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# taz.de -- Museumsaufsicht über den Martin-Gropius-Bau: „Nein, ich langweil…
> Zorica Radivojevic-Llalloshi wird oft gefragt, ob sie sich bei der Arbeit
> nicht langweile. Im Gegenteil, sagt sie.
Bild: Zorica Radivojevic-Llalloshi arbeitet seit 17 Jahren im Gropius-Bau in Be…
taz: Frau Radivojevic-Llalloshi, welche Ausstellung hat Sie in den 17
Jahren hier im Martin-Gropius-Bau am meisten beeindruckt?
Zorica Radivojevic-Llalloshi: Lee Mingweis Ausstellung [1][„Li, Geschenke
und Rituale“] mit der Installation „Guernica in Sand“ im Lichthof. Aber
auch die David-Bowie-Ausstellung fand ich großartig. Am Tag der Eröffnung
hatte ich in der ersten Etage gestanden und direkt neben mir spielte eine
Band die Musik von David Bowie. Das war super, ich habe das so genossen,
denn ich mag Bowies Songs sehr. Von der Ausstellung habe ich auch einige
Erinnerungen mit nach Hause genommen: Flyer und Kataloge.
Wie sind Sie an den Job im Gropius-Bau gekommen?
Ich hatte mich beworben. Eigentlich wollte ich mich um eine andere Stelle
im Bundesarchiv bewerben, aber da kam ich eine halbe Stunde zu spät. Eine
Bekannte, die schon hier arbeitete, sagte mir damals, dass sie noch
Personal für den Gropius-Bau suchen würden. Nach meiner Bewerbung wurde ich
sofort angenommen.
17 Jahre als Museumsaufsicht. Spontan würde mir dazu einfallen: Ist da
nicht ein Tag wie der andere?
Nein, allein schon wegen der vielen unterschiedlichen Ausstellungen, und es
kommen natürlich auch immer andere Besucher.
Sicher. Trotzdem geht mir bei jedem Museumsbesuch durch den Kopf, ob das
nicht langweilig ist, Tag ein Tag aus Leuten zuzugucken, wie sie Bilder
oder Skulpturen angucken?
Ich weiß, diese Frage höre ich ja auch oft von den Besuchern: Haben Sie
nicht Langeweile? Und können Sie die Musik hier im Lichthof den ganzen Tag
ertragen? Also für mich kann ich sagen: Nein, mir ist nie langweilig.
Sie denken nie: Hoffentlich ist meine Schicht bald rum oder warum kann ich
nicht jetzt draußen in einem Café sitzen?
Nein. Die Begegnungen mit Menschen, mit den Besuchern und mit den
Künstlern, finde ich einfach schön. Im Grunde ist es für mich ein Traumjob.
Gibt es Kollegen, die sagen: Ich mache das hier nur, weil ich halt Geld
verdienen muss?
Vielleicht, aber für mich gilt das nicht. Ich mache meine Arbeit gern.
Allein in so einem wunderschönen Gebäude zu arbeiten, ist toll. Ich freue
mich an dem [2][Schliemann-Saal], über den ich natürlich auch den Gästen
gern etwas erzähle. Es gibt so viele wunderbare Dinge und Details im
Gropius-Bau zu entdecken, im Treppenhaus zum Beispiel die im Majolika-Stil
bemalte Keramik von Villeroy und Boch. Ich muss sagen, der Gropius-Bau ist
für mich wie ein zweites Zuhause. Außerdem gibt es hier ständig etwas, was
mich beschäftigt.
Was denn zum Beispiel?
Irgendein Besucher hat immer eine Frage, die ich natürlich beantworten
will. Ich beobachte auch gern die Menschen, wenn sie ins Haus kommen und
wie sie erst mal reagieren. Zum Beispiel, wenn sie nach dem Eintritt in den
Lichthof des Gebäudes kommen.
Auf Museen scheint ein gewisser Zauber zu liegen, weshalb sie auch gern ein
Kinothema sind wie im Hollywood-Film „Eine Nacht im Museum“. Was ist für
Sie das Mystische am Museum?
Zum Beispiel die prachtvollen Gebäude wie unseres und natürlich die
Exponate selbst. Manche Besucher sagen zum Feierband zu uns: Ach, ich
möchte noch bleiben. Dann denke ich an diesen Hollywood-Film.
