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# taz.de -- Benin-Bronzen im Humboldt Forum: Es bleibt angenehm unfertig
> Am Wochenende erfolgt die letzte Teileröffnung des Humboldt Forums. Das
> wurde unfreiwillig zum Motor des Umbruchs für ethnologische Museen.
Bild: Die Benin-Bronzen: am 15. September 2022 fand die letzte Teileröffnung d…
Berlin taz | In einem Ausstellungsraum ragen hinter Bildschirmen unförmige
Aufhängungen auf. Die Objekte, für die sie einmal gebaut wurden, sind schon
auf halbem Weg nach Nigeria. In einem anderen Raum wirken die Regale so
wild bestückt wie nach einem chaotischen Umzug. Und wieder ein anderer ist
mit grob zusammengezimmerten Bauholzkonstruktionen voller pink markierter
Leerstellen vollgestellt. Hier geht es um Tansania, die ehemalige Kolonie
Deutsch-Ostafrika also, wo mit dem [1][Maji-Maji-Aufstand] 1905 einer der
größten Kolonialkriege begann. Am Ende hatten die Deutschen etwa ein
Drittel der Bevölkerung ermordet.
Wegen der Pandemie habe die Kollaboration mit Kolleg*innen aus Tansania
verschoben werden müssen, berichtet Kuratorin Maike Schimanowski, diese
Ausstellung sei bestenfalls ein Zwischenstand. Anstelle von Objekten
ungeklärter Herkunft zeige man nur Stellvertreter*innen, die die Originale
darstellen, aber nicht kopieren – und deren Geschichten sie gut erzählen
können.
Die gute Nachricht ist: [2][Das Humboldt Forum] bleibt ein Jahr nach seiner
Eröffnung und nach seiner letzten Teileröffnung an diesem Wochenende, wenn
zu den rund 6.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche noch einmal rund 9.500
dazukommen, angenehm unfertig. Die schlimmsten Befürchtungen, die
Kritiker*innen seit Jahrzehnten gegen dieses teuerste Kulturprojekt der
Bundesrepublik in Berlins wiederaufgebautem Hohenzollernschloss vorbringen,
haben sich nicht erfüllt.
## Eine Art Motor für den Umbruch
Das Humboldt Forum zeigt sich von seiner bislang einsichtigsten Seite.
Indem das Projekt seit Jahren von der Öffentlichkeit, den Medien, der
Zivilgesellschaft, Museumswissenschaftler*innen und
Vertreter*innen des postkolonialen Diskurses mit schärfster Kritik
begleitet wurde, hat es sich zu einer Art Motor für den Umbruch der
ethnologischen Museen weltweit entwickelt. Womit wir auch schon bei der
schlechten Nachricht wären. Denn dieser Motor stottert bildlich gesprochen
an manchen Stellen noch gewaltig.
Zum Hintergrund: Es ist gut 30 Jahre her, dass Wilhelm von Boddien, ein
Landmaschinenhersteller aus Schleswig-Holstein, zum ersten Mal die Idee zum
Wiederaufbau des Schlosses hatte und auf großen Planen eine Simulation
installierte. Erstaunlicherweise überzeugte er damit nicht nur die
konservative Elite Berlins, die seither viel Geld für die barocken Fassaden
spendete, sondern auch die deutsche Politik.
Vor knapp 20 Jahren wurde das Schloss vom Bundestag beschlossen. 2006 bis
2008 wurde eines der umfänglichsten Symbole der DDR, der Palast der
Republik, der zuvor von Künstler*innen subversiv zwischengenutzt worden
war, dafür zurückgebaut. Von Boddien hatte die Ziele seines persönlichen
Kalten Kriegs erreicht: die angebliche Wiedergutmachung des Schlossabrisses
auf Veranlassung Walter Ulbrichts 1950 und die Zerstörung jeder Erinnerung
an die DDR an diesem Ort.
## Eine schallende Ohrfeige
Vor diesem Hintergrund empfanden es viele als schallende Ohrfeige, als sich
2012 die Idee durchsetzte, dass ausgerechnet das Ethnologische Museum und
das Museum für Asiatische Kunst vom entlegenen Berliner Stadtteil Dahlem in
die Mitte der Stadt rücken und den Löwenanteil der Flächen im Humboldt
Forum bespielen sollten. Koloniale Raubkunst in einem Haus, das nur kleine
Teile der Berliner Stadtgesellschaft wollten und das wie kein anderes ans
deutsche Kolonialreich erinnert? Der Aufschrei der Schlossgegner*innen
– allen voran der afrodeutschen Diaspora in Berlin – hätte kaum lauter sein
können.
Sie hatten allen Grund, wütend zu sein. So hatte der Chef der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz 2011 über die Entstehung des Ethnologischen
Museums Ende des 19. Jahrhunderts in einer Werbebroschüre verlauten lassen:
„Damals entstand das wissenschaftliche Fundament des [3][Ethnologischen
Museums] in Berlin, und es entstand auf legale Weise. Die Berliner Museen
sind deshalb rechtmäßige Besitzer ihrer Bestände.“ Noch zur pandemiebedingt
digitalen Eröffnung des Humboldt-Forums Ende 2020 wiegelte Intendant
Hartmut Dorgerloh ab: Die umstrittenen Benin-Bronzen sollten nicht nach
Afrika gehen, sondern in seinem Haus der wichtigste Publikumsmagnet
bleiben.
