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# taz.de -- Grassi Museum in Leipzig im Umbau: Das ist doch die Höhe
> Das Leipziger Grassi Museum für Völkerkunde hat sich neu erfunden. Da
> werden auch Berge versetzt: Es geht um die Spitze des Kilimandscharo.
Bild: Mit dem Kilimandscharo die Kolonialgeschichte im Blick
Leipzig taz | Im Oktober 1889 erreichte der deutsche Kolonialgeograf Hans
Meyer nach zwei gescheiterten Versuchen als erster Europäer endlich den
Gipfel des Kilimandscharo im heutigen Tansania, der damaligen deutschen
Kolonie Deutsch-Ostafrika. Nach einem „kräftig sekundierten Hurra!“ war
seine erste Amtshandlung, eine kleine deutsche Fahne aus dem Rucksack zu
kramen und auf dem „verwetterten Lavagipfel“ einzupflanzen. Meyer, der
diese wie seine anderen Reisen in zahlreichen Büchern beschrieben hat,
berichtet von diesem Moment wie folgt: „Mit dem Recht des Erststeigers
taufe ich diese bisher unbekannte, namenlose Spitze des Kilimandscharo, den
höchsten Punkt afrikanischer und deutscher Erde: Kaiser-Wilhelm-Spitze.“
Als am 3. März vormittags im Leipziger [1][Grassi Museum für Völkerkunde]
die Künstler*innen des etwa zehnköpfigen [2][Kollektivs P]ara aus
Berlin, Frankfurt am Main, Leipzig und Hamburg gemeinsam mit den
tansanischen Künstlerinnen Rehema Chachage und Valerie Asiimwe Amani von
Hans Meyer und seiner Mission berichten, wird ziemlich schnell deutlich,
warum sie sich mit diesem Fall künstlerisch auseinandersetzen.
Ihr [3][Projekt „Berge versetzen“] ist eines der ersten, das nach einem
Jahr der Schließung bei Eröffnung der ersten Ausstellungsräume im völlig
neu konzipierten Grassi unter dem Stichwort Reinventing Grassi zu sehen
ist. Hans Meyer, so berichten die Leute von Para, brachte nach seiner
Exkursion den Gipfelstein des Kilimandscharo nach Deutschland und zersägte
ihn dort in zwei Teile. Die eine Hälfte, die er später Kaiser Wilhelm
schenkte, war lange in Potsdam und dann auch mal in Leipzig zu sehen, gilt
aber heute als verschollen. Die andere Hälfte, die Meyer lange als
Briefbeschwerer benutzte, befindet sich heute bei einem Antiquar in
Österreich.
Der Hamburger Künstler Jonas Fischer und die Berliner Künstlerin Vanessa A.
Opoku vom Kollektiv Para erklären gegenüber der taz: Oft hatte Hans Meyer
bei seinen „Forschungsreisen“ 100 Träger, Soldaten und Angestellte dabei,
zahlreiche Instrumente und eine Badewanne aus Gummi zur Aufrechterhaltung
des „zivilisierten“ Lebensstils musste ebenfalls mit. Dennoch sprach er
seinen Helfer*innen und der lokalen Bevölkerung ab, auch nur ansatzweise
rational denken zu können. Sein Projekt war die Vermessung der Welt, die
Erzeugung wissenschaftlicher Autorität. Er kämpfte auch noch für
kolonialistische Positionen, nachdem Deutschland seine Kolonien verloren
hatte.
## Rückgabe des Steines
Es liegt also nahe, den Stein zurückzugeben. Ein Jahr lang haben die
Künstler*innen von Para gebraucht, den Antiquar von 250.000 auf 40.000
Euro runterzuhandeln, die er für den Stein haben will. Zusätzlich haben sie
in der Vorbereitung eine Klettertour unternommen und den Gipfelstein der
Zugspitze als Geisel genommen. Schließlich haben sie einen Scan des Steines
angefertigt und Formen aus Silikon gegossen.
Am Donnerstagabend haben die Künstler*innen begonnen, Gestein im
Treppenhaus des Grassi Museums abzutragen. An einer Produktionsstraße, wo
von Arbeitskitteln bis zum Verpackungsmaterial alles bereit liegt,
zerkleinern sie Material mit dem Küchenmixer, vermischen es mit schwarz
gefärbtem Ton und fertigen Repliken der Gipfelspitze des Kilimandscharo an.
Mithilfe von Museumsbesucher*innen werden sie insgesamt 2.000 dieser
Repliken anfertigen. Anschließend werden diese Repliken zu 20 Euro vor Ort
oder für 25 Euro online verkauft. So soll der Kaufpreis zusammenkommen.
Bei einer Tour durchs Museum wird klar, warum die provokative Einmischung
dieses Kollektivs, das dafür vom Museum freie Hand bekommen hat, die
Neuausrichtung des Grassi Museums so auf den Punkt bringt. „Diese
Neuerfindung ist ein Versuch, das ethnologische Museum in die Zukunft zu
führen“, sagt Direktorin Léontine Meijer-van Mensch, die aus den
Niederlanden kommt und 2019 vom Jüdischen Museum Berlin nach Leipzig
wechselte.
