# taz.de -- Raubkunst aus China in Museen: Waggons voller Kunstobjekte | |
> Bislang denken alle an Afrika, wenn es um die Rückgabe von Raubkunst | |
> geht. Doch eigentlich müsste auch viel Kunst aus Deutschland nach China | |
> zurück. | |
Bild: Muss hier was zurück? Chinesisches Porzellan der Ära Kangxi (1662-1722)… | |
BERLIN taz | Wer in letzter Zeit an die Debatte um die Erforschung und | |
Rückgabe kolonialer Raubkunst in deutschen Museen denkt, dem wird eher | |
Kunst aus Afrika einfallen. Viele deutsche Museen werden beispielsweise | |
noch in diesem Jahr die berühmten Benin-Bronzen an Nigeria zurück geben. | |
Dass sich aber auch zahlreiche Objekte aus China in deutschen Museen | |
befinden, die nicht rechtmäßig nach Europa kamen, war vielen | |
Beobachter*innen der Debatte bislang wenig präsent. „Nach der | |
Niederschlagung der Boxerbewegung kann man davon ausgehen, dass sich 80 | |
Prozent der Pekinger Kulturgüter nicht mehr an ihrem Platz befanden“, | |
berichtet Susanne Knödel, Kuratorin der Abteilung Ost- und Südasien am | |
Hamburger Museum am Rothenbaum MARKK. | |
Anlässlich des vierten [1][Tags der Provenienzforschung in dieser Woche], | |
an der sich deutschlandweit 120 und in Berlin 16 Museen und Institutionen | |
beteiligen, ist Knödel eine der Redner*innen der Online-Veranstaltung | |
[2][„Spuren des Boxerkriegs in deutschen Museumssammlungen“]. | |
Museumsmacher*innen aus Berlin, Hamburg und Frankfurt stellen ihr | |
Projekt vor, wenigstens die ersten der zahlreichen Objekte zu erforschen, | |
die bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes geraubt worden sein könnten | |
und sich heute in Deutschland befinden. | |
Zum Hintergrund: Die so genannten chinesischen Boxer begannen Ende des 19. | |
Jahrhunderts aus Wut gegen den europäischen, US-amerikanischen und | |
japanischen Kolonialismus in ihrem Land ausländisches Eigentum zu zerstören | |
und christliche Missionare und chinesische Christen zu ermorden. | |
## Vergewaltigungen und Enthauptungen | |
Als die Boxer im Jahr 1900 auch noch mit Hilfe der kaiserlichen Armee das | |
diplomatische Gesandschaftsviertel in Peking belagerten, ließ eine Allianz | |
aus acht Nationen, darunter Deutschland, Soldaten einmarschieren. Sie | |
schlugen den den Aufstand nieder. Nach Zeitzeugenberichten vergewaltigten, | |
erhängten, köpften, vierteilten und weideten sie Personen aus, die sie auch | |
nur verdächtigten, Boxer zu sein oder mit Boxern kooperiert zu haben. | |
Es folgte eine regelrechte Orgie der Plünderung durch Soldaten, Zivilisten | |
und Missionare, von denen auf der Veranstaltung am Mittwoch anschaulich | |
berichtet wurde. So ist belegt, dass ein amerikanischer Diplomat mehrere | |
Eisenbahnwaggons mit Beute und Kunstwerken füllte und dass die britische | |
Gesandtschaft in Peking jeden Nachmittag Beuteversteigerungen | |
veranstaltete. | |
## Plünderungen über mehr als ein Jahr | |
Die Plünderungen zogen sich über ein ganzes Jahr und fanden nicht nur in | |
Peking, sondern in ganz Nordchina statt. Katharina Weiler vom Museum für | |
angewandte Kunst in Frankfurt am Main stellt etwa ein wunderschönes | |
Räuchergefäß in Gestalt eines Ochsen aus Cloisonné vor, aus Emaille also. | |
Es ist Mitte des 18. Jahrhunderts in China entstanden und stammt aus der | |
Sammlung von Hermann Dobrikow. Allein, weil sich Dobrikow während der | |
