# taz.de -- Festival im Humboldt Forum in Berlin: Filme für ein neues Publikum | |
> Mit Kizobazoba startet am Mittwoch ein Festival mit Filmen aus Afrika. | |
> Sein Ziel: Endlich vor Ort eine Kinokultur für alle etablieren. | |
Bild: Filmstill aus dem tollen Dokumentarfilm „Talking About Trees“ | |
BERLIN taz | Eine junge Frau steht in einer weiten, grellen Landschaft, | |
sieht sich fragend um. Sie schaut nach unten, entdeckt einen hellblauen | |
Kittel aus dem Krankenhaus an ihrem Körper, einen Anhänger mit einer Eule | |
um ihren Hals. Offenbar kann sie weder das eine noch das andere zuordnen. | |
Langsam beginnt sie umherzuirren, entdeckt schließlich eine Brücke zu einem | |
kleinen Dorf. In einer der Hütten hängen ein Stundenplan und eine Tafel mit | |
der Überschrift „Bewohner“ und ein paar Namen darunter. Weiter hinten | |
amüsiert sich eine Gruppe von Menschen, vielleicht die Bewohner*innen. Als | |
die Frau näher tritt, kommt einer der Männer auf sie zu, stellt sich | |
höflich vor und sagt, sie sei in Kati Kati. Und dann, ganz ruhig und | |
freundlich: „Und du bist hier, weil du tot bist.“ | |
Ein imaginäres Reich zwischen Leben und Tod, in das nur gelangt, wer noch | |
nicht richtig abgeschlossen hat: „Kati Kati“ aus dem Jahr 2016 ist ein | |
nachdenklicher, ein poetischer Film des kenianischen Regisseurs Mbithi | |
Masya. Entstanden ist er aus einem Workshop, wie sie seit 2008 von der | |
Produktionsfirma One Fine Day Films von Tom Tykwer und Marie | |
Steinmann-Tykwer organisiert werden. | |
An diesem Wochenende ist „Kati Kati“ im Rahmen des Festivals Kizobazoba im | |
Humboldt Forum zu sehen, auf dem vom 2. bis zum 7. März vier weitere Filme | |
aus Südafrika, dem Senegal, Sudan und Kongo laufen. | |
Doch das ist nicht nur eine seltene Gelegenheit, sich auch mal außerhalb | |
eines Filmfestivals mit Kino aus Afrika zu befassen. Denn bei Kizobazoba | |
geht es über die Filme hinaus auch um die Kinokultur in den Ländern, in | |
denen diese entstanden sind. Seit Sommer 2020 organisiert das Humboldt | |
Forum gemeinsam mit fünf afrikanischen Kino-Initiativen aus den genannten | |
Ländern eine Art Think Tank: das Cinema Spaces Network (CSN). | |
Es geht darum zu diskutieren, dass sich in Regionen die Filmindustrie nur | |
langsam entwickeln kann, wo kaum Menschen Gelegenheit haben, überhaupt | |
Filme zu sehen – und wie man das ändern könnte. Und nun stellt sich die | |
Initiative im Humboldt Forum vor, ihre Macher laden jeden Abend um 17 Uhr | |
zu Vorträgen über neue Kinokonzepte in Afrika ein. Um 19 Uhr folgt dann ein | |
Film, der in einem besonderen Verhältnis zu ihrem Thema steht. | |
Unter anderem wird die südafrikanische Filmemacherin Sydelle Willow Smith | |
über ihr Projekt Sunshine Cinema referieren, eine ambulante Kino-Initiative | |
auf Grundlage von solarbetriebener Kinotechnik. Und Filmemacher Berni | |
Goldblat wird von der Wiederbelebung des Kinos Guimbi in Bobo-Dioulasso | |
berichten in der zweitgrößten Stadt Burkina Fasos. Der Trick: Hier wird | |
nicht nur ein altes Kino wiedereröffnen, sondern ein multifunktionaler Ort | |
des Austauschs inklusive Arbeitsplätze, Informationszentrum, Räume für | |
andere Kulturveranstaltungen, Café. | |
„Es wird Zeit, dass wir mit solchen Projekten auch Menschen außerhalb der | |
kulturellen Hochburgen erreichen“, sagt auch die in Kenias Hauptstadt | |