## Einfach mehr Platz
Bislang ist erst ein Drittel der bisherigen Räume neu konzipiert, aber das,
was schon jetzt zu sehen ist, übertrifft das meiste, was man in vielen
ethnologischen Museen Deutschlands derzeit noch zu sehen bekommt – erst
recht das, was das Ethnologische Museum im erst vergangenes Jahr eröffneten
[4][Humboldt Forum in Berlin] zu bieten hat.
Es geht schon los mit einfach mehr Platz: Nicht nur, dass die Ausstellungen
Schritt für Schritt zurückgebaut und viele Objekte in einer der nun wieder
zugänglichen Etagen erst einmal in Zwischendepots verschoben werden, es
sind auch Wände im Museum verschwunden, um wieder mehr Licht ins Haus zu
lassen.
Hier geht es, und das ist deutlich zu spüren, um weit mehr als nur
Renovierung von Räumen, sondern um die Renovierung des ganzen
Selbstverständnisses vom Museum. Das Grassi geht nicht mehr einfach von
seinen zahlreichen Schätzen, von der schieren Fülle seiner circa 200.000
Objekte aus, von denen ohnehin 90 bis 95 Prozent im Depot lagern.
Vielmehr diskutiert es seine eigene Rolle in der nun endlich einsetzenden
Aufarbeitung des Kolonialismus und der aktuellen Diskussion um Rückgabe
menschlicher Überreste und Kunstwerke, die während der Kolonialzeit nach
Deutschland gelangt sind.
Eine Sortierung nach Kulturkreisen? Fehlanzeige. Stattdessen Räume, in
denen die alten Ausstellungspraktiken mithilfe historischer Vitrinen
aufgearbeitet werden, aber auch ein „Raum der Erinnerung“, der
Repatriierung menschlicher Überreste und Restitutionsvorhaben gewidmet ist
und über einen geschützten Bereich für Rückführungszeremonien verfügt. In
einem „Care Room“ kann man Wissenschaftler*innen wie im gläsernen
Labor beim Restaurieren und Konservieren über die Schulter sehen, in einem
„Prep Room“ beim Konzipieren neuer Ausstellungskonzepte.
Sehr beeindruckend ist auch der Raum, in dem es um die Rückgabe der
Benin-Bronzen geht. Die Bundesregierung hat 2021 beschlossen, dass die
Kunstwerke aus dem Königreich Benin im heutigen Nigeria, die größtenteils
durch die Plünderung durch britische Kolonialtruppen 1897 in alle Welt
zerstreut wurden, zurückgegeben werden sollen. Während andere wie das
Humboldt Forum nach wie vor Benin-Bronzen zeigen wollen oder sich wie das
Museum am Rothenbaum in Hamburg mit einer Ausstellung von ihren
Benin-Bronzen verabschieden, geht das Grassi mutiger vor.
Mit 263 Bronzen, die aus der Plünderung stammen, verfügt es mit Dresden
über die zweitgrößte „Sammlung“ nach dem Humboldt Forum. Dennoch hat es
sich entschieden, keines dieser Symbole kolonialer Inbesitznahme mehr zu
zeigen. Stattdessen lädt es zu einer „Denkpause“ ein. Es gibt einen
Zeitstrahl, der von der Geschichte der Rückgabeforderungen aus Nigeria
berichtet. Und das Kunstwerk „An der Schwelle“ des nigerianischen Künstlers
[5][Emeka Ogboh]: In einem dunklen Raum begegnen die Besucher*innen
Schwarz-Weiß-Porträts der Leipziger Bronzen in Leuchtkästen, die aus ihrer
schwarzen Umgebung hervortreten.
Übrigens, auch das geht aus der Ausstellung hervor: In Leipzig war es
derselbe Kilimandscharo-Dieb Hans Meyer, der wenig später einer der
wichtigsten Mäzene des heutigen Museums wurde. Der Spross der
Lexikonverlegerfamilie war finanziell weich gepolstert. Er konnte nicht nur
für seine zahlreichen „Forschungsreisen“ selbst aufkommen und an der
Leipziger Uni ein Institut finanzieren, zu dessen Professor er sich selbst
ernannte. Er konnte auch viel Raubkunst aus Afrika kaufen. Von den 263
Objekten aus Benin in Leipzig und Dresden stammen 62 von Hans Meyer.
4 Mar 2022
## LINKS
[1] https://grassi-voelkerkunde.skd.museum/
[2] http://www.p-a-r-a.org
[3] https://grassi-voelkerkunde.skd.museum/ausstellungen/teileroeffnung/para
[4] /Humboldt-Forum-Berlin-eroeffnet/!5787899
[5] /Museumsdirektorin-ueber-Bashing-von-rechts/!5821185
## AUTOREN
Susanne Messmer
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