Aber im Gropius-Bau ist noch niemand über Nacht eingeschlossen worden?
Nein, bei uns ist das noch nie passiert. Im [3][Hamburger Bahnhof] haben
sie das mal vor etlichen Jahren gemacht, aber ganz offiziell gegen Geld.
(In der lebenden Ausstellung „Soma“ des Künstlers Carsten Höller konnten
Besucher für 1.000 Euro die Nacht verbringen, inklusive Frühstück, Anm. d.
Red.)
In Spielfilmen werden Museumsaufsichten auch gern deppenhaft dargestellt,
weil sie nicht aufgepasst haben und von Einbrechern überrumpelt wurden.
Ärgert Sie so was?
Nein, eigentlich nicht. Ich schaue solche Filme aber auch kaum.
Sie müssen ja beides, auf die Kunstwerke aufpassen und auf die Besucher
reagieren, wenn die etwas von Ihnen wollen. Ist das schwierig?
Manchmal wird man etwas gefragt und dann bin ich natürlich zur Stelle. Ich
erkläre zum Beispiel, nach welchem Plan die Ausstellung verläuft oder was
man nicht verpassen sollte. Und ich empfehle immer, zwei Stunden Zeit für
eine Ausstellung einzurechnen. Ich kann gleichzeitig reden und mit den
Augen registrieren, was um mich herum passiert.
Sie müssen wie eine gute Kellnerin diesen geschulten Seitenblick haben. Ist
das eine Frage der jahrelangen Übung oder braucht es dafür ein gewisses
Talent?
Ich denke, dass man schon ein gewisses Talent braucht.
Nur gucken, nicht anfassen – ist das der Standardsatz jeder
Museumsaufsicht?
Oh ja, das habe ich wirklich häufig gesagt: Bitte nicht anfassen. Besucher
verhalten sich da oft wie kleine Kinder, sie wollen immer alles anfassen.
Bei einer Ausstellung des Künstlers Anish Kapoor gab es eine ganz große
Installation im Lichthof, bei der geometrische Körper aus Wachs an der Wand
klebten. Die wollten die Besucher immer anfassen und dran riechen.
Können Sie immer freundlich bleiben oder auch ungehalten werden, wenn Sie
das fünfte Mal jemanden gemahnt haben?
Ja, mit Freundlichkeit kann man viel erreichen. Ich hatte jedenfalls nie
Ärger mit den Besuchern, solange ich hier arbeite.
Ist es interessanter, Besucher zu beobachten oder die viele Kunst, die Sie
permanent umgibt?
Die Kunst. Schon wenn eine neue Ausstellung aufgebaut wird, schau ich gern
in die Räume hinein, was es Interessantes zu sehen gibt.
Fragen Sie sich dabei hin und wieder: Ist das Kunst?
Ich frage mich das eigentlich nicht. Aber viele Besucher stellen sich immer
mal wieder die Frage: Was ist das genau – Kunst? Ich finde, das kann man
nicht so genau beantworten. Ich habe da eher so eine Art Vision: Sie machen
die Augen zu und laufen durch einen Wald, wo Sie die Geräusche der Blätter
und das Zwitschern der Vögel hören. Dann stoßen Sie auf ein Haus. Was
werden Sie tun? Werden Sie die Tür aufmachen, rein gehen und gucken, was
einen erwartet oder nicht? Ich glaube, die meisten Menschen sind neugierig
und werden hineingehen. Mit der Kunst ist es ähnlich, die muss man auch
entdecken.
Waren Sie schon immer kunstinteressiert?
Ja. Als ich klein war, habe ich gerne gemalt oder fotografiert. Aber ich
bin nicht mit Kunst groß geworden oder durch meine Eltern bewusst an sie
herangeführt worden. Ich habe in Belgrad Organisationswissenschaft studiert
und danach in Kosovo in einem Büro gearbeitet.
Wie war Ihre erste Berührung mit Ausstellungskunst?
Die erste richtige Begegnung hatte ich hier im Gropius-Bau bei der
Ausstellung „Die Neuen Hebräer – 100 Jahre Kunst in Israel“ im Jahr 2005.