Seitdem ist nicht viel Zeit ins Land gegangen, aber die Debatte über
Deutschlands koloniale Vergangenheit und die Politik der Rückgabe
kolonialen Raubguts hat den unbeweglichen Tanker Humboldt-Forum mit seinen
vielen Akteur*innen geradezu überfahren. Das lässt sich am besten an den
Bronzen aus dem Königreich Benin im heutigen Nigeria erzählen. Sie
gelangten im Zuge einer kolonialen „Strafaktion“ britischer Soldaten 1897
nach Europa. Berlin hat nach London die zweitgrößte Sammlung weltweit.
Nigeria verlangt die Bronzen seit Anfang der 1970er Jahre offiziell zurück,
manche davon sogar schon seit 1935. Doch erst in den vergangenen zwei
Jahren wurde der Druck so hoch, dass die deutschen Museen mit größeren
Benin-Beständen – neben Berlin sind dies Hamburg, Köln, Leipzig und
Stuttgart – ihre grundsätzliche Bereitschaft zu „substanziellen Rückgaben…
erklären mussten. Am 1. Juli 2022 unterzeichneten Kulturstaatsministerin
Claudia Roth und Außenministerin Annalena Baerbock mit ihren nigerianischen
Amtskollegen eine entsprechende Absichtserklärung. Seit Ende August gehören
die 512 „Berliner“ Benin-Bronzen offiziell Nigeria – Berlin darf kostenlos
für zehn Jahre 168 Objekte behalten.
## Planänderung in letzter Sekunde
[4][Das Humboldt Forum] musste sich immer heftiger in die Riemen legen. In
den letzten sechs Monaten, bestätigt der Chef des Ethnologischen Museums
Lars-Christian Koch während einer Presseführung am Dienstag, wurde die
Gestaltung eigentlich fertiger Räume verworfen, allen voran desjenigen über
Benin: Ursprünglich war geplant, rund die Hälfte der 506 Berliner
Benin-Objekte zu zeigen, aktuell sind nur noch rund 30 zu sehen.
Statt große Reliefs zu betrachten, kann man nun einer Diskussion über
Restitution folgen. Es gibt Interventionen zeitgenössischer
Künstler*innen aus Nigeria. Um einen großen Tisch für Workshops hängen
leere Vitrinen, die sich erst nach und nach mit den Ergebnissen der
Workshops füllen werden.
Aber auch darüber hinaus hat das Humboldt Forum vieles verändert: Es gibt
eine Ausstellung über den amerikanischen Ethnologen und Omaha Francis La
Flesche, die von Vertreter*innen der Omaha gestaltet wurde, und eine
Ausstellung über die Naga, eine Bevölkerungsgruppe im Nordosten Indiens,
die von der Fotokünstlerin und Naga Zubeni Lotha cokuratiert wurde.
Hier hat das Weltdeutungszentrum Europa nicht ein paar nette Ergänzungen
von außen eingeholt, sondern einen echten Perspektivwechsel vorgenommen.
Das Reformbedürfnis dieser Institution und der Wille, endlich wieder in die
Vorhand zu kommen, sind deutlich spürbar. Das ist das eine.
## Erklärtexte an den Bronzen
Das andere aber ist wie gesagt, dass es nicht durchgängig gelingt. Im
Ausstellungsraum für Benin etwa gibt es Erklärtexte an den verbleibenden
Bronzen, in denen noch immer die Rede davon ist, die Objekte seien
„gesammelt“ worden – dabei haben sich große Teile der Museumswelt längst
auf das zutreffendere „angeeignet“ geeinigt. Bei zwei Thronhockern, die
bald nach Nigeria gehen werden, ist die Rede von einer „Einnahme der Stadt
Benin“ – eigentlich verbrannten und verwüsteten die britischen Soldaten die
Stadt und plünderten den königlichen Palast. [5][Eine Ngonnso-Statue aus
Kamerun (die taz berichtete)] soll zwar nun ebenfalls endlich zurückgehen –
aber eine Erklärung dazu gibt es an der Vitrine noch nicht.
Der größte Ausfall aber in den neuen Ausstellungen ist [6][das sture
Festhalten des Humboldt Forums] an seinen riesigen, obszönen Schauvitrinen,
in denen sich die Objekte bis unter die Decke reihen – und wahlweise an
Omas Kellerregale voller Apfelkompott oder Kaufhausregale erinnern. Bereits
zur ersten Teileröffnung vor einem Jahr wurde das Museum kritisiert, dass
es immer noch ungebrochen eine Schatzkammerästhetik wie in den 1950er
Jahren vertrete. Tatsächlich geht es hier nach wie vor weniger darum,
Depots dem Publikum zugänglich zu machen, als darum, zu zeigen, was man
hat.
Die Objekte, die Geschichten zu erzählen hätten und Eigenleben entwickeln
könnten, bleiben stumm. Ein einfaches Schild mit der beschämenden Anzahl
der Objekte, die sich in den Sammlungen der beiden Museen im Humboldt Forum
befinden, hätte da völlig gereicht.
16 Sep 2022
## LINKS
[1] /Debatte-um-deutsche-Kolonialgeschichte/!5548908
[2] /Rueckgabe-von-Benin-Bronzen/!5873748
[3] /Berliner-Humboldt-Forum/!5868256
[4] /Humboldt-Forum-Berlin-eroeffnet/!5787899
[5] /Aktivistin-ueber-koloniales-Erbe/!5808577
[6] /Ausstellungen-im-Humboldt-Forum-oeffnen/!5782601
## AUTOREN
Susanne Messmer
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