| # taz.de -- Namibische Geflüchtete aus der Ukraine: „Mein Herz schlägt wie … | |
| > Kaningiriue Jatamunua ist Herero. Sie studierte Medizin in der Ukraine | |
| > und floh nach Deutschland. Ein Gespräch über Rassismus, Trauma und | |
| > Verarbeitung. | |
| Bild: „Wir wissen nur, dass wir hier registriert sind bis zum 31. August“, … | |
| taz am wochenende: Frau Jatamunua, Sie sind zusammen mit einer Gruppe aus | |
| Afrika stammender Studierender, meist der Medizin, gleich nach | |
| Kriegsausbruch in der Ukraine nach Deutschland geflohen – war es schwierig? | |
| Kaningiriue Jatamunua: Ja. In Kyjiw ließ man uns zunächst nicht in den Zug, | |
| es hieß, der sei nur für ukrainische Frauen und Kinder. Aber schließlich | |
| gelangten wir doch hinein, fuhren 16 Stunden am Stück, zwölf Leute in einem | |
| Abteil. Im Stehen. Ohne Wasser. | |
| Sechzehn Stunden bis nach Polen? | |
| Nein, bis nach Lwiw. Dort hat man uns aus dem Zug geholt, einem meiner | |
| Kommilitonen wurde sogar eine Pistole an den Kopf gehalten. | |
| Wie ging es weiter? | |
| Wir versuchten, in einen Bus zu gelangen, stellten uns in die Schlange. | |
| Aber von dort wurden wir vertrieben, von rassistischen Ukrainer*innen. Also | |
| nahmen wir ein Taxi, das allerdings fuhr uns nicht direkt bis zur | |
| polnischen Grenze. Also mussten wir zu Fuß bis dorthin. An der Grenze | |
| ließen uns dann die ukrainischen Grenzer nicht durch. Es hieß auf | |
| Nachfrage: Pro zehn Ukrainer*innen je ein Ausländer. Sie haben uns immer | |
| wieder zurückgeschickt, wir standen dort stundenlang, andere mehrere Tage. | |
| Auch PoC aus UK wurden nicht durchgelassen – es ging also gar nicht um das | |
| Herkunftsland, [1][sondern um die Hautfarbe]. Racial Profiling. | |
| Wie war es, als Sie in Polen ankamen? | |
| Es gab zwar Züge nach Deutschland, aber ich war körperlich nicht in der | |
| Lage, weiterzureisen. Ich hatte Schmerzen überall von der Zugreise und den | |
| Strapazen, in der Hüfte, in den Beinen. Ich war ziemlich am Ende. Und dann | |
| sagte man uns, dass wir ohnehin [2][nicht länger als zwei Wochen in Polen] | |
| bleiben dürften, wenn wir keine Ukrainer sind. | |
| Und dann Deutschland? | |
| Ich nahm einen Bus, ich kannte dort jemanden, in Hamburg, eine | |
| Austauschschülerin aus meiner Schulzeit, mit der ich in Kontakt geblieben | |
| war. Sie hatte ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt Covid, aber ich kannte auch | |
| noch jemanden in Köln, wo ich vorübergehend bleiben konnte. | |
| Wo leben Sie jetzt? | |
| Weiterhin bei Freunden, Helfern aus der Zivilgesellschaft in Köln. Ich habe | |
| meinen Wohnort bislang einmal im Monat gewechselt. Wir versuchen, die | |
| Gruppe zusammenzuhalten. Und ich versuche, mein Deutsch zu verbessern, | |
| leiste ehrenamtliche Arbeit bei Pamoja e. V., dort kann man mir auch | |
| helfen, weil ich an PTBS leide. Zum Beispiel höre ich noch immer Menschen | |
| um mich herum auf Otjiherero sprechen und es ist mir klar, dass das nicht | |
| möglich sein kann in Köln. | |
| Sie sind eine [3][Herero]? | |
| Ja, ich bin eine Herero. Ich bin geboren und aufgewachsen in Windhuk. Und | |
| dort bin ich zur deutschen Schule gegangen. | |
| Wir führen unser Gespräch auf Englisch. Aber Sie sprechen auch Deutsch? | |
| Ja, ich kann ein bisschen Deutsch, aber ich hatte nicht viel Praxis. Ein | |
| Grund dafür, dass mich meine Eltern auf diese Schule geschickt haben, war | |
