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# taz.de -- Humboldt-Forum komplett eröffnet: Nachts durchs Museum
> Beim Humboldt.Forum freut man sich über zehntausende Besucher*innen
> zum Eröffnungsfestival. „24h Offen“ war allerdings ein Missverständnis.
Bild: Ein paar Benin-Bronzen sind auch zu sehen – doch der weitaus größere …
Hartmut Dorgerloh ist etwas überrumpelt, Samstagnacht im Humboldt-Forum.
Zur angekündigten „Nachteulenführung“ mit ihm als Generalintendanten sind
weit mehr als die von ihm erwarteten 20 bis 30 Menschen gekommen: Um die
150 Interessierte drängen sich um 1 Uhr nachts aus dem ungemütlichen Regen
ins Foyer, und ohne Mikrofon fällt es Dorgerloh etwas schwer, bis in die
hinteren Reihen durchzudringen. „Ich wollte schon immer mal nachts durchs
Museum gehen“, sagt er. Dass das auch so viele andere interessiert,
überrasche ihn, sagt er.
Es ist das offizielle Eröffnungswochenende, an dem nach mehreren
Teileröffnungen nun auch die Räume im sogenannten Ostflügel zugänglich
sind. Das Forum hatte unter dem Titel „24h Offen“ ein Festival mit
internationalen Gästen, Führungen, Filmen, Konzerten und DJs auf die Beine
gestellt, rund 25.000 Besucher*innen zählte man bis Sonntagmittag –
acht bis zehnmal so viele wie an gewöhnlichen Wochenenden.
Besucher*innen schienen das mit den 24 Stunden auch wörtlicher genommen
zu haben, als man es beim Humboldt Forum gemeint hatte. Mehrere
Sicherheitsdienst-Mitarbeiter erklären gegen Mitternacht mit deutlichen
Seitenhieben auf die Informationspolitik des Hauses, dass weder die
Ausstellungen noch die Dachterasse nachts offen seien – auch nicht über die
auf den Boden geklebte blaue „24h offen Route“. Sie schicken die Leute
entweder in den stickigen Filmraum oder in den Schlüterhof: In letzterem
hängt ein überdimensionierter Ballon in Form einer sauren Gurke mit Mikro
unten dran von einem Kran und dreht sich auch spät nachts noch zu Lichtshow
und DJ-Klängen.
Doch viele sind offensichtlich vor allem gekommen, um ins Museum zu gehen.
Um dem nächtlichen Andrang Herr zu werden, teilt Dorgerloh die
Besucher*innen nach Geburtsmonaten in sechs kleine Gruppen, die
nacheinander durch die Ausstellungen laufen dürfen.
Dabei offenbaren sich die Brüche und Konfliktlinien, mit denen dieses Haus
weiter zu tun haben wird. Der Kamerun-Raum etwa gehe aus ihrer Sicht gar
nicht, sagt eine Mitarbeiterin bei einer dieser improvisierten Führungen.
Sie und andere Kolleg*innen seien fassungslos, wie ausgerechnet bei den
Exponaten aus einer ehemaligen deutschen Kolonie das Konzept von vor zehn
Jahren einfach weiter umgesetzt werde. „Hier laufen auch Rückforderungen“,
sagt sie. Der Raum werde wohl nicht so bleiben.
## Geraubte Schätze
Anderes ist bereits wieder auf dem Weg zurück in die ursprüngliche Heimat:
Ein Großteil der berühmten Benin-Bronzen, zu Kolonialzeiten geraubte
Kunstschätze, gehen nach jahrelangen Diskussionen zurück nach Nigeria. Nur
ein kleiner Teil der über 500 Bronzen wird als Leihgabe ausgestellt.
In anderen Räumen weisen die Leiter*innen der Rundgänge darauf hin,
[1][wie Konzepte noch mal überarbeitet wurden und wie Ausstellungsstücke
durch zeitgenössische Kunst aus den Herkunftsländern ergänzt werden] – etwa
durch ein Kleid aus Namibia, in dessen Textur Kritik am Kolonialismus
eingewebt ist.
Der Druck, [2][die Perspektive und die Art der Ausstellungen überhaupt zu
überdenken] kam aus zivilgesellschaftlichen Initiativen. „Der weitaus
größte Teil der im Humboldt Forum ausgestellten Exponate aus der
Kolonialzeit sind ohne Zustimmung der rechtmäßigen Besitzer angeeignet
worden“ und würden weiterhin ohne deren Einverständnis ausgestellt,
schreibt Berlin Postkolonial in einer Pressemitteilung zum
Eröffnungswochenende. Anstatt koloniale Objekte weiter auszustellen,
sollten die Räume dazu genutzt werden, um Kolonialismus und den Widerstand
dagegen zu thematisieren.
Dorgerloh sagte zur Eröffnung, es gehe nun darum, [3][zuzuhören, und andere
Perspektiven zuzulassen]. Dadurch würden sich die Ausstellungen verändern
„und auch unser eigenes Denken“.
Solche Sätze mögen ganz ähnlich klingen wie die Forderungen von
Dekolonialisierungs-Initiativen wie Berlin Postkolonial, doch in den
Konsequenzen bleiben sie doch noch weit von einander entfernt.
18 Sep 2022
## LINKS
[1] /Benin-Bronzen-im-Humboldt-Forum/!5879196
[2] /Berliner-Humboldt-Forum/!5868256
[3] https://www.rbb-online.de/abendschau/videos/archiv.html
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Humboldt Forum
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