# taz.de -- Autor über das Berliner Schloss: „Es war Volkseigentum“ | |
> Im Buch „Des Kaisers Nachmieter“ erzählt der Journalist Christian Walther | |
> von der republikanischen Phase des Berliner Schlosses. | |
Bild: Das Schloss aka Humboldt-Forum, das Dienstag in Berlin seine Tore öffnet | |
Der umstrittene Wiederaufbau des Berliner Schlosses ist abgeschlossen. Im | |
Bewusstsein der Öffentlichkeit ist es vor allem als ehemalige | |
Kaiserresidenz. Über die Nutzung des Bauwerks nach dem Ersten Weltkrieg ist | |
vergleichsweise wenig bekannt. Der Politologe Christian Walther hat darüber | |
ein Buch geschrieben und erzählt in „Des Kaisers Nachmieter“ von der kurzen | |
Zeit, in der Wissenschaft und Kultur im Gebäude Einzug hielten. Ein | |
Gespräch über das alte und neue „Schloss der Republik“. | |
taz am wochenende: Herr Walther, das Berliner Schloss war bis zum Ende des | |
Ersten Weltkriegs über 400 Jahre im Besitz der Hohenzollern. Warum nennen | |
Sie es das Schloss der Republik? | |
Christian Walther: Wenn Sie nach Moskau fahren, ist der Kreml dann das | |
Schloss der Zaren? Wenn Sie nach Paris kommen, ist der Louvre das Schloss | |
der Bourbonen? Nein, in beiden Fällen hat es einen dramatischen | |
Funktionswandel gegeben, und das war in Berlin genauso. [1][1918 ist der | |
Kaiser ausgezogen, gezwungenermaßen, aufgrund revolutionärer Ereignisse]. | |
Und von da an waren die Hohenzollern Geschichte. Ins Schloss zogen | |
verschiedene Wissenschafts- und Kultureinrichtungen. | |
Welche waren das? | |
Das Kunstgewerbemuseum, das Museum für Leibesübungen, die Deutsche | |
Forschungsgemeinschaft, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute | |
Max-Planck-Gesellschaft) mit zwei Instituten und Hauptverwaltung, der | |
Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD, eine Gemeinschaftsküche für | |
mittellose Künstler und Studenten, ferner ein Tagesheim für Studentinnen | |
und vieles mehr. Beim Abriss 1950 waren die Hohenzollern weder Mieter noch | |
Eigentümer des Schlosses. Das Schloss war, wie Karl Liebknecht am 9. | |
November 1918 vor dem Schloss deklamiert hatte, Volkseigentum – nach | |
Rechtsform und Inhalt eben das Schloss der Republik. | |
Wer hat nach dem Auszug des Kaisers im Schloss gewirkt? | |
Mir ist bei den Recherchen für „Des Kaisers Nachmieter“ aufgefallen, dass | |
es in diesem Schloss bemerkenswerte Frauen gegeben hat, in der | |
Wissenschaft, in der Kultur, in der Führung von Instituten, die es so in | |
dieser Form vorher nicht gegeben hat. Es tauchte ein neuer Typus von Frau | |
auf, zum großen Teil jüdisch, zum Teil aus dem Ausland und in fast jedem | |
Fall Akademikerinnen erster Generation, da noch deren Mütter gar nicht | |
studieren durften. | |
Zum Beispiel? | |
Die ideale Verkörperung dieses neuen Typus von Frauen ist nach meinen | |
Recherchen Marguerite Wolff, eine jüdische Frau, die aus England kam, und | |
in Berlin den Juristen Martin Wolff geheiratet hat, aber mehr oder weniger | |
unabhängig von ihm in einem Kaiser-Wilhelm-Institut Karriere gemacht hat. | |
Zudem war sie autoverliebt, hat sogar den Lkw-Führerschein gemacht und ein | |
Lehrbuch zum Führerscheinerwerb geschrieben. Als Jüdin wurde sie 1933 | |
entlassen und ist dann nach England zurückgekehrt, zusammen mit ihrem | |
ebenfalls jüdischen deutschen Mann, für den England das Exil bedeutete. | |
Einen Großteil in Ihrem Buch nimmt die Weimarer Republik ein. Warum ist das | |
Kapitel über die NS-Zeit so kurz geraten? | |
Weil das Schloss in der NS-Zeit gemessen an der Größe des Baukörpers und | |
der zentralen Lage in der Stadt eine erstaunlich nebensächliche Rolle | |
gespielt hat. Es sind keine großen Nazi-Institutionen in dieses Schloss | |
eingezogen. Es gibt zwar Bilder, die uns zeigen, wie Hitler noch vor der | |
Machtergreifung vor dem Schloss zu den Massen redete. Aber später haben die | |
Nationalsozialisten nicht mehr das Schloss als Bezugspunkt ihrer | |
Masseninszenierungen genommen, sondern das Alte Museum, das mit seiner | |
griechischen antiken Ästhetik viel besser zur Nazi-Ästhetik passte als das | |
barocke Schloss. Natürlich hat es eine politische Durchdringung des Hauses | |
gegeben, weil es eine Durchdringung der Institutionen gegeben hat, die dort | |
residiert haben. Selbst unter den Nazis ist dort aber noch ein Museum neu | |
