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# taz.de -- Neue Perspektiven auf Nofretete: Alle wollten dazugehören
> Der Historiker Sebastian Conrad zeichnet im Buch „Die Königin“ die
> Karriere der berühmtesten Repräsentantin antiker Hochkultur nach:
> Nofretete.
Bild: Königin aller Herzen weltweit: Nofretete, die vermutlich im 14. Jahrhund…
Ganz gleich, in welchem ägyptischen Souvenirladen man sich umschaut. Ob bei
den Pyramiden in Kairo, dem Tempel von Abu Simbel oder im Tal der Könige
bei Luxor, überall blickt einem ein Gesicht entgegen. Untrennbar ist es mit
diesen Orten verbunden: die Büste der Nofretete. Eine Ikone des Alten
Ägyptens.
Doch wer das Original sehen will, muss Tausende Kilometer nach Norden
reisen. Es befindet sich in Berlin auf der Museumsinsel. Dort steht sie als
einziges Exponat im Nordkuppelsaal des Neuen Museums. Nirgends ist die
Nofretete weiter weg, als dort, wo sie eigentlich hingehört.
Wie kam es dazu? Davon erzählt das Buch „Die Königin. Nofretetes globale
Karriere“ von Sebastian Conrad, Historiker an der Freien Universität
Berlin. Und nicht nur davon. Denn die Nofretete ist viel mehr als nur
Souvenir oder Museumsstück. Vor hundert Jahren wurde sie in Berlin erstmals
der Öffentlichkeit präsentiert. Eine Sensation.
## Beispiellose Karriere
Seitdem hat sie eine beispiellose Karriere als weltweite Ikone hingelegt.
Über alle sozialen, politischen und weltanschaulichen Schranken hinweg.
[1][Westliche Bildungsbürger] bewundern ihre kultivierte Noblesse,
Feministinnen ihren Machtanspruch.
Für afroamerikanische Intellektuelle symbolisiert sie Afrika als Ursprung
der Zivilisation, für ägyptische Nationalisten die Einmaligkeit ihres
Staats. Amnesty International nutzt ihre Züge für den Protest gegen
Menschenrechtsverletzungen, Popstars wie Beyoncé oder Rihanna sehen in ihr
ein Symbol für Black Power.
Nofretete „wurde nicht einfach ausgegraben: Sie wurde gemacht“, schreibt
Conrad. Die Hintergründe ihrer zahlreichen Aneignungen zeichnet er in
seinem Buch nach. [2][Und die historischen und zeitgenössischen Diskurse,
die daran ablesbar sind]. Ein ebenso lehrreiches wie unterhaltsames
Unterfangen. Das viel über die Widersprüche der Zeit erzählt, in der wir
leben.
## Ursprung der Moderne
Dass die Nofretete überhaupt zur globalen Ikone wurde, verdankt sie laut
Conrad einer im 20. Jahrhundert dominierenden Erzählung: Die Vorgeschichte
Europas führt danach in direkter Linie über das antike Rom und Griechenland
zu den Ägyptern. Ägyptische Kultur wurde so zum Ursprung der europäischen
Moderne und damit zum Symbol für Fortschritt und Überlegenheit.
Und alle wollten dazu gehören. Mexikanische Intellektuelle sahen in der
Ähnlichkeit zu aztekischen Pyramidenbauten den Beweis für eine direkte
Verbindung zur ägyptischen Kultur. Für die Chinesen waren es die
Überschneidungen in den Hieroglyphen ihrer Schriftkultur. In Indien wurde
behauptet, dass „die alten Hindus und die alten Ägypter ein und dasselbe
Volk sind“.
In Brasilien wurde sofort nach der Unabhängigkeitserklärung 1822 ein Museum
mit altägyptischen Artefakten errichtet. Und mittendrin in der
Ägypten-Euphorie: Nofretete. Die berühmteste Repräsentantin der antiken
Hochkultur, mit der sich alle schmücken wollten.
## Statt einer nun viele Erzählungen
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich diese kulturelle Ordnung, wie
Conrad sagt, grundlegend verändert. Die europäischen Kolonialreiche sind
Geschichte und die mit ihnen einhergehende Deutungshoheit wenn auch nicht
ganz verschwunden, so auf jeden Fall stark abgeschwächt. An die Stelle der
einen westlichen Moderne ist eine Vielzahl moderner Gesellschaftsentwürfe
getreten. Statt einer Erzählung, gibt es viele. Auch über die Nofretete.
Wäre es nicht spätestens jetzt an der Zeit, auch die lokale Ordnung zu
ändern? Sprich die Nofretete wieder dorthin zurückzubringen, wo sie
hingehört, nach Ägypten? Doch [3][die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
beharrt] auf dem alten Teilungsvertrag, der zum Zeitpunkt der Entdeckung
von Nofretete galt: Die Grabungsexpedition, die zur Entdeckung der Büste
führte, wurde von Deutschland organisiert und finanziert.
Deshalb ging nach damaligem Recht die Hälfte der Funde an Deutschland, die
andere Hälfte verblieb in Ägypten. Conrad betont in seinem Buch, dass
dieser Vertrag unter imperialistischen Machtverhältnissen geschlossen
wurde. Aus heutiger Sicht sei er nicht mehr haltbar. Zudem gibt es
Spekulationen, dass die Ägypter bewusst getäuscht worden seien. So soll der
damalige deutsche Expeditionsleiter Ludwig Borchardt die Statue mit Dreck
beschmiert oder sogar versteckt haben, um sie nicht abgeben zu müssen.
Wäre die Nofretete einige Jahre später entdeckt worden, wäre sie
höchstwahrscheinlich in Ägypten geblieben, schreibt Conrad. Aber dann, auch
das einer dieser Widersprüche unserer Zeit, hätte sie vielleicht nie diese
spektakuläre globale Karriere erlebt.
27 Mar 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Verena Harzer
## TAGS
Antike
Ägypten
Kolonialgeschichte
Feuilleton
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