt das perfekte Gesicht, ohne | |
| Makel, ohne Fehler. Die Gesichter auf dem Freisinger Domberg hingegen sind | |
| mit all ihren Makeln, Schmerzen und Begierden viel näher an der Realität. | |
| Die Ausstellung im Diözesanmuseum ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich | |
| die katholische Kirche in Zukunft vermarkten kann, wenn sie irgendwie | |
| überleben will: nicht, in dem sie ihre Geschichte verklärt, sondern über | |
| sie aufklärt. Dabei kann auch die Diözese selbst noch etwas lernen. Zwar | |
| wird die Vorgeschichte des Museums, das Knabenseminar, im Erdgeschoss | |
| gezeigt. Auf die Misshandlungsvorwürfe ehemaliger Schüler aber geht | |
| Kardinal Marx auch am Abend der Eröffnung nicht ein. | |
| Richtig aufregend dürfte es nächstes Jahr werden. Direktor Christoph | |
| Kürzeder plant im Frühjahr die Ausstellung „Verdammte Lust“ zu zeigen, in | |
| der es um das Dilemma kirchlicher Sexualmoral und Scheinheiligkeit gehen | |
| soll. | |
| Die Reaktionen vom Kardinal und seiner Kirche darauf werden mindestens so | |
| interessant wie die Ausstellung. | |
| 17 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche/!5887089 | |
| [2] /40-Jahre-Gothic-Bewegung/!5868798 | |
| [3] /Kardinal-Marx-ueber-sexuellen-Missbrauch/!5827470 | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
| ## TAGS | |
| Katholische Kirche | |
| Museum | |
| Kunst | |
| Humboldt Forum | |
| Museum | |
| Katholische Kirche | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Humboldt-Forum komplett eröffnet: Nachts durchs Museum | |
| Beim Humboldt.Forum freut man sich über zehntausende Besucher*innen zum | |
| Eröffnungsfestival. „24h Offen“ war allerdings ein Missverständnis. | |
| Islamisch-christliche Kunst im Dommuseum: Da gab es keine Berührungsängste | |
| Von kultureller Aneignung war vor 1000 Jahren noch nicht die Rede. Das | |
| Dommuseum Hildesheim zeigt die islamisch-christlichen Beziehungen in der | |
| Kunst. | |
| Brief an Papst Franziskus: Kardinal Marx bietet Rücktritt an | |
| Die katholische Kirche sei an einem „toten Punkt“ angekommen, schreibt er | |
| in einem Brief an den Papst – auch wegen des Skandals um sexualisierte | |
| Gewalt. |