# taz.de -- Restitutionspolitik: Der Anfang einer langen Reise | |
> Das Ethnologische Museum im Humboldt Forum gibt 23 Objekte aus seiner | |
> Sammlung nach Namibia zurück. Zunächst aber nur als Leihgabe. | |
Bild: Provenienzforscherin Julia Binter und Restauratorin Johanna Ndahekelekwa … | |
Berlin taz | Auch, wenn sie ziemlich phallisch aussieht: Der 35 Zentimeter | |
lange Gegenstand aus Holz, Eisen, Fell, Straußeneierschalen, Perlmutt, | |
Messing und kostbaren Glasperlen, für die damals auf dem Markt des | |
Königreichs ein Rind geboten wurden, ist eigentlich eine Puppe. Königin | |
Olugondo hat sie Ende des 19. Jahrhunderts der finnischen Missionarstochter | |
Anna Rautanen geschenkt, vermutlich zur Hochzeit. | |
Puppen wie diese waren im Königreich Ondonga im Norden Namibias, das von | |
1884 bis 1915 deutsche Kolonie war, viel mehr als nur Spielzeuge. Sie | |
wurden heranwachsenden Mädchen geschenkt, zur Verlobung gab der Verlobte | |
der Puppe einen Namen, den das erste Kind des Paars bekommen sollte. | |
Diese Puppe ist eins von 23 Sammlungsstücken wie Alltagsgeständen, Schmuck, | |
Werkzeugen und Mode, die aus der Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin | |
am 27. Mai nach Namibia reisen werden. Sie sollen dort weitererforscht | |
werden und zeitgenössischen Künstler*innen für die kreative | |
Auseinandersetzung zur Verfügung stehen. | |
Auch wenn nicht alle Objekte so spektakulär sind wie diese Puppe, ist es | |
doch eine Sensation, dass sie – wenn zunächst auch nur als Leihgabe – | |
zurückgehen. Denn erstens sind sie die allerersten, die seit der | |
[1][Eröffnung des Humboldt Forums im letzten Jahr] zurückgegeben werden. | |
Das wird nicht nur einen Paradigmenwechsel in der Selbstdarstellung des | |
Humboldt Forums darstellen, sondern ist auch ein Meilenstein für die ganze | |
Provenienz- und Restitutionsdebatte hierzulande überhaupt. | |
## Zukunft nur mit Vergangenheit | |
Und zweitens, und das ist fast noch wichtiger: Diese 23 Objekte wurden mit | |
finanzieller Unterstützung der [2][Gerda-Henkel-Stiftung] von namibischen | |
Wissenschaftler*innen aus insgesamt 1.400 namibischen Objekten in der | |
Sammlung des Ethnologischen Museums ausgewählt. | |
Esther Moombolah/Gôagoses vom [3][National Museum of Namibia] erklärt am | |
Dienstagvormittag bei einer Vorstellung des Projektes eindrücklich, dass | |
Museen nicht nur einfach Gebäude sind, sondern auch Orte, von denen soziale | |
Heilung ausgehen kann. Ein Großteil der namibianischen Kunst ist dort gar | |
nicht zugänglich. „Man hat nur eine Zukunft, wenn man seine Vergangenheit | |
versteht“, so Moombolah/Gôagoses. | |
Julia Binter, die im Humboldt Forum u. a. mit dem Namibia-Raum einen der | |
interessantesten im ganzen Humboldt Forum verantwortet, erzählt am Dienstag | |
anschaulich von den Objekten, die nun zurückgehen – und warum diese | |
überhaupt nur in Zusammenarbeit mit den Expert*innen aus Namibia zu | |
ihren Geschichten wiederfinden. | |
## Modebewusstsein und Frauenfreundschaft | |
Da ist zum einen die erwähnte Puppe, die nicht nur ein Geschenk einer | |
Kolonisierten an einen Kolonialherren erzählt, sondern auch vom | |
Modebewusstsein des Königshofs von Ondonga, von seinem Reichtum und von | |
einer Frauenfreundschaft, die sogar noch den Umzug der erwähnten | |
Missionarstochter in ein benachbartes Königreich überlebte. Da ist zum | |
anderen aber auch noch eine andere Puppe, die nach Namibia zurückkehren | |
wird. Diese wird vielleicht manchem aufmerksamem Besucher des Humboldt | |
Forums in Erinnerung geblieben sein. | |
Anstatt in diesem Raum noch Objekte aus Namibia zu zeigen, dreht sich darin | |
nämlich viel um die Auseinandersetzung der namibischen Modedesignerin und | |
Künstlerin Cynthia Schimming mit dieser Puppe. Schimming hat sich anhand | |
dieser mit der eigenen Biografie befasst. | |
Eine ihrer Herero-Großmütter, so Binther, mit der sie die Puppe gemacht | |
habe, sei während der Kolonialzeit von einem Deutschen vergewaltigt worden, | |
die andere habe einen Deutschen geheiratet. „In diesen Puppen kommen | |
Frauen, Kinder und Versklavte zu Wort, die in der kolonialen | |
Geschichtsschreibung keinen Platz gefunden haben.“ Diese Zusammenhänge | |
allerdings seien ohne das Wissen, das ausschließlich die namibischen | |
Forscher*innen haben, niemals hergestellt worden. | |
## Warum nur als Leihgabe? | |
Bleibt also eigentlich nur eine einzige Frage. Warum gibt das Ethnologische | |
Museum im Humboldt Forum diese 23 Objekte lediglich als Leihgabe zurück – | |
und überschreibt sie dem Land nicht gleich als Eigentum? Der Präsident der | |
Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), Hermann Parzinger, der ebenfalls | |
am Dienstag in Dahlem den Journalist*innen Rede und Antwort steht, | |
antwortet darauf gegenüber der taz recht trocken: „Man hat sich auf dieses | |
Prozedere geeinigt.“ | |
Die Stiftung, so hieß es im Vorfeld, geht nicht davon aus, dass die Objekte | |
wieder nach Deutschland zurückkehren. Die Rückgabe ist keine offizielle. | |
Esther Moombolah/Gôagoses ergänzt gegenüber der taz: „Diese Objekte gehör… | |
Namibia. Die deutschen Medien müssen verstehen, dass dies erst der Anfang | |
einer langen Reise ist – und dass die rechtlichen Grundlagen in Deutschland | |
kompliziert und die Begebenheiten von Land zu Land verschieden sind. | |
[4][Afrika ist nicht Afrika.]“ | |
Vielleicht war es auf diese Art also einfacher und schneller, die Objekte | |
nach Namibia zu bekommen, als etwa bei den berühmten und kostbaren | |
Benin-Bronzen aus dem heutigen Nigeria. Ein großer Teil dieser Bronzen wird | |
zwar ebenfalls noch in diesem Jahr aus dem Humboldt Forum zurückgehen. | |
Doch gestalten sich in diesem Fall, so deutet Parzinger an, die | |
Eigentumsübertragungen ungleich komplexer. | |
24 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Humboldt-Forum-Berlin-eroeffnet/!5787899 | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Gerda_Henkel_Stiftung | |
[3] https://www.museums.com.na/museums/windhoek/national-museum-of-namibia | |
[4] /Aktivistin-ueber-koloniales-Erbe/!5808577 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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