Das fand ich gleich spannend, wie vielfältig die Geschichte der modernen
israelischen Kultur präsentiert wurde, mit Filmen, Fotografie, Design,
Architektur oder Bildender Kunst.
Bekommen Sie vor einer neuen Ausstellung eine Art Einweisung oder
informieren Sie sich selbst über die Ausstellungsthematik?
Vor dem Start einer Ausstellung bekommen wir eine Führung vom Kurator oder
Informationen von jemandem aus dem Haus. Ich informiere mich aber auch
selbst im Internet über die Kunst, die gezeigt wird. Schließlich gehöre ich
auch zu den Gropius-Bau-Friends. An die können sich die Besucher im
Gropius-Bau jederzeit mit Fragen zur Ausstellung wenden. Ich versuche dann
natürlich immer eine Antwort zu geben.
Sie machen aber keine Führungen?
Nein, ich bin eine Ansprechpartnerin, die sich um eine individuelle
Vermittlung der Ausstellung bemüht.
Freuen Sie sich auf jede neue Ausstellung oder ist es Ihnen relativ egal,
auf welche Kunstwerke Sie aufpassen müssen, weil es letztlich Ihr Job ist?
Es ist meine Arbeit und ich kann mir die gezeigte Kunst nicht aussuchen,
das stimmt. Aber ich freue mich tatsächlich immer, wenn es eine neue
Ausstellung gibt.
Sie scheinen sehr interessiert an der ausgestellten Kunst. Würden Sie
sagen, dass das typisch ist auch für Ihre Kollegen?
Das kann ich nicht sagen. Ich glaube, das ist unterschiedlich.
Wie viele Menschen gehören zum Aufsichtspersonal im Gropius-Bau?
Wir sind 40 bis 50 Leute in der Aufsicht und Sicherheit.
Können Sie sich mit denen während der Arbeit ein wenig austauschen oder
unterhalten?
Wenn ich etwas Besonderes über ein Kunstwerk oder über einen der
ausstellenden Künstler erfahren habe, dann erzähle ich das auch den
Kollegen. Aber nur in der Pause oder in der Freizeit vor und nach Arbeit.
Ich muss ja sonst aufpassen.
Wird auch mal ein bisschen rumgemeckert über nervende Gäste?
Das kommt vor, allerdings passiert es sehr, sehr selten, dass mal jemand
motzig wird. Dann muss man das ausbügeln und die Besucher oder
Besucherinnen beruhigen.
Weswegen wird denn zum Beispiel gemotzt?
Darüber, dass man den Rucksack abgeben muss zum Beispiel. In den letzten
beiden Jahren ging es dabei auch öfter um die Maske, die ja bis vor einiger
Zeit während des Rundgangs getragen werden musste. Viele haben nach der
Eingangskontrolle die Maske unter die Nase geschoben oder ganz abgenommen.
Dann mussten wir natürlich darauf hinweisen.
Das kann anstrengend sein, oder?
Ach, für mich eigentlich nicht.
Sie haben über die Jahre Zehntausende Besucher und Besucherinnen
beobachtet. Können Sie die inzwischen leicht unterscheiden, zum Beispiel in
Touristen und Einheimische?
Ja, das erkenne ich sofort. Wer aus Berlin kommt, hört man ja schon an der
Sprache. Ich kenne auch die Stammbesucher und die erkennen mich ebenfalls,
was für mich das Schönste ist.
Sind die Stammgäste aus Berlin?
Aus Berlin, aber auch aus Köln, München oder aus der Schweiz. Ansonsten
kommen unsere Besucher ja aus der ganzen Welt. Berlin ist eine
kosmopolitische Stadt, das merkt man auch in unserem Museum.
Hat sich die Besucherschaft mit den Jahren irgendwie verändert?
Ich muss sagen, früher gab es mehr Rentner, in letzter Zeit kommen viele
junge Menschen und Familien. Ich finde das ganz toll, wenn sich junge Leute
für die Kunst und für die Geschichte interessieren.
In den zwei Pandemiejahren war der Gropius Bau teilweise geschlossen. Was
haben Sie in der Zeit gemacht?
