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# taz.de -- Nach dem Kolonialismus: Ein Museum als utopischer Raum
> Das Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig erfindet sich neu. Es ist
> ein Role Model für die ethnologischen Museen in Deutschland.
Bild: Der Künstler Enotie Paul Ogbebor vor einem seiner Werke, das sich mit de…
Leipzig taz | Jetzt haben sie mitten im Museum auch noch eine alte
Bierkneipe wiederaufgebaut. „Weißes Roß“ heißt sie, befand sich gleich um
die Ecke des [1][Grassi Museums für Völkerkunde in Leipzig], wurde
verdrängt und ist nun Teil eines neu eröffneten, eintrittsfreien
Wohnzimmers mit angeschlossenem Atelier, wo gespielt und genäht,
geschmökert und diskutiert werden darf.
„Es geht uns nicht nur darum, niedrigschwellig zu sein“, sagt
Museumschefin Léontine Meijer-van Mensch. „Wir wollen für die Stadt ein
sicherer Hafen werden.“ Im Atelier hat zuletzt das Frauenkollektiv Frauen
in Arbeit an verschiedenen Textilprojekten gearbeitet. An der Wand hängen
zum Patchwork vernähte Bilder der geballten Faust, dem Logo der
Frauenbewegung: Auch in Leipzig war die Zunahme sexualisierter häuslicher
Gewalt während der Pandemie ein großes Thema.
Am Donnerstag hat das Museum unter dem Titel „REINVENTING GRASSI.SKD“ seine
dritte Teileröffnung in diesem Jahr gefeiert. Der Wandel, dem es sich mutig
und voller Experimentierfreude unterzieht, wird immer radikaler – hier kann
man erfahren, welchen Umbruch Ethnologische Museen in Deutschland derzeit
erfahren und wo die Reise bei all jenen hingehen könnte, die sich wie das
Ethnologische Museum im Berliner Humboldt Forum aus Angst vor der Leere
tendenziell nach wie vor an ihre „Schätze“ krallen.
Dem Grassi geht es längst nicht mehr nur um Objekte, die aus kolonialen
Unrechtskontexten stammen. Es möchte darüber hinaus auch wissen, was die
brutale Unterwerfung der Welt, die bis heute kaum Teil des Schulunterrichts
ist, mit Alltagsrassismus, Migration, mit dem Klimawandel und mit den
Kriegen der Gegenwart zu tun hat.
## Die Wiederkehr der Benin-Bronzen
Das sieht man auch in anderen neuen Räumen des Grassi, außerhalb von Kneipe
und Wohnzimmer. Im März präsentierte es der Öffentlichkeit einen Raum für
[2][die berühmten Benin-Bronzen,] der ohne die Benin-Bronzen auskommen
musste. Der Verbund der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, zu dem das
Grassi gehört, hütet mit 262 Exemplaren die zweitgrößte „Sammlung“ der
Kunstgegenstände aus dem geplünderten Königspalast von Benin in
Deutschland.
Das Grassi hatte entschieden, sie vor der Klärung ihres Verbleibs nicht
mehr zu zeigen. Statt dessen ließ es den nigerianische Künstler Emeka Ogboh
unter dem Titel „An der Schwelle“ einen abgedunkelten Raum gestalten, in
dem Interessierten Fotos von Benin-Bronzen entgegentraten. Haben westliche
Besucher*innen das Recht, diese Objekte zu genießen?, fragte das
Museum. Und was bewirkt ihr Fehlen im heutigen Nigeria?
Nach dem Beschluss zur Rückgabe der Bronzen im Sommer hat das Museum nicht
aufgehört zu fragen. Diesmal hat es dem Künstler und Kurator Enotie Paul
Ogbebor das Feld überlassen. Ogbebor hat neben der Installation von Ogboh
nur fünf der Bronzen ausgewählt, die bald zurück gehen, vielleicht aber
auch noch eine Weile als Leihgabe bleiben könnten.
Außerdem hat er zwei Bilder im Innenhof des Grassi gemalt, die nun neben
den Bronzen zu sehen sind. Auf den Bildern flirren die Farben, fast
impressionistisch. „Die nigerianische Gesellschaft ist heute sehr vom
Christentum beeinflusst“, sagt er. „Darum halten viele die Bronzen für
Fetisch.“
Es ist, als habe Ogbebor den Bronzen Leben eingehaucht. Fürs Grassi hat er
einen weiteren utopischen Raum geschaffen.
11 Dec 2022
## LINKS
[1] /Grassi-Museum-in-Leipzig-im-Umbau/!5836904
[2] /Rueckgabe-von-Benin-Bronzen/!5873748
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Restitution
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