# taz.de -- Humboldt Forum Berlin eröffnet: Jetzt ist aber mal Schloss! | |
> Das Humboldt Forum hat eröffnet. Nun wird sich auch das Publikum bei den | |
> großen Debatten einmischen, die es angestoßen hat. | |
Bild: Eine Figur von Romuald Hazoumé in der Ausstellung „Nach der Natur“ | |
Eigentlich sollte es ja schon zum Geburtstag Alexander von Humboldts | |
eröffnen. Im September 2019 wäre das gewesen, also vor fast zwei Jahren. | |
Doch dann kamen die Probleme mit dem Bau, danach Corona, eine Verschiebung | |
jagte die nächste. Endlich, am heutigen Dienstag, war es dann soweit. Das | |
größte und umstrittenste Kulturprojekt des Landes in der rekonstruierten | |
Berliner Schlosskulisse der Hohenzollern, das stattliche 680 Millionen Euro | |
gekostet hat, wurde fürs Publikum eröffnet. | |
Es ist an der Zeit, dass sich die Besucher*innen selbst ein Bild machen | |
– und mitreden. Denn auch wenn im Augenblick keiner so richtig weiß, welche | |
Richtung dieses Zentrum für Kultur, Kunst, Wissenschaft und Bildung nehmen | |
soll, scheint doch eines festzustehen: Die Debatten ums Humboldt Forum | |
gestalten sich mit seiner Eröffnung hitziger denn je. | |
Am Dienstag wurde denn nicht nur eröffnet, sondern zivilgesellschaftliche | |
Initiativen wie No Humboldt 21 und die Coalition of Cultural Workers | |
against the Humboldt Forum luden zur großen Demo. Seit Jahren stemmen sie | |
sich gegen das Schloss, forderten zuerst den Baustopp und nun den Abriss. | |
Doch sind sie nicht die einzigen, die das Humboldt Forum abwechselnd für | |
einen unerträglichen Cremekasten, ein Symbol für den Chauvinismus, | |
Militarismus und Nationalismus Preußens oder einfach für einen | |
überflüssigen Kulturkoloss halten. Allein auf die Diskussionen um die | |
deutsche Kolonialgeschichte in dieser ersten Jahreshälfte zurückzublicken | |
würde einen halben Krimi füllen. | |
## Angst vor Ansprüchen | |
Vielleicht nur ein Ausschnitt: Als bei der digitalen Eröffnung im Dezember | |
2020 der Intendant des Humboldt Forums Hartmut Dorgerloh auf die Frage nach | |
Nigerias Anspruch auf die berühmten Benin-Bronzen antwortete, dass „uns die | |
Leute die Bude einrennen werden“, da war die Kritik nicht gerade leise. Sie | |
wurde lauter, als wenig später das Auswärtige Amt in Nigeria über die | |
Rückgabe der Bronzen zu verhandeln begann, die im Humboldt Forum | |
ausgestellt werden sollten. | |
Und während also die wichtigsten Player im Humboldt Forum noch damit | |
beschäftigt waren, zuzugeben, was nicht mehr zu leugnen ist und sich ganz | |
nebenher auch noch gegen das frisch errichtete [1][Kreuz auf der Kuppel] | |
inklusive Bibelspruch abgrenzen musste, der die Unterwerfung aller Menschen | |
unter das Christentum fordert, da kam auch noch das Buch des Berliner | |
Journalisten und Historikers [2][Götz Aly „Das Prachtboot“] heraus. | |
Es handelt von einem der anderen Paradeobjekte der Ausstellungen im | |
Humboldt Forum, vom so genannten „Luf-Boot“. Bis dahin hatte der Präsident | |
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger stur behauptet, das | |
„Luf-Boot“ sei legal erworben worden. | |
Doch Aly erzählt, wie die deutschen Kolonialherren im „Schutzgebiet“ | |
Deutsch-Neuguinea töteten, vergewaltigten und die Bewohner zur Zwangsarbeit | |
auf ihren Plantagen verschleppten. 1882 forderten deutsche Kaufleute eine | |
militärische „Strafaktion“ an, daraufhin ermordeten deutsche Marinesoldaten | |
auf der Insel Luf bis zu 350 Menschen. | |
## Das blutbefleckte Luf-Schiff | |
20 Jahre später kehrten Vertreter des Unternehmens, das die Strafaktion | |
veranlasst hatte, zur Insel Luf zurück und brachten das Boot in ihren | |
Besitz. Bei einer Presseführung Ende Juni wusste Parzinger nicht viel zu | |
sagen auf die Frage, ob die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte nicht | |
offensiver sein müsste – und verwies auf eine Begleitbroschüre, in der all | |
das aufgearbeitet werde. | |
Die Staatlichen Museen zeigten sich einmal mehr nicht nur als unbeweglich, | |
sondern als knallharte Verteidiger ihrer Pfründe. | |
Doch wen es dieser Tage als Besucher*in ins Humboldt Forum verschlägt, | |
der wird von den so genannten außereuropäischen Sammlungen dieser Museen | |
erst einmal nicht viel zu sehen bekommen. Die derzeit so umstrittenen | |
Objekte des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, | |
die zusammen ein Drittel der riesigen Nutzfläche des Humboldt Forums | |
bespielen werden, sollen erst ab dem 22. September präsentiert werden. | |
Stattdessen sind zunächst nur sechs Ausstellungen kleinerer Player in | |
diesem Haus zu begutachten. | |