Niederschlagung des Boxeraufstands in Peking befand gilt, das Objekt als | |
verdächtig. Seine Provenienz wird nun erforscht. | |
Nach einem Bericht des Museums für Asiatische Kunst in Berlin, das seit | |
vergangenem Jahr seine Objekte im [3][Humboldt Forum] ausstellt, gelangten | |
„Tausende von Kunstwerken und anderen Artefakten aus den Plünderungen“ in | |
deutsche Museumssammlungen. Dennoch behaupteten deutsche Museumsmacher noch | |
vor wenigen Jahren, ihre chinesischen Sammlungen seien vergleichsweise | |
unverdächtig. Sie seien nach dem Kunstverständnis in den Herkunftsländern | |
selbst aufgebaut worden, weil es dort anders als etwa in Afrika eine viel | |
[4][stärkere Tradition der Kunstgeschichte], des Kunstsammelns und | |
-handelns gegeben habe. Das trauen sie sich heute kaum mehr zu behaupten. | |
Die Aufarbeitung der Niederschlagung des Boxeraufstands und der | |
Plünderungen im Anschluss hat endlich begonnen. Und auch wenn China bislang | |
keine Rückgabeforderungen stellt, nimmt es seit 2009 Objekte in | |
internationalen Museen auf, die nach der Niederschlagung des Boxeraufstands | |
geplündert wurden und investiert verstärkt in universitäre Projekte, die | |
diese erforschen. Womöglich wird es eines der nächsten Länder werden, in | |
das zahlreiche Kunstobjekte zurück gehen werden. | |
15 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.arbeitskreis-provenienzforschung.org/tag-der-provenienzforschun… | |
[2] https://www.mkg-hamburg.de/de/das-mkg/spuren-des-boxerkrieges.html | |
[3] /Aktivistin-ueber-koloniales-Erbe/!5808577 | |
[4] /Kosmopolit-Klaas-Ruitenbeek-im-Interview/!5489236 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
## TAGS | |
Raubkunst | |
Provenienzforschung | |
Deutscher Kolonialismus | |
Polizei Niedersachsen | |
China | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Humboldt Forum | |
Restitution | |
Ethnologie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung nach Kunstraub als Hilferuf: Museum wirkt recht angefressen | |
Mit leeren Vitrinen inszeniert Hildesheims Roemer- und Pelizaeus-Museum | |
seine Ausstellung als Notfall-Projekt: Im Herbst war es ausgeraubt worden. | |
Ausstellung „Kriegsbeute aus China“: Vergessene koloniale Geschichte | |
Das Landesmuseum in Hannover zeigt Ausstellungsstücke, die sich ein | |
deutscher Offizier bei der Plünderung Pekings im Boxerkrieg unter den Nagel | |
riss. | |
Provenienzforscherin über Raubkunst: „Haben so einiges aufzuarbeiten“ | |
Ute Haug hat als Provenienzforscherin in Hamburg mit Raubkunst zu tun. | |
Schwierig wird es, wenn die eine NS- und koloniale Vergangenheit hat. | |
Festival im Humboldt Forum in Berlin: Filme für ein neues Publikum | |
Mit Kizobazoba startet am Mittwoch ein Festival mit Filmen aus Afrika. Sein | |
Ziel: Endlich vor Ort eine Kinokultur für alle etablieren. | |
Aktivistin über koloniales Erbe: „Der Schmerz ist noch präsent“ | |
Wahrscheinlich geraubt und jetzt im Berliner Humboldt Forum: Sylvie Vernyuy | |
Njobati kämpft um die Rückgabe einer Figur mit spiritueller Bedeutung. | |
Kosmopolit Klaas Ruitenbeek im Interview: „Ich fand die Hülle nicht so wicht… | |
Klaas Ruitenbeek hat sich als Direktor des Museums für Asiatische Kunst um | |
den Umzug ins Humboldt Forum gekümmert. Im Herbst 2018 geht er in den | |
Ruhestand. |