Ich war in Kurzarbeit und zu Hause. Ich bin im Park spazieren gegangen,
jeden Tag. Ich liebe die Natur. Wenn ich nicht im Museum bin, dann bin ich
am liebsten im Grünen. Wir haben ja hier am Haus auch einen Minipark, in
dem ich mich genauso wohl fühle wie im Museumsgebäude.
Verspüren Sie angesichts von so viel Kunst um sich überhaupt noch das
Bedürfnis, privat Ausstellungen zu besuchen?
Ich habe zwar wenig Zeit, aber ich habe mir zuletzt eine Ausstellung des
libanesischen Künstlers Rabih Mroué angesehen. Dazu hatte mich unsere
aktuelle Ausstellung „Beirut and the Golden Sixties“ inspiriert. Sie hat
wieder einmal verdeutlicht, dass Kunst auf eine eigene Art von Geschichte
und von einer bestimmten Zeit erzählen kann. Man hat ja gedacht, da gibt es
vielleicht nicht so viel auszustellen. Aber doch, es gibt 220 Exponate und
Dokumentationen und Videoinstallationen. Beirut war ja in den 60er Jahren
genauso eine kosmopolitische Stadt wie heute Berlin.
Wenn Sie ein anderes Museum besuchen, werfen Sie dann den Blick der
Fachfrau auf das dortige Aufsichtspersonal?
Nein, nein, darauf achte ich nicht. Ich gucke dann nur auf die Kunst. Es
war nur zu Anfang so, dass ich mal geschaut habe, wie die Besucher anderswo
begrüßt werden oder wie man sich ihnen gegenüber verhält. Heute schaue ich
mir nur die Kunst an, nicht die Kollegen.
Hat Sie die viele Kunst an Ihrem Arbeitsplatz mal animiert, selbst
künstlerisch tätig zu werden?
Manchmal denke ich, ich könnte auch etwas machen. Was mir sehr viel Spaß
gemacht hat, war ein Workshop von Zheng Bo im Gropius Bau. Der Künstler
beschäftigt sich sehr intensiv mit dem Verhältnis von Mensch und Natur. Wir
haben von ihm alle Bleistifte und einen Block bekommen und sind vors Haus
gegangen, um das Unkraut zu zeichnen. Das fand ich richtig schön, so was
würde ich gern öfter machen. Ich könnte mir das gut vorstellen,
künstlerisch tätig zu sein.
Nehmen Sie Ihre Arbeit mit nach Hause, in dem Sie Ihrer Familie dort von
Ihren Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern oder Besucherinnen und
Besuchern erzählen?
Ja, ich erzähle meinen Kindern, wie mein Tag oder meine Woche war.
Man sagt, wenn sich drei Deutsche treffen, gründen sie einen Verein. Gibt
es eine Vereinigung oder wenigstens einen Treffpunkt zum Austausch für die
Aufsichtsleute von Museen und Ausstellungen?
So etwas ist mir nicht bekannt. Aber ich fände es nicht schlecht, wenn es
so einen Verein gäbe.
Worüber würden Sie sich denn gern austauschen?
Ich würde gerne wissen, was anderswo ausgestellt wird und welche lustigen,
schönen und traurigen Erfahrungen mit den Besuchern es dort gibt.
Sind Sie eigentlich mit Ihrer Entlohnung zufrieden?
(lächelt) Was soll ich da sagen. Ich verdiene genug zum Leben.
Freuen Sie sich schon auf die nächste Ausstellung?
Auf jeden Fall, denn man kann immer etwas Neues erfahren. Im Juli beginnt
die Ausstellung „The Woven Child“ die sich mit den textilen Werken von
Louise Bougeois beschäftigt. Das wird sicher auch sehr interessant.
Bekommen Sie die Kataloge der Ausstellungen hier eigentlich als Angestellte
des Hauses umsonst?
Nein, die muss ich kaufen.
Tun Sie das manchmal?
Ab und zu. Den Katalog der Ausstellung „Rundlederwelten“ zur Fußball-WM
2006 habe ich mir gekauft. Und ich habe mir ein Autogramm von Franz
Beckenbauer geben lassen, als der bei der Eröffnung hier war.
5 Jun 2022
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## AUTOREN
Gunnar Leue
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Schwerpunkt Stadtland
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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