| # taz.de -- Kritik am Humboldt Forum: Storchennest statt Christenkreuz | |
| > 60 Millionen Euro sollen pro Jahr für den Betrieb des Berliner Schlosses | |
| > anfallen. Die Initiative „Defund the Humboldt Forum!“ fordert eine | |
| > Umverteilung. | |
| Bild: Gründe, nicht mitzumachen, haben sie viele: die Plakate der Künstler:in… | |
| Birken hätten sich zwischen Rohbeton und Ziegel versät, ihr schräg aus der | |
| Fassade ragendes Wachstum überwucherte das blaue Kuppelband und zersetzte | |
| den goldenen „Beug das Knie vor Jesus“-Spruch schon auf natürliche Weise. | |
| Über den Engeln der Kuppellaterne thronte nun ein Storchennest an der | |
| Stelle des eisernen Christenkreuzes, das längst abmontiert und recycelt | |
| geworden wäre, und innen, in den oberen Stockwerken [1][des an diesem | |
| Dienstag eröffnenden Humboldt Forums], wo das Ethnologische Museum | |
| angesiedelt ist, da gäbe es zwar [2][all die vielen Objekte, die Jahrzehnte | |
| trotz ihres unrechtmäßigen Besitzes in den Sammlungen waren] – die „Idia�… | |
| die Mutter des Oba Esigie aus dem 16. Jahrhundert des Königreichs Benin, | |
| [3][die 16 Meter langen Südseeschiffe der Eremiteninsel Luf]. | |
| Doch sie wären alle nur eine Projektion. Die 10.500 Quadratmeter | |
| Museumsfläche hinter der künstlichen Hülle eines Preußenschlosses wären | |
| einfach leer, alleinig das Lichtspiel von den Objekten füllte sie, | |
| übertragen aus den vielen anderen Museen, Kultur- und Kulthäusern einst | |
| kolonialisierter Gesellschaften, die sie sich nun wieder zurückgeholt | |
| hätten. | |
| Hätten. Wären. Das ist nur ein spekulatives Szenario, ein ganz schönes | |
| sogar, aber so könnte es einmal am nun eröffnenden Humboldt Forum zugehen, | |
| würden die 60 Millionen Euro, die jetzt jährlich für seinen Betrieb im | |
| rekonstruiertem Schloss anfallen sollen, umverteilt. „Defund the Humboldt | |
| Forum!“, das ist die Forderung eines Zusammenschlusses der Coalition of | |
| Cultural Workers against the Humboldt Forum, kurz CCWAH, und Barazani | |
| Berlin. | |
| Jetzt zur Eröffnung des Humboldt Forums wird die Initiative, der mit unter | |
| anderem Alice Creischer und [4][Natascha Sadr Haghighian] bekannte Stimmen | |
| der zeitgenössischen Kunst in Deutschland angehören, noch einmal laut. Es | |
| gibt Projektionen rund ums Schloss, Plakate im Stadtraum, eine | |
| Demonstration am Dienstagmittag (ab 13 Uhr). | |
| Entsammeln und umverteilen | |
| Dabei trifft die Initiative einen empfindlichen Nerv. Die Institution des | |
| Museums selbst mit seiner kanonischen Formel „Sammeln, Bewahren, Forschen“ | |
| ist durch die Restitutionsdebatte rissig geworden. „Entsammeln“ ist gar | |
| der Aufruf der Kunsthistorikerin Julia Pelta Feldmann. Warum also nicht zur | |
| Eröffnung noch einmal alles umwerfen – und umverteilen, in Form von | |
| Objekten, Wissen und Geld?, fragt CCWAH. | |
| „Wie können wir die Kolonialgeschichte, die christliche Missionsarbeit, das | |
| ethnografische Sammeln und die soziale Rolle der ethnografischen Museen | |
| heute aufdröseln?“, zitiert die Initiative auf ihre [5][Website ccwah.info] | |
| den in Südafrika lehrenden Duane Jethro. „Es geht um konkretes Handeln, das | |
| eine radikale, echte Aufarbeitung der materiellen Beziehungen zur | |
| Vergangenheit erfordert.“ | |
| 60 Millionen Euro jährlich für die Aufrechterhaltung des Betriebs im | |
| wiedererrichteten Hohenzollern-Schloss – Barazani stellen diese auf ihrer | |
| Website ins Verhältnis: 36,6 Millionen an Entwicklungshilfe verspricht das | |
| Außenministerium jährlich für Namibia, für eine ganze, durch die Gräuel der | |
| deutschen Kolonialzeit traumatisierte Gesellschaft. | |
| Für das Humboldt Forum ist das wiederaufgebaute Schloss ein Fluch. So sehr | |
| sich die komplexe Institution mit ihren vielen Museen auch für Kritik | |
| öffnet, jetzt sogar tatsächlich eine Rückgabe seiner unrechtmäßigen | |
| Bestände in Aussicht stellt, steht ihr die geschichtsklitternde Symbolik | |
| des rekonstruierten Preußenschlosses im Weg. Von „Betonbarock“ spricht das | |
| Humboldt Forum selber, die Schizophrenie seines eigenen Gebäudes | |
| anerkennend, für CCWAH verliert aber die ganze Institution durch eben | |
| diesen Betonbarock seine Glaubwürdigkeit: „Imperialismus verlernen mit dir, | |
| geht einfach nicht!“ | |
| 3 Millionen private Spenden | |
| In ihrem subversiven Souvenirladen am Spreeufer, gegenüber vom Schloss, | |
| arbeitet CCWAH in einer Ausstellung mit Postkarten, Filmen und Plakaten – | |
| sehr zu empfehlen das Video „PsychoBoddin – Volksbegierden Totale | |
| Rekonstruktion“ von J. P. Raether – noch einmal auf, wie es überhaupt zu | |
| diesem Schlossbau kommen konnte. Mit etwas Bauchkrämpfen muss man dabei | |
| anerkennen, dass es ein demokratischer Prozess war. Mit dem Schloss wurde | |
| ein Bürger:innenwille sichtbar. Dafür zeugen heute die 3 Millionen | |
| privat gespendeten Ziegel an seiner Fassade. | |
| Der Wille finanzstarker Bürger:innen zudem, deren Namen und Stiftungen | |
| nun an den Portalen aufgelistet sind. Am Kuppelkreuz aber gerät dieser | |
| demokratische Prozess ins Wanken, denn hier ist es der ganz individuelle | |
| Wille der Millionenspenderin Inga Maren Otto, die mit dem eisernen | |
| Christensymbol ihre persönliche Gesinnung für erst einmal sehr lange Zeit | |
| im öffentlichen Raum platziert. „An dieser Stelle war für uns Schluss“, | |
| sagt [6][Ina Wudtke] von CCWAH, so „weltoffen sich das Humboldt Forum auch | |
| zeigt, beim Kreuz hört es auf.“ | |
| Dem geballten, geldunterfütterten Bürger:innenwillen des | |
| Schlossneubaus stellt Defund the Humboldtforum nun einen anderen, ebenfalls | |
| öffentlichen Willen gegenüber. 40 Künstler:innen gestalteten Plakate für | |
| den Stadtraum. „Ich mache da nicht mit, weil mir bei der Verharmlosung | |
| deutscher Kolonialverbrechen und dem Abfeiern auf das Christentum und | |
| Preußen-Schick die Fantasie durchgeht“, heißt es dann. | |
| 19 Jul 2021 | |
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| [5] https://ccwah.info/de/ | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophie Jung | |
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