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# taz.de -- Deutscher Völkermord in Namibia: Versöhnungsabkommen vor Gericht
> Nachfahren der Opfer des Völkermords in Deutsch-Südwestafrika verklagen
> Namibia. Das Abkommen mit Deutschland sei völkerrechtswidrig.
Bild: Soll keine Ansprüche an Deutschland stellen: Angehörige der Herero in N…
Berlin taz | Die Aufarbeitung des deutschen kolonialen Völkermordes an den
Herero und Nama im heutigen Namibia landet vor Gericht. Die Nachfahren der
Opfer des Völkermordes haben beim High Court in der Hauptstadt Windhoek
Klage gegen das „[1][Versöhnungsabkommen]“ eingereicht, das die
Regierungen Deutschlands und Namibias 2021 miteinander geschlossen hatten.
Im einstigen Deutsch-Südwestafrika hatten deutsche Kolonialtruppen zwischen
1904 und 1908 geschätzt 100.000 Herero und Nama direkt getötet oder sie dem
Hungertod überlassen, als Rache für einen antikolonialen Aufstand. Aus
Sicht vieler Forscher erfüllt diese kollektive Tötung der beiden
Volksgruppen aufgrund ihres planmäßigen Charakters den Tatbestand des
Völkermords.
Nachdem 2004 erstmals ein deutsches Regierungsmitglied in Namibia um
„Vergebung“ bat – die damalige Bundesentwicklungsministerin [2][Heidemarie
Wiedzorek-Zeul (SPD)] –, einigten sich die Regierungen in Berlin und
Windhoek 2021 nach sechs Jahren Gesprächen auf die Formulierung, die
„Geschehnisse“ seien „aus heutiger Sicht“ als Völkermord zu bewerten.
Eine juristische Anerkennung, dass der deutsche Staat damals einen
Völkermord beging, lehnt die Bundesregierung bis heute aus Angst vor
möglichen Rechtsfolgen ab. Eine solche ist auch in der Vereinbarung von
2021, die keine Reparationen für die Opfer vorsieht, nicht enthalten.
Deutschland anerkennt darin lediglich seine „moralische Verantwortung für
die Kolonisierung Namibias und für die historischen Entwicklungen, die zu
den beschriebenen Völkermordumständen führten“. Auch sieht es „eine
moralische, historische und politische Verpflichtung, eine Entschuldigung
für diesen Völkermord zu unterbreiten und danach die nötigen Mittel für
Versöhnung und Wiederaufbau bereitzustellen“.
## Viele erfolglose Versuche, das Abkommen neu aufzurollen
Genannt werden zwei Beträge von zusammen 1,1 Milliarden Euro
Entwicklungshilfe über 30 Jahre. Das sei final, führt Paragraf 20 der
Erklärung aus: „Beide Regierungen teilen das Verständnis, dass die
genannten Summen alle finanziellen Aspekte der mit der in dieser
Gemeinsamen Erklärung behandelten Themen der Vergangenheit abschließend
regeln.“
Das stieß in Namibia auf Befremden. In den USA hatten Herero-Vertreter
zuvor Deutschland vergeblich auf Reparationen von vier Milliarden Euro
verklagt. In Namibia wird die Forderung nach Wiedergutmachung mit der nach
einer umfassenden Landreform verknüpft. Vor allem aber vermissen Vertreter
der Opfergruppen, also die traditionellen Autoritäten der heutigen Herero
und Nama, ihre förmliche Beteiligung.
Eine parlamentarische Ratifizierung der „Gemeinsamen Erklärung“ gab es
weder in Berlin noch in Windhoek. Die deutsche Regierung hielt das nicht
für notwendig, Namibias Regierung stieß auf so heftigen Widerstand im
Parlament, dass am 2. Dezember 2021 der Parlamentspräsident lediglich die
Zurkenntnisnahme der Erklärung verkündete. Eine Abstimmung für oder gegen
die Erklärung gab es nicht.
Die Klage vor dem High Court folgt nun auf vergebliche Versuche, das Thema
neu aufzurollen und Zusatzvereinbarungen zu erreichen. Dies lehnte Namibias
Regierung ab und Deutschland blieb bei seiner Linie, nicht unter Umgehung
der Regierung mit namibischen Opfervertretern zu verhandeln.
Eingereicht hat die Klage der ehemalige namibische Vizeminister für
Landreform, [3][Bernadus Swartbooi], der 2016 aus der regierenden Swapo
(South West African People’s Organisation) austrat und eine „Bewegung der
Landlosen“ gründete. Diese tritt ebenfalls als Kläger auf, zusammen mit elf
„traditionellen Autoritäten“. Verklagt werden alle Spitzenvertreter des
namibischen Staats.
Kern der Klage ist die mangelnde Beteiligung des Parlaments. Die Einigung
sei nicht einfach eine Regierungserklärung, sondern aufgrund bindender
Formulierungen wie Paragraf 20 ein zwischenstaatlicher Vertrag. Dieser
beschränke in unzulässiger Weise die Möglichkeiten der Namibier,
Wiedergutmachung zu erlangen. Durch den Ausschluss der Opfer habe Namibias
Regierung außerdem Selbstverpflichtungen gebrochen. Insgesamt sei die
Gemeinsame Erklärung verfassungs- und völkerrechtswidrig.
23 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.dngev.de/images/stories/Startseite/joint-declaration_2021-05.pdf
[2] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Namibia/100-jahre.html
[3] /Proteste-in-Namibia/!5798163
## AUTOREN
Dominic Johnson
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