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# taz.de -- Improvisation im Hamburger Bahnhof: Keine Angst vor der Abstraktion
> Die Multimediakünstlerin Anne Imhof zeigt „Angst II“ im Museum. In der
> Performance ist nichts wirklich einstudiert oder vorhersehbar.
Bild: Anne Imhof: „Jeder macht das Stück in dem Moment“
Auf die Frage, was genau bei den Aufführungen von Anne Imhofs Ausstellung
als Oper namens „Angst II“, die ab heute Abend (20 bis 24 Uhr) in der
Vorhalle des Hamburger Bahnhofs gezeigt werden, passieren wird, gibt es
noch keine Antwort. Die Multimediakünstlerin, die mit dem Preis der
Nationalgalerie in Berlin ausgezeichnet wurde, machte es spannend bei einem
Pressegespräch vorweg. Sie beschreibt ihr Stück mit den Worten: „Alles ist
schon in allem enthalten“ oder „Jeder macht das Stück in dem Moment“, und
betont die Improvisation zwischen ihren Akteuren.
Da nichts in der Performance wirklich einstudiert und vorhersehbar sei,
wird das Zeigen von „Angst II“ für Udo Kittelmann, Direktor der
Nationalgalerie, und der Kuratorin Anna-Catherina Gebbers auch zu einem
Wagnis. „Dieses Projekt unterscheidet sich komplett von allen anderen“,
sagt er. „Wir wissen nicht genau, was passieren wird oder wie es passieren
wird, aber es wird passieren.“ Nur mit diesem Vertrauen in die Künstlerin,
ihre Darsteller und der damit verbundenen Freiheit ist es überhaupt
möglich, „Angst II“ zu zeigen.
Kittelmann saß in der Jury für den Preis der Nationalgalerie, der Anne
Imhof nach stundenlanger Diskussion über vier Wettbewerber zugesprochen
wurde. Sicher waren ihre freie Herangehensweise und das damit verbundene
Risiko einer der Diskussionspunkte. Auch die Fragestellung, wie man ein
solches Werk für eine Museumssammlung erwerben könne, dürfte aufgekommen
sein. Denn die Werke von Anne Imhof sind medienübergreifende Kunst, die im
Moment stattfindet.
Imhof arbeitet mit Elementen der Bildhauerei, Musik, Fotografie, der
Malerei und der Performance, die ineinanderfließen. Oft baut eine Gruppe
aus Akteuren durch reduzierte oder schnelle Bewegungen Situationen auf, die
Schicht für Schicht zu einem Gesamtkunstwerk werden. Die bildliche Sprache
der Performance und das zeitliche Spiel mit Be- und Entschleunigung sind
immer ein zentraler Punkt. Gerade das Nichttun lässt bestimmte Bewegungen
oder Handlungen hervortreten. So entstehen leere Momente, in denen für uns
als Betrachter nicht viel passiert.
Aber genau das ist das Schöne an Imhofs Werken. Sie lässt uns Raum. Erst in
diesen Momenten fallen uns die vielen Details im Raum auf, die mit
Gegenständen, Anordnungen und Gefäßen neue Fragestellungen aufwerfen.
## Falken und Drohnen
Durch den Preis der Nationalgalerie wird Imhof nun die Einzelausstellung im
Hamburger Bahnhof ermöglicht. Die Auszeichnung gibt der 1978 in Gießen
geborenen Künstlerin neue Möglichkeiten, ihre Stücke weiterzuführen,
nachdem sie 2015 ihre Ausstellung „Deal“ im MoMA PS1 in New York zeigte.
Ihre Werke bauen aufeinander auf. Konzepte existieren oft schon länger im
Kopf der Künstlerin, können aber erst mit dem passenden Raum Gestalt
annehmen. So schien Imhof das Gefühl unserer jetzigen Zeit zu erahnen, wenn
sie den Titel „Angst“ schon Jahre vor der Realisierung im Kopf hatte.
In „Angst“ werden auch Tiere und Drohnen unter den Darstellern sein. Der
wilde Charakter der Falken, die Teil der Aufführung im Hamburger Bahnhof
sind, begünstigt unvorhersehbare Aktionen, wohingegen Drohnen immer
gesteuert sind. Genau solche Gegenüberstellungen von Kontrolle und
Verweigerung machen Imhofs Werke überraschend. Menschliche Darsteller
verkörpern zwar den Liebhaber oder den Clown und haben bestimmte Bewegungen
dafür vorgeschrieben, doch kaum etwas ist choreografiert.
Die Komposition entwickelt sich mit der Zeit als Aktion und Reaktion der
Teilnehmer. Ein Darsteller sagt, „es gibt so viele Möglichkeiten mit
unterschiedlichen Entscheidungen“. Nur die Vertrautheit unter den Akteuren,
die durch die langen Proben fast eine Familie mit der Künstlerin bilden,
lässt die Ausstellung zu dem werden, was sie ist.
Das Konzept Oper, das sich hinter dem Gesamtwerk „Angst“ verbergen soll,
zeigt sich zum Beispiel in den drei Akten, die an drei Ausstellungsorten
(Basel, Berlin und Montréal) getrennt gezeigt werden. Auch das Element der
Loge, die in den Ausstellungsraum eingebaut ist, zitiert Opernhäuser.
Beginnt die Vorstellung, wird aber schnell klar, dass „Angst“ verschwindend
wenig mit Oper zu tun hat. Vielmehr gibt uns der Opernrahmen eine
Orientierung, die bei so viel Abstraktion vertraut klingt.
Bei Imhofs Werken sollten wir nämlich keine Angst vor der Abstraktion
haben. Denn sie bedeutet immer, dass wir frei sind, unsere eigenen Gedanken
zu entwickeln. Und genau dieses Spiel zuzulassen ist vielleicht die größte
Herausforderung, die Imhof für uns kreiert hat.
15 Sep 2016
## AUTOREN
Lorina Speder
## TAGS
Hamburger Bahnhof
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