Nairobi lebende Filmemacherin Hawa Essuman der taz. Gemeinsam mit der | |
kenianischen Filmproduzenten Fibby Kioria organisiert sie seit Anfang 2020 | |
unter freiem Himmel zweimal jährlich Manyatta Screenings, das heißt: | |
Vorführungen von Kurzfilmen außerhalb Nairobis, am Elmenteitasee | |
beispielsweise und am Fuß des Mount-Kenya-Massivs. | |
## Harry-Potter-Boom in Nairobi | |
„Ich weiß noch gut, wie in Nairobi vor 20 Jahren die ersten | |
Harry-Potter-Filme herauskamen und die Menschen wie überall in der Welt vor | |
den Kinos Schlange standen“, erzählt Essuman. Inzwischen sei das leider | |
vorbei: Die breite Bevölkerung könne sich bei Ticketpreisen von umgerechnet | |
5 oder 6 Euro den Kinobesuch kaum mehr leisten. Die Folge: Viele Kinos | |
haben geschlossen. | |
Essuman hat 2010 ihren ersten Film gedreht – ebenfalls auf die genannte | |
Initiative von Tom Tykwer hin. „Soul Boy“ handelt von einem 14-jährigen | |
Jungen in Kibera, einem der größten Slums Afrikas am Rande von Nairobi. | |
Innerhalb von 24 Stunden muss der Junge plötzlich erwachsen werden. Um den | |
Vater zu retten, muss er harte Prüfungen einer Geisterfrau bestehen. | |
Der kurze Low-Budget-Film kommt sehr lebendig daher – auch weil er nicht | |
über, sondern mit den Menschen im Slum gedreht wurde. Er sorgte auf | |
zahlreichen Filmfestspielen weltweit für Furore. Hawa Essuman erzählt | |
anschaulich, wie hilfreich und wichtig das für sie war. | |
## Vorführung im Regen | |
Trotzdem sei die Gefahr für Filmemacher*innen wie sie sehr groß, sich | |
auf diese Weise von den Menschen zu entfernen, über die sie Filme machen | |
möchten. „Es war die wichtigste Filmvorführung, als ich,Soul Boy' in Kibera | |
zeigen konnte. Das Wetter war schrecklich. Ich war sicher, dass uns der | |
Regen wegspülen würde. Und trotzdem kamen sie einfach alle. Ich glaube, | |
dieser Energie jage ich nun den Rest meines Lebens hinterher“, sagt sie und | |
lacht. | |
Auch deshalb hat Hawa Essuman mit ihrer Kollegin Fibby Kioria Manyatta | |
Screenings ins Leben gerufen, Kino „für ein neues Publikum“, wie sie sagt, | |
„so zugänglich wie möglich“, das heißt: auch zu maximal erschwinglichen | |
Eintrittspreisen. Kino, meint sie, könne nicht im stillen Kämmerlein | |
entstehen. Es braucht das gemeinschaftliche Erlebnis, eine Resonanz bei den | |
Leuten, von denen die Filme oft erzählen und die sich auch im Film | |
wiederfinden möchten, den Austausch mit anderen Filmemachern – und sei es | |
derzeit wegen Corona nur online. | |
Das Humboldt Forum steht nach wie vor in der Kritik – und das nicht nur | |
wegen der rekonstruierten cremefarbenen Schlossfassaden, hinter denen es | |
agieren muss. Auch möchte das Haus nach wie vor Kunstwerke aus Afrika wie | |
die berühmten Benin-Bronzen ausstellen, von denen sich andere wie das | |
Museum am Rothenbaum (MARKK) in Hamburg bereits verabschieden. | |
Doch mit dem Festival Kizobazoba zeigt dieses widersprüchliche Haus wieder | |
einmal, dass es die kritischen Stimmen gehört hat, dass es proaktiv | |
geworden ist. Hier will es tatsächlich nichts anderes sein als eine | |
Plattform für Kunstschaffende, die längst in der postkolonialen Welt ihre | |
eigenen Wege gehen und denen es jetzt noch an der richtigen Vernetzung | |
fehlt. | |
2 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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