| der Versuch, sich mit der Geschichte zu versöhnen. Zu dieser Zeit hatte man | |
| in Namibia die Idee, dass es gut wäre, voranzukommen in der Geschichte, | |
| Frieden zu schließen mit den Ereignissen der Kolonialzeit, des Genozids. | |
| Und meine Eltern dachten auch, dass es gut für uns Kinder wäre, auf diesem | |
| Weg etwas über unsere Herkunft zu lernen. | |
| Ihre Eltern haben Sie auf eine deutsche Schule geschickt, um die Wunden der | |
| Vergangenheit zu heilen? | |
| Der Genozid hat unsere Familie massiv betroffen – und ich gehöre nun zu der | |
| Gruppe von Menschen, die nach der Unabhängigkeit Namibias geboren wurden. | |
| Daher haben sie versucht, über den Schmerz hinwegzukommen und ihn nicht auf | |
| ihre Kinder zu übertragen. Wir haben nie wirklich darüber gesprochen, in | |
| der Schule bin ich dann in schwierige Situationen geraten. Zum Beispiel, | |
| als ich unseren Familienstammbaum zeichnen sollte. | |
| Inwiefern? | |
| Als ich zu Hause nachgefragt habe, hieß es: Okay, bis zu diesem Punkt | |
| können wir über die Familiengeschichte sprechen – und dann nicht mehr. Das | |
| war immer dann, wenn es um Vergewaltigung und Morde ging. Über meine | |
| gemischte Herkunft habe ich auch nichts erfahren. | |
| Wenn es um Genozid geht, schweigen meist sowohl die Täter als auch die | |
| Opfer. | |
| Ja, aber es gab eben eine Menge Vergewaltigungen und daher viele „Mixed | |
| Breedings“, auch wenn ich den Begriff nicht gerne verwende, weil er so | |
| zoologisch klingt. Allein die haben schon genügend Traumata ausgelöst, | |
| zusätzlich zu dem Genozid. Meine Mutter erzählt immer nur, dass ihr Vater | |
| hellhäutiger war, mehr nicht. Warum er hellhäutiger war, hat sie nie | |
| erzählt. | |
| Was war das im Nachhinein für eine Erfahrung mit der Deutschen Schule, war | |
| es tatsächlich „heilend“? | |
| Auch dort gab es Rassismus. Die meiste Zeit von den Eltern der anderen | |
| Kinder. Als ich zum Beispiel Schülerlotsin war und ihnen Ansagen gemacht | |
| habe, wurde das von den deutschen Eltern nicht ernst genommen. Ich musste | |
| dann ein deutsches Kind zur Verstärkung holen. | |
| Und nun sind Sie zum ersten Mal in Deutschland? | |
| Ja. Als ich die Schule beendet habe, dachte ich zunächst daran, in | |
| Deutschland zu studieren. Aber dann erfuhr ich, dass man die Prüfungen und | |
| Abschlussarbeiten auf Deutsch absolvieren muss – unser Deutsch, das wir an | |
| der Schule gelernt haben, hätte dazu nicht ausgereicht. | |
| Wie alt waren Sie, als Sie Namibia in Richtung Ukraine verließen? | |
| Das war 2015, und ich war 18 und hatte grade die Schule beendet. Das erste | |
| Mal weg von zu Hause, das erste Mal geflogen. Sieben Jahre habe ich dort | |
| gelebt. Als ich dort ankam, war ich eine junge Erwachsene. Es war großartig | |
| für mich, frei von sozialer Kontrolle und kulturellen Einschränkungen zu | |
| sein und herauszufinden, wer ich eigentlich bin – und die Ukrainer*innen | |
| haben mir dabei sehr geholfen. Wie wird man erwachsen? Wie benimmt man sich | |
| in einem Bus? So was kannte ich nicht, zu Hause gibt es nur | |
| Individualverkehr. | |
| Haben Sie auch in Dnipro Rassismuserfahrungen gemacht? | |
| Als PoC machen Sie überall Rassismuserfahrungen. Als wir in Dnipro ankamen, | |
| das war nach dem Krieg auf der Krim, 2014, gab es kaum PoC in der Stadt, | |
| jedenfalls keine sichtbaren. Es gab also eine gewisse Faszination für unser | |
