| # taz.de -- Wandel der Berliner Museen: Raub am Nil | |
| > Die Debatte um Restitution ist omnipräsent, viele Museen erfinden sich | |
| > neu. Doch die Ausstellung „Abenteuer am Nil“ bleibt davon ziemlich | |
| > unberührt. | |
| Bild: „Unsere Wohnung in Neu Dongola“, Georg Erbkam (1844) | |
| Sie hatten Landschaftsmaler und Zeichner dabei, Architekten und Gipsformer, | |
| einheimische Helfer und zwei Sklaven, die für sie kochten, dolmetschten, | |
| die Tiere pflegten und antike Schätze durch die Wüste schleppten. Sie | |
| ritten auf Kamelen, zelteten bei Wind und Wetter in der Wüste, fuhren auf | |
| dem Nil und picknickten auf der Cheopspyramide. | |
| Die preußische Expedition nach Ägypten, von König Friedrich Wilhelm IV. | |
| finanziert, fand unter der Leitung des Ägyptologen, Sprachwissenschaftlers | |
| und Bibliothekars Karl Richard Lepsius 1842 bis 1845 statt. | |
| Lepsius, so zeigt eine am Wochenende eröffnete [1][Sonderausstellung im | |
| Neuen Museum mit dem Titel „Abenteuer am Nil“], brachte nicht nur 7.408 | |
| Papierabklatsche von Reliefs und Inschriften sowie 1.315 Zeichnungen vom | |
| Nil nach Berlin, sondern auch 1.900 antike Objekte. Sie wurden von den | |
| Expeditionsteilnehmern ausgegraben, aus Bauwerken und deren Ruinen | |
| gebrochen. | |
| Schon während seiner Reise dachte Lepsius daran, wie er das Neue Museum | |
| füllen konnte, dessen Bau damals geplant war. Das Ägyptische Museum Berlin, | |
| das 1828 gegründet wurde und 1850 jene Räume im Museum erhielt, die es seit | |
| 2009 wieder bespielt, verdankt einen großen Teil seiner Sammlung dieser | |
| Expedition. Doch gehören alle Sammlungsstücke überhaupt hierher? | |
| ## Die Zeit ist stehen geblieben | |
| Die Debatte über Raubkunst und deren Rückgabe in ihre Herkunftsländer hat | |
| Fahrt aufgenommen, auch [2][dank des umstrittenen Humboldt Forums, das vor | |
| wenigen Wochen seine letzten Ausstellungsräume eröffnet hat]. Doch hier im | |
| Neuen Museum scheint bei der Presseführung durch die Ausstellung „Abenteuer | |
| am Nil“ die Zeit stehen geblieben zu sein. | |
| Natürlich ist die Debatte an Vize-Direktorin Olivia Zorn und Kuratorin | |
| Silke Gallert nicht vorbeigegangen. Besonders um Nofretete, die größte | |
| Attraktion der Ägyptischen Sammlung auf der Museumsinsel, wurde ja jüngst | |
| viel gestritten, wie den beiden durchaus bewusst ist. Doch bei der | |
| Nofretete gibt es auch feine Unterschiede, wie sie ebenfalls wissen. | |
| Zur Erinnerung: Die berühmte Büste aus der Werkstatt des antiken Bildhauers | |
| Thutmosis wurde vom deutschen Archäologen Ludwig Borchardt erst 70 Jahre | |
| nach der preußischen Expedition 1912 entdeckt. Damals stand Ägypten unter | |
| britischer Besatzung. Es galt die Regelung der „Fundteilung“: Eine Hälfte | |
| blieb vor Ort, die andere Hälfte der Fundstücke ging in das Land, das die | |
| Ausgrabung finanzierte. | |
| Jenseits der Annahme, dass Borchardt bei der Fundteilung getrickst haben | |
| könnte, bleibt zu sagen: Diese Regelung haben sich die Engländer und die | |
| Franzosen ausgedacht – Letzteren unterstand die Antikenverwaltung. | |
| Nach kolonialem Recht befindet sich die Nofretete legal in Berlin, der Fall | |
| ist juristisch entschieden. Allerdings hat der Hamburger | |
| Globalgeschichtsforscher Jürgen Zimmerer in diesem Zusammenhang ganz | |
| richtig festgestellt: „Niemand sollte sich auf das Recht der Kolonialmächte | |
| von damals berufen. Wir halten ja auch die Enteignungen durch die | |
| Nationalsozialisten nicht für legal, obwohl das einst geltendes Recht war.“ | |
| Die Nofretete gehört aus ethischer Perspektive nach Ägypten, zumal das Land | |
| zum ersten Mal 1946 und zum letzten Mal in diesem Sommer Anspruch erhoben | |
| hat. | |
| ## Warum so großzügig? | |
| Und wie ist es mit den 1.900 Objekten, die Lepsius nach Berlin schleppte? | |
| Bislang hat Ägypten auf sie keine Ansprüche erhoben. Nach dem Ende der | |
| Pharaonenzeit erlebte das Land am Nil bekanntlich eine Geschichte | |
| zahlreicher Fremdherrschaften. Es war Teil des Persischen, Hellenischen und | |
| Römischen Reichs, im 7. Jahrhundert eroberten es islamische Araber, im 16. | |
| Jahrhundert das Osmanische Reich. Als die preußischen Abenteurer kamen, | |
| strebte ein ägyptischer Gouverneur aus Nordgriechenland nach Unabhängigkeit | |
| vom Osmanischen Reich; er wollte das Land modernisieren. All das erfährt | |
| man sehr nachvollziehbar in der Ausstellung. | |
| Was man dagegen nicht erfährt: Auf seiner Suche nach Verbündeten kam Mehmet | |
| Ali Pascha die Anfrage aus Preußen für seine Ränkespiele gerade recht. | |
| Preußen wiederum war gerade in den Wettstreit mit England und Frankreich um | |
| die wissenschaftliche Führungsrolle eingestiegen. „Die Sondergenehmigung, | |
| die Mehmet Ali Pascha Lepsius erteilte, war ein diplomatisches Geschenk“, | |
| sagt Olivia Zorn. „Ein sehr großes diplomatisches Geschenk.“ | |
| Die Ausstellung „Abenteuer am Nil“ ist in warmen Gelbtönen sehr ansprechend | |
| gestaltet. Es gibt einen großen Bereich, in dem man sich am Zeichnen von | |
| Hieroglyphen ausprobieren kann, eine tolle Gesprächsreihe und Angebote an | |
| Schulen. Aber in den entscheidenden Fragen kratzt sie nur an der | |
| Oberfläche. Warum war es Preußen so wichtig, an die Spitze der Ägyptologie | |
| zu kommen? Warum gilt Ägypten in vielen Schulbüchern bis heute als | |
| Vorläufer des weißen, kulturell gehobenen Europas – meist unter | |
| Ausklammerung der schwarzen Pharaonen aus Nubien um 800 vor Christus? Wie | |
| hegemonial und eurozentrisch war der Blick, mit dem Lepsius die Objekte | |
| auswählte? | |
| [3][Viele Museen in Deutschland haben zuletzt begonnen, sich neu zu | |
| erfinden] und Artefakte zurückzugeben, weil jene einfach in ihren | |
| Herkunftsländern mehr gebraucht werden. Von dieser Haltung ist diese | |
| Ausstellung weit entfernt. | |
| 16 Oct 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/neues-museum/besuch-planen/prei… | |
| [2] /Benin-Bronzen-im-Humboldt-Forum/!5879196 | |
| [3] /Grassi-Museum-in-Leipzig-im-Umbau/!5836904 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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