aufgemacht worden, nämlich das Museum der Preußischen Staatstheater, und | |
man hat einen neuen Probensaal für das Staatsballett dort eingebaut. | |
Das Schloss wurde während der Weimarer Republik als Schatzkammer der Künste | |
bezeichnet. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass das Humboldt Forum ebenfalls | |
zu solch einer werden kann? | |
Es ist offensichtlich, dass das [2][Humboldt-Forum] jetzt, auch wenn die | |
Hausherren den Begriff Schloss versuchen zu umgehen, stärker anknüpft an | |
dieses Schloss der Republik der 20er-Jahre, als dass es anknüpfen würde an | |
die Zeit der Hohenzollern. Ob es gelingt, wie in den 20er Jahren mit dem | |
Kunstgewerbemuseum, das eines der meistbesuchten Museen der Stadt war, auch | |
die außereuropäischen Sammlungen zu einem der meistbesuchten Orte der Stadt | |
zu machen, das weiß ich noch nicht. Ich bin ziemlich sicher, dass das | |
Restaurant auf dem Dach zu einem der meist besuchten Orte werden wird. | |
Trotzdem bleibt die Frage, ob das prunkvolle Gebäude an sich auf die | |
Besucher nicht stärker wirkt als die darin ausgestellten Objekte. | |
Es ist eigentlich immer eine aufgestülpte Interpretation, in historischen | |
Bauten nur Repräsentation der damals Herrschenden zu sehen. Man kann darin | |
auch den Ausdruck des architektonischen Schaffens einer Epoche, das | |
unglaubliche künstlerische Vermögen von Bauhandwerkern sehen. Es ist ja | |
nicht so, dass man irgendeinen der Hohenzollern dort irgendwann mal einen | |
Stein hat mauern sehen. | |
Würden Sie bei der [3][Garnisonkirche in Potsdam, vor der sich der | |
Handschlag zwischen Hitler und Hindenburg ereignete], genauso | |
argumentieren? | |
Ich verstehe, dass die Garnisonkirche umstritten ist, weil sie historisch | |
stärker belastet ist. Da ist mir auch keine republikanische Geschichte | |
bekannt. In gewisser Weise können sich Gebäude schwer davon lösen. Aber wir | |
sehen ja auch, dass die DDR überhaupt gar kein Problem hatte mit dem Haus | |
der Ministerien, also mit dem Reichsluftfahrtministerium. Es ist immer ein | |
bisschen schwierig, Häuser von ihrer Geschichte trennen zu wollen. Aber es | |
ist auch aus meiner Sicht unklug, wenn man versucht, Häuser immer nur unter | |
einem sehr singulären Aspekt einer Perspektive zu interpretieren. Und bei | |
dem Schloss haben wir es mit einem Gebäude zu tun, dessen republikanische | |
Geschichte im Grunde seit 1949 oder seit der Sprengung 1950 unterschlagen | |
worden ist. | |
Unterschlagen? | |
In der DDR war es nicht möglich, über diese Geschichte zu reden. Die | |
DDR-Führung war sich vielleicht dieser Geschichte auch gar nicht in der | |
Weise bewusst. Es ist zudem auffällig, dass es auch in der westdeutschen | |
Sozialdemokratie kaum Kenntnis dieser Geschichte gibt. | |
Diese Wissenslücke besteht heute wahrscheinlich immer noch. | |
Ich denke, wenn die deutsche Linke, die den Wiederaufbau ja in großen | |
Teilen ablehnt, sich der republikanischen Phase des Schlosses bewusst | |
gewesen wäre, hätte sie wahrscheinlich eine andere Position eingenommen. | |
Das Schloss hatte nach der Kaiserzeit eben eine komplett andere Funktion | |
als die einer Hohenzollern-Residenz. | |
Karl Liebknecht hat nach der Revolution gesagt, dass kein Hohenzollern je | |
mehr den Platz betreten wird. Könnte man den Wiederaufbau des Schlosses | |
nicht als falsches Signal verstehen in Richtung jener Adelsfamilie, die in | |
der jüngsten Vergangenheit immer wieder unverschämte | |
Restitutionsforderungen vorgebracht hat? | |
Ich habe nicht den Eindruck, dass [4][die Hohenzollern] auf die Idee kommen | |
würden zu sagen: Hallo, das Schloss gehört übrigens uns. Es ist schon 1926 | |
geklärt worden, dass es dem Volk gehört. Damals ist mithilfe von | |
Volksentscheiden, teilweise mit Gesetzen, teilweise mit vertraglichen | |
Verabredungen mit den jeweiligen Herrscherhäusern, festgelegt worden, was | |
alles enteignet wird. Und da gehört eben das Berliner Schloss dazu. Es sind | |
relativ wenige, die dann den Hohenzollern verblieben sind, so wie auch | |
anderen Adelshäusern relativ wenig verblieben ist. Aber wenig ist natürlich | |
relativ, die Schlösser sind immer noch sehr, sehr viel wert. | |
17 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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