| # taz.de -- Geschichte der Staatengründung: Von der Gemeinschaft zum Staat | |
| > Warum haben sich Siedlungen zu Nationen zusammengeschlossen? | |
| > Archäologische Daten aus Mesopotamien haben die Antwort. | |
| Bild: Der Fluss Tigris bei Niniveh, historische Darstellung aus dem Jahr 1894 | |
| Wie sind die ersten Staaten entstanden? Haben sich am Anfang ein paar | |
| Mächtige zusammengetan, um die Bevölkerung zu unterdrücken und deren | |
| Habseligkeiten auszubeuten? | |
| Oder sind Menschen zusammengekommen, um zu kooperieren und gemeinsam | |
| Fortschritte zu erzielen? Beides sind Ansätze, die in der Staatstheorie | |
| debattiert werden. Doch wie lief es wirklich ab? | |
| ## Die Studie | |
| [1][Eine neue Studie aus der Fachzeitschrift American Economic Review ] | |
| findet empirische Antworten. Die US-Forscher:innen analysierten | |
| archäologische Daten aus der Region Mesopotamien. Diese liegt im Süden des | |
| heutigen Iraks und ist umschlossen von den zwei großen Flüssen Euphrat und | |
| Tigris. An ihnen haben sich im Laufe der Zeit familiäre Gemeinschaften | |
| angesiedelt und diese haben von den Erträgen der Flüsse gelebt. | |
| Vor etwa 6.000 Jahren führten Klimaveränderungen dazu, dass sich die | |
| Flussläufe an einigen Stellen änderten, sodass ein Teil der Siedlungen | |
| ihren direkten Zugang zum Wasser verloren hat. | |
| Falls die These stimmt, dass eine Ausbeutung der Bevölkerung der Auslöser | |
| für die Staatengründung ist, müssten die ersten Staaten bei Siedlungen | |
| direkt am Fluss entstehen. Dort verlaufen Handelsrouten, das Land ist | |
| fruchtbarer. | |
| Falls umgekehrt Staaten durch Kooperation entstanden sind, sollte das dort | |
| geschehen, wo sich der Fluss entfernt hat. Um weiterhin das Überleben an | |
| diesen Orten zu sichern, müssen Bewässerungskanäle gegraben werden, oft | |
| über 30 Kilometer lang. Dafür ist die Kooperation vieler Siedlungen nötig. | |
| Die Forscher:innen rechneten aus, dass Dörfer, von denen sich der Fluss | |
| wegbewegt hat, eine mehr als dreieinhalbfach höhere Wahrscheinlichkeit | |
| haben, Teil eines neuen Stadtstaates zu werden, als Siedlungen, die | |
| unverändert an einem Fluss liegen. | |
| Die Siedlungen besitzen auch mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit | |
| Bewässerungskanäle, Stadtmauern, Verwaltungsgebäude und aufgezeichnete | |
| Tributzahlungen. Dort hat sich ein staatliches System etabliert, in dem | |
| Infrastruktur- und Großprojekte durch gemeinschaftliche Anstrengung | |
| umgesetzt werden können. | |
| Die Ergebnisse bedeuten jedoch nicht, dass Staatsregierungen nur gute | |
| Motive haben. Zur Zeit der Entstehung erster Staaten gab es dort keine | |
| demokratischen, sondern stark [2][hierarchische, patriarchale | |
| Machtstrukturen]. Die Studie zeigt aber, dass die Gründung der ersten | |
| Stadtstaaten zu einem erheblichen Teil durch Kooperation vorangetrieben | |
| wurde. | |
| ## Was bringt’s? | |
| Der damalige Umgang mit den veränderten lokalen Klimabedingungen könnte | |
| eine Blaupause für unseren Umgang mit dem heutigen menschengemachten | |
| [3][Klimawandel] sein. Nur durch Kooperation können diese Herausforderungen | |
| gelöst werden. Regierungen dürfen dazu nicht auf Selbstbereicherung, | |
| sondern müssen auf gemeinschaftliche Kooperation ausgelegt sein. | |
| 3 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://doi.org/10.1257/aer.20201919 | |
| [2] /Kampf-gegen-das-Patriarchat/!5880054 | |
| [3] /Klima/!t5011141 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Bierl | |
| ## TAGS | |
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