# taz.de -- Völkermord an den Herero und Nama: Versöhnungsabkommen wackelt | |
> In Namibia ist die geplante Versöhnung mit Deutschland umstritten. Die | |
> dortige Regierung will Nachverhandlungen – doch Berlin mauert. | |
Bild: Deutscher Soldat und gefangene Herero Anfang des 20. Jahrhunderts | |
Das Versöhnungsabkommen mit Namibia, das seit eineinhalb Jahren auf | |
Unterzeichnung wartet, wackelt. Die namibische Regierung fordert | |
Nachverhandlungen, sie steht unter Druck – wegen der im Mai 2021 | |
veröffentlichten „Gemeinsamen Erklärung“ („Joint Declaration“), in der | |
Deutschland erstmals „moralische Verantwortung“ für den Völkermord an den | |
Herero und Nama übernimmt und die Zahlung von 1,1 Milliarden Euro über 30 | |
Jahre verspricht. Ende voriger Woche erklärte Vizepräsident Nangolo Mbumba | |
[1][laut einer namibischen Zeitung], der Betrag könne nicht das letzte Wort | |
sein: „Bislang ist keine Übereinkunft mit Deutschland erreicht und | |
unterzeichnet.“ | |
Ein Sprecher des Auswärtigen Amts erklärte am Sonntag, derzeit gebe es | |
„konstruktive Gespräche mit der namibischen Regierung zu offenen Fragen der | |
Umsetzung“. Nach taz-Informationen sollen Änderungen am paraphierten Text | |
selber nicht Gegenstand der Gespräche sein. | |
[2][In Namibia ist das Abkommen hoch umstritten]. Als die [3][„Gemeinsame | |
Erklärung“] im Dezember im Parlament diskutiert wurde, kam es zu heftigen | |
Auseinandersetzungen, die Regierung setzte daraufhin die Abstimmung aus. | |
Die Herero und Nama, die im Genozid von 1904 bis 1908 einen Großteil ihrer | |
Bevölkerung, etwa 100.000 Menschen, verloren haben, kritisierten die | |
Verhandlungen von Beginn an – sie fordern einen Neustart. „Unser Argument | |
war immer, dass wir direkte Verhandlungen zwischen den betroffenen | |
Gemeinschaften und der deutschen Regierung brauchen“, sagte der oberste | |
Vertreter der Herero, Paramount Chief Mutjinde Katjiua. Dies sei in einer | |
Resolution des namibischen Parlaments von 2006 explizit festgehalten. | |
Katjiua und weitere Vertreter*innen der Herero und Nama sind zurzeit in | |
Berlin, wo am Wochenende eine Konferenz zum Völkermord und der Frage von | |
Reparationen stattfand. | |
## Begriff „Reparationen“ wird vermieden | |
Inhaltlich kritisieren Vertreter*innen der Herero, Nama sowie der San – | |
eine Sammelbezeichnung für Indigene im südlichen Afrika – dass Deutschland | |
mit der „Joint Declaration“ nur zugibt, dass die mit der Kolonisierung | |
verbundenen Verbrechen „aus heutiger Sicht“ Genozid genannt werden würden. | |
Zudem wird der Begriff Reparationen, der justiziabel wäre, vermieden. | |
Für die Nachfahren ist der Begriff besonders wichtig, nicht nur wegen des | |
Geldes – für sie geht es um die erkennbare Übernahme von Verantwortung und | |
Schuld. Kritisiert wird zudem, dass die 1,1 Milliarden Euro ausdrücklich | |
für Entwicklungsprojekte – nicht etwa als eine Art Wiedergutmachung – | |
ausgegeben werden sollen und dass damit „alle finanziellen Aspekte | |
bezüglich der Vergangenheit“ geregelt wären. Spätere Nachforderungen sollen | |
damit explizit ausgeschlossen werden. | |
Auch in Deutschland stößt die Erklärung auf Kritik. Offenkundig habe die | |
Bundesregierung versucht, „sich aus einer umfänglichen und rechtlichen | |
Verantwortung für seine koloniale Vergangenheit herauszuwinden“, | |
bilanzierte das in Berlin ansässige European Center for Constitutional and | |
Human Rights (ECCHR) im Mai 2021. Auf der vom ECCHR organisierten Konferenz | |
sagte deren Generalsekretär Wolfgang Kaleck, die Verhandlungen „hätten ein | |
Vorbild sein können“, weil damit erstmals eine Kolonialmacht mit ihrer | |
ehemaligen Kolonie einen Versöhnungsprozess begonnen habe, „doch | |
Deutschland scheiterte“. | |
Deutlich wurde auf der Konferenz, welche Folgen die deutsche | |