| Haar und die Haarfarbe. Es wurden einem jeden Tag Fragen gestellt. | |
| Warum sind Sie ausgerechnet in die Ukraine gegangen, um zu studieren? | |
| Medizin zu studieren ist sehr teuer. Und in der Ukraine war das | |
| vergleichsweise billig, auch in Bezug auf die Lebenshaltungskosten. Es ist | |
| auch relativ einfach gewesen, ein Visum zu bekommen. Es erschien machbar. | |
| Und studieren in englischer Sprache war anders als in Deutschland auch kein | |
| Problem. | |
| Bedeutete es für Ihre Eltern ein großes Opfer, Sie zum Medizinstudium nach | |
| Europa zu schicken? | |
| Ja, es ist sehr teuer für sie, sie opferten eine Menge für mich. | |
| Das muss ein starker Druck für Sie sein. | |
| Selbstverständlich. Nicht jeder in der Familie bekommt die Chance, auf eine | |
| Universität zu gehen. Das Kind, das es schafft, bekommt alle Unterstützung. | |
| Man hat die Hoffnung, dass es der gesamten Familie zugutekommt. | |
| Wie geht es Ihnen jetzt? | |
| Ich muss die Dinge noch verarbeiten und habe noch immer Schwierigkeiten, | |
| wenn ich einen Krankenwagen höre. Das erinnert mich an die Sirenen in der | |
| Ukraine. Laute Geräusche. Dinge, vor denen ich früher schon Angst hatte, | |
| machen mir jetzt zehnmal mehr Angst. Ich höre ein Klappern und dann schlägt | |
| mein Herz wie verrückt. Es ist so wichtig, dass wir mit Helene sprechen | |
| können, sie gibt uns psychosozialen Rat. | |
| Helene Batemona-Abeke von [4][Pamoja Afrika e. V.] aus Köln, ein Verein, | |
| der Antirassismusarbeit leistet und sich derzeit auch um ukrainische | |
| Geflüchtete kümmert. | |
| Bei Pamoja gibt es nicht nur jeden Tag etwas Warmes zu essen für uns, | |
| sondern auch Hilfe bei der Bewältigung unserer Probleme, denn wir sind | |
| ansonsten auf uns alleine gestellt. | |
| Sie und Ihre Kommilitoninnen sind auf Einladung der Deutschen Aidshilfe bei | |
| den [5][Positiven Begegnungen] in Duisburg, um sich zu organisieren und | |
| auszutauschen. Einige aus Ihrer Gruppe sind positiv? | |
| Ja, aber es fällt ihnen oft schwer, darüber zu sprechen, weil sie Angst | |
| davor haben, verurteilt zu werden. Andere sind Teil der LGBTIQ-Community | |
| und wollen ebenfalls nicht öffentlich darüber sprechen, aus familiären | |
| Gründen und weil sie nicht noch zusätzlich diskriminiert werden möchten. | |
| Wie geht es nun weiter mit Ihrer Gruppe? | |
| Wir haben kein Visum. Wir haben nur ein Papier, dass wir hier registriert | |
| sind bis zum 31. August. Mehr wissen wir nicht. | |
| Würden Sie gerne in Deutschland bleiben? | |
| Ja. Vor allem wegen der Beziehungen, die ich hier habe. Und ich würde auch | |
| gerne in dem Beruf arbeiten, für den ich so lange studiert habe. So wie | |
| meine Freunde auch. Wir sind qualifiziert und haben keine Möglichkeiten. | |
| Während ukrainische geflüchtete Mediziner bereits in deutschen | |
| Krankenhäusern arbeiten, obwohl sie teilweise kein Englisch sprechen. | |
| Sie sind Allgemeinmedizinerin? | |
| Ja. Ich würde mich gerne auf Onkologie spezialisieren. | |
| Der Autor war auf Einladung der Deutschen Aidshilfe bei den „Positiven | |
| Begegnungen“ in Duisburg. | |
| 31 Jul 2022 | |
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| [4] https://pamojaafrika.org/ | |
| [5] https://www.aidshilfe.de/positive-begegnungen | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reichert | |
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