## Moderieren statt kuratieren | |
Tatsächlich kommen [3][diese Ausstellungen erstaunlich kritisch] daher. Sie | |
sehen ihre eigene Rolle als Korrektiv des Großen und Ganzen, als | |
Speerspitze der Bewegung sozusagen. Das gilt für die Ausstellung „Nach der | |
Natur“ der Humboldt Universität Berlin, in der es auf erhellende Art um die | |
aktuelle Krise der Natur und der Demokratie geht. | |
Das gilt auch für [4][die Ausstellung „Einblicke“] über die Paten des | |
Humboldt Forums Alexander und Wilhelm von Humboldt, die diese anders als | |
derzeit üblich nicht nur als die intellektuellen Superheroes ihrer Zeit | |
darstellen, sondern auch als privilegierte, weiße Männer, die sich ziemlich | |
instrumentalisieren ließen. | |
Das gilt vor allem aber für die Ausstellung „Berlin Global“ des Berliner | |
Stadtmuseums unter Chefkurator Paul Spies aus Amsterdam. Während viele | |
Kurator*innen im Humboldt Forum noch davon sprechen, man arbeite auf | |
Augenhöhe mit den Herkunftsgesellschaften zusammen, sehen sich die | |
Kurator*innen von „Berlin Global“ längst nur noch als Moderator*innen. | |
Große Teile der Ausstellung habe man an sogenannte „critical friends“ | |
abgetreten, an zivilgesellschaftliche Organisationen oder | |
Künstler*innen. | |
## Nur Feigenblätter? | |
Dabei geht es in „Berlin Global“ stets um das ungeklärte Verhältnis der | |
Deutschen zum Kolonialismus und dessen Folgen, dem omnipräsenten | |
Alltagsrassismus. Unter anderem haben beispielsweise Studierende der | |
Humboldt-Universität aktuelle Grenzen in der Stadt ausgemacht und für eine | |
interaktive Medienstation aufbereitet: Sie beleuchten Undurchlässigkeit wie | |
Barrieren, hohe Mieten oder mangelnde Gesundheitsversorgung von Menschen | |
ohne Aufenthaltspapiere. | |
Aber werden kleine, feine Ausstellungen wie „Berlin Global“, „Nach der | |
Natur“ oder „Einblicke“ das Humboldt Forum wirklich in die richtige | |
Richtung schubsen können? Die Initiativen, die am Dienstag zur Demo | |
aufriefen, halten diese eher für den dilettantischen Versuch, kritische | |
Stimmen zu absorbieren. | |
Hinzu kommt, dass immer wieder einige dieser kritischen Stimmen abspringen. | |
Erst am letzten Freitag machte das selbstverwaltete Berliner Jugendzentrum | |
Potse Schluss, das gerade mit seinem Kampf gegen Verdrängung die Debatten | |
in der Stadt prägt und einen Raum der „Berlin Global“-Ausstellung gestalten | |
sollte. Man sei sich der Schwierigkeit immer bewusster geworden, „Kritik | |
von innen auszuüben, ohne sich dabei als Feigenblatt ausnutzen zu lassen.“ | |
Wird das Humboldt Forum die Kurve kriegen oder nicht, werden hier wirklich | |
in ausreichendem Maße „komplexe, schmerzhafte und schwierige Themen wie | |
Raubkunst, Provenienzforschung oder Restitutionsfragen die Programmarbeit | |
prägen“, wie Intendant Dorgerloh das am Montag vor der Eröffnung | |
formulierte? | |
## Wüstensand als Alternative? | |
Die grüne Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, die unter anderem | |
Berichterstatterin der Fraktion für die Aufarbeitung des kolonialen Erbes | |
ist und die Salamitaktik der Stiftung Preußischer Kulturbesitz scharf | |
kritisiert, zweifelt daran. [5][Gegenüber der taz sagt sie,] dass das | |
Humboldt Forum die Notwendigkeit erkennnen sollte, „dass bei jeder | |
Ausstellung eines Objekts aus kolonialem Kontext die führende Wahrnehmung | |
der Hinweis auf das Unrecht ist.“ | |
Der Hamburger Historiker und Afrikawissenschaftler [6][Jürgen Zimmerer | |
schlug Mitte Mai in einem Beitrag in der taz vor], den prunkvollsten Hof | |
des Humboldt Forums mit Sand aus der Omahekewüste aufzufüllen, wo deutsche | |
Kolonialtruppen 1904 die Herero zugrunde gehen lassen wollten. | |
Vielleicht aber könnte man auch ohne konkrete Rückgabeforderungen von | |
Seiten Papua-Neuguineas das Loch in der Fassade wieder aufreißen, das da | |
eine Weile klaffte, damit das 16 Meter lange „Luf-Boot“ eingebracht werden | |
konnte. | |
Das jedenfalls wäre mal etwas anderes als der simple Abriss, den derzeit so | |
viele an einem Ort fordern, wo schon so viel abgerissen wurde. Es wäre auch | |
etwas anderes als feine Nadelstiche kleiner Ausstellungen und | |
Begleitbroschüren. | |
20 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Kritik-am-Humboldt-Forum/!5781536 | |
[2] /Berliner-Humboldt-Forum-oeffnet/!5783035 | |
[3] /Ausstellungen-im-Humboldt-Forum-oeffnen/!5782601 | |
[4] https://www.humboldtforum.org/de/programm/dauerangebot/ausstellung/daueraus… | |
[5] /Deutsche-Erinnerungskultur-im-Wandel/!5687923 | |
[6] /Aufarbeitung-des-deutschen-Kolonialismus/!5767433 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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