Kolonialbesatzung und der Genozid bis heute für die Nachkommen der Opfer | |
haben. So führte der Verlust von Land – 70 Prozent des Farmlands in Namibia | |
ist heute in Besitz der Nachkommen der deutschen Siedler – und die | |
Zerstörung von Kultur und Lebensweise der Herero und Nama „zu weit | |
verbreiteter Armut“, wie Katjiua, der oberste Vertreter der Herero, | |
erklärt. Doch die namibische Regierung sei an einer echten Landreform | |
ebenso wenig interessiert wie an echter Aufarbeitung des Genozids. „Dass | |
sie nun Nachverhandlungen fordert, ist Populismus – nächstes Jahr stehen in | |
Namibia Wahlen an.“ | |
## Klage am obersten Gerichtshof | |
Unter Druck ist die Regierung auch, weil namibische Juristen gerade eine | |
Klage am obersten Gerichtshof vorbereiten, um das Abkommen zu stoppen – | |
auch Katjiua ist darin beteiligt. Kern der Klage sei die Verletzung der | |
Rechte des Parlaments, „weil die Debatte und die anstehende Abstimmung im | |
namibischen Parlament im Dezember 2021 rechtswidrig abgebrochen wurden“, | |
erklärt die deutsche Völkerrechtsexpertin Karina Theurer, die die Kläger | |
unterstützt. | |
Auch auf deutscher Seite, findet sie, sollte der Bundestag beteiligt | |
werden. „Etwas so wichtiges wie ein Versöhnungsabkommen müsste doch | |
eigentlich vom Souverän beschlossen werden“, sagt Theurer. „Stattdessen gab | |
es Geheimverhandlungen und am Ende eine Gemeinsame Erklärung, um einer | |
gerichtlichen Überprüfbarkeit zu entgehen.“ | |
Aus „Diplomatenkreisen“ erfuhr die taz: „Eine Regierungserklärung bedarf | |
formal keiner Zustimmung durch den Bundestag.“ Die Frage, warum ein | |
[4][offiziell „Versöhnungsabkommen“ genanntes Dokument] am Ende zur | |
„gemeinsamen Regierungserklärung“ herabgestuft wurde, beantwortete das AA | |
nicht. | |
7 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://neweralive.na/posts/namibia-frets-over-revised-genocide-offer | |
[2] /Aussoehnungsabkommen-mit-Namibia/!5802855 | |
[3] https://www.dngev.de/images/stories/Startseite/joint-declaration_2021-05.pdf | |
[4] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-904670 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Namibia | |
Schwerpunkt Völkermord an den Herero und Nama | |
Kolonialismus | |
Schwerpunkt Erster Weltkrieg | |
Deutscher Kolonialismus | |
Deutscher Kolonialismus | |
Deutscher Kolonialismus | |
Deutscher Kolonialismus | |
Ukraine | |
Provenienzforschung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Deutscher Völkermord in Namibia: Versöhnungsabkommen vor Gericht | |
Nachfahren der Opfer des Völkermords in Deutsch-Südwestafrika verklagen | |
Namibia. Das Abkommen mit Deutschland sei völkerrechtswidrig. | |
Genocide against Herero and Nama: „We know where the land is“ | |
Paramount Chief of Ovahereros explains what's wrong with the Joint | |
Declaration between Germany and Namibia – and what Hereros and Namas | |
demand. | |
Genozid an Herero und Nama: „Wir müssen mit an den Tisch“ | |
Am „Versöhnungsabkommen“ mit Namibia soll wieder verhandelt werden. Der | |
Paramount-Chief der Herero erklärt seine grundsätzliche Kritik daran. | |
Afrikastein in Berlin-Neukölln: In Stein gehauene Taten | |
Der „Afrikastein“ in Neukölln ehrt Täter des Genozids an den Herero und | |
Nama, nicht die Opfer. Nach Jahrzehnten der Kritik soll sich nun etwas | |
ändern. | |
Namibische Geflüchtete aus der Ukraine: „Mein Herz schlägt wie verrückt“ | |
Kaningiriue Jatamunua ist Herero. Sie studierte Medizin in der Ukraine und | |
floh nach Deutschland. Ein Gespräch über Rassismus, Trauma und | |
Verarbeitung. | |
Restitutionspolitik: Der Anfang einer langen Reise | |
Das Ethnologische Museum im Humboldt Forum gibt 23 Objekte aus seiner | |
Sammlung nach Namibia zurück. Zunächst aber nur als Leihgabe. |