# taz.de -- 20 Jahre Hamburger Bahnhof: Umstrittene Sammelstelle | |
> An der Schnittstelle zwischen privaten Sammlern und öffentlicher Hand: | |
> Vor 20 Jahren eröffnete der Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart. | |
Bild: Eröffnet am 1. November 1996: das Museum Hamburger Bahnhof schräg gegen… | |
Nach 20 Jahren hat man sich an vieles gewöhnt und nimmt vieles als | |
selbstverständlich, was früher einmal Streit entfachte. So geht es einem | |
mit dem Hamburger Bahnhof, dem „Museum für Gegenwart“, wie dieses Haus | |
offiziell heißt. Der Name sollte ein Museum neuen Typs propagieren, eines, | |
in dem es anders zugeht. | |
Anders sollte dieses 1996 eröffnete Museum deshalb sein, weil die Kunst | |
seit etwa 1960 im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs mit anderen Mitteln | |
und in anderen Medien daherkommt als in der Zeit davor. Der Hamburger | |
Bahnhof, Teil der Staatlichen Museen Berlin, sollte genau für diese | |
„Gegenwart“ seit Joseph Beuys zuständig sein. | |
„Die Revolution sind wir“, der Titel der bislang größten Beuys-Ausstellung | |
im Jahre 2008/9, griff diese neue Lage auf, blieb aber den revolutionären | |
Konterpart gegenüber Kunst und Künstler schuldig. Bilanzierend kann man | |
sagen: Der Hamburger Bahnhof konnte seinen selbsterklärten „prozessualen“ | |
Anspruch bislang eigentlich kaum einmal erfüllen. | |
Zwar gab viele gute Ausstellungen, aber die Formen der Präsentation bleiben | |
doch meist beim Bewährten stehen, zuweilen etwas interdisziplinär | |
aufgelockert, manchmal auch bis zum Event sich steigernd. Lebende Rentiere | |
(Carsten Höller, 2010) oder unter der Decke schwebende Klettergespinste | |
(Tomás Saraceno, 2011) lieferten zwar mitunter Spektakuläres, aber es | |
bleibt beim Beobachter doch eine gewisse Ratlosigkeit bestehen eingedenk | |
des Anspruchs, den der langjährige Leiter des Museums, Eugen Blume, zu | |
seinem Abschied im August so formulierte: nämlich zu zeigen, „inwiefern | |
sich Künstler an den geistigen Entwicklungen der Zeit beteiligen, welche | |
Fragen sie stellen oder welche die Institution an die Künstler stellt“. | |
## Selbstgewählt abhängig | |
Umstritten war der Hamburger Bahnhof seit Anfang an, vor allem wegen seiner | |
selbstgewählten Abhängigkeit von privaten Sammlern. Schon die Idee für ein | |
Gegenwartsmuseum speiste sich in den achtziger Jahren aus der Hoffnung auf | |
die Präsentation – vielleicht auch Übernahme – von Kunstsammlungen von | |
privater Seite. Inzwischen sind staatliche Institutionen selbst in einem | |
der wirtschaftlich stärksten Länder der Welt nicht mehr in der Lage, am | |
Kunstmarkt ernsthaft mitzubieten und auf diese Weise ihren Sammlungsauftrag | |
erfüllen zu können. | |
Erst die Strategie des „Wir sammeln Sammler“, wie es der bis 2008 | |
amtierende Generaldirektor der Staatlichen Museen Peter-Klaus Schuster | |
seinerzeit formulierte, hat es dem Hamburger Bahnhof ermöglicht, das | |
abzubilden, was heute am Kunstmarkt als Spitzenwerke gehandelt wird. Und | |
diese Ware ist im Wesentlichen das Material, das Kunstgeschichte schreibt. | |
Anfänglich war es nur der Berliner Bauunternehmer Erich Marx mit seiner | |
Kunstsammlung, mit dem man sich im Hamburger Bahnhof zu arrangieren hatte. | |
Vor allem dem von Marx mitgebrachten Kurator Heiner Bastian musste sich das | |
Museum geradezu ausliefern. Der 1989 als offizieller „Hauptkustos“ für den | |
Hamburger Bahnhof berufene Wulf Herzogenrath ging wegen dieser | |
institutionalisierten Abhängigkeit (man kann auch sagen, wegen Streits mit | |
Bastian) bereits 1994, also noch vor Eröffnung des Hauses, lieber zur | |
Kunsthalle Bremen. Bastian seinerseits schmiss 2007 hin. Inzwischen war ein | |
noch größerer Sammler auf der Bildfläche erscheinen, der Marx und seinem | |
Kurator die Schau stahl. | |
## Die Flick-Connection | |
Seit 2004 steht der Hamburger Bahnhof mit Friedrich Christian Flick im | |
Bunde, einem durch die Kunst geläuterten Lebemann, Steuerflüchtling und | |
Erbe des Blutgelds seines Großvaters. Dieser Friedrich Flick hatte im | |
Hitlerreich durch Rüstung und mittels Zwangsarbeiter gut verdient. Dass das | |
Millionenerbe des verurteilten Kriegsverbrechers in Kunstwerke umgetauscht | |
nun zur Basis der Museumsarbeit im Hamburger Bahnhof wurde, fanden viele | |
kritikwürdig. | |
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz störte sich daran nicht. Erst die | |
Flick Collection, vom Hamburger Bahnhof wissenschaftlich bearbeitet und | |
öffentlich ausgestellt, macht ihn zu einem in jedem Sinne „großen“ Haus. | |
Allein die an den Hamburger Bahnhof angeschlossenen 6.000 Quadratmeter der | |
Flick Collection in den sogenannten Rieckhallen vergrößern das Museum | |
ungefähr um das Doppelte. | |
Zur den Sammlerpartnerschaften des Hamburger Bahnhofs kommt noch die mit | |
dem eher unauffälligen Egidio Marzona, der vor wenigen Monaten erst einen | |
Teil seiner Sammlung dann doch lieber den Kunstsammlungen in Dresden | |
zusprach. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bemühte sich, das nicht als | |
Niederlage erscheinen zu lassen. Aber: Wer Sammler sammeln will, muss sich | |
inzwischen darauf gefasst machen, das die heute ihrerseits in der Lage | |
sind, sich die Museen auszusuchen, die ihren Besitz veredeln sollen. | |
5 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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