| # taz.de -- Erinnerungspolitik in Hannover: Koloniales Unrecht anerkennen | |
| > SPD und Grüne in Hannover wollen die koloniale Geschichte der Stadt | |
| > mithilfe eines Beirats aufarbeiten. Hamburgs Pendant wird kritisiert. | |
| Bild: Koloniale Ausbeutung fand nicht nur ökonomisch statt: Hier eine Ausstell… | |
| HAMBURG taz | Die rot-grüne Mehrheitskoalition im Rat der Stadt Hannover | |
| will einen Beirat zur „Erarbeitung eines gesamtstädtischen | |
| [1][dekolonialisierenden Erinnerungskonzeptes]“ berufen. Einen | |
| entsprechenden Antrag hat sie vergangene Woche eingereicht. Auch in Hamburg | |
| gibt es bereits Erfahrungen mit einem solchen Beirat. | |
| „Hannover hat aufgrund der langjährigen Personalunion mit Großbritannien | |
| eine doppelte Kolonialgeschichte“ heißt es in dem Antrag. Zwischen 1714 und | |
| 1837 war der König von Hannover aufgrund einer Thronfolgeregelung auch | |
| König von Großbritannien – das wie später das Deutsche Reich viele Kolonien | |
| hatte – gewesen. | |
| Die Rolle Hannovers und seine „historische Verantwortung im Zeitalter des | |
| deutschen, britischen und europäischen Kolonialismus und Imperialismus“ | |
| soll mit der Entwicklung eines Erinnerungskonzepts anerkannt werden. Dafür | |
| möchten SPD und Grüne einen Beirat einrichten. | |
| In Hannover gibt es bereits seit Jahren Auseinandersetzungen um die | |
| Umbenennung von Straßen und Plätzen, wie etwa zur Walderseestraße und zum | |
| 1988 zum „Mahnmal gegen den Kolonialismus“ umgestalteten | |
| Carl-Peters-Denkmal. Alfred von Waldersee war um 1900 [2][von Hannover aus | |
| nach China entsandt] worden, um die dortige Boxerbewegung | |
| niederzuschlagen, die sich gegen den europäischen Imperialismus zur Wehr | |
| setzte. Carl Peters war ein Hannoveraner Kolonialist, der wegen seines | |
| brutalen Vorgehens gegenüber der lokalen Bevölkerung im heutigen Tansania | |
| bekannt wurde. | |
| Für Liam Harrold, der für die Grünen in der Ratsversammlung sitzt, soll | |
| sich der Beirat [3][allerdings nicht nur um Straßenumbenennungen] kümmern. | |
| Für ihn ist es wichtig, Akteur*innen aus der Stadtgesellschaft | |
| miteinzubeziehen, rassistische Strukturen abzubauen und einen | |
| Perspektivwechsel auszulösen: „Bisher ist das Thema viel von einer weißen | |
| Mehrheitsgesellschaft her thematisiert worden“, sagt Harrold. Laut dem | |
| Antrag soll der Beirat ein „dekolonialisierendes Erinnerungskonzept“ | |
| ausarbeiten und Handlungsempfehlungen für die Stadt benennen. | |
| Daniel Kalifa, stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Generation | |
| Postmigration“ fordert, dass der Beirat multiperspektivisch zusammengesetzt | |
| ist und „Expert*innen aus der afrodiasporischen Community dabei sind“, die | |
| auf konzeptioneller Ebene mitgestalten sollen. Der Verein setzt sich dafür | |
| ein, dass postmigrantische Perspektiven strukturell öffentlich präsent | |
| sind. Zudem ist Kalifa wichtig, dass der Beirat mit genug Ressourcen | |
| ausgestattet sei und „die Power“ habe, „Sachen umzusetzen“. | |
| In Hamburg gibt es einen vergleichbaren Beirat seit 2019. Dem | |
| vorausgegangen war ein runder Tisch, an dem sich sowohl Aktivist*innen | |
| als auch Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen von Institutionen | |
| versammelt hatten. Ulrich Hentschel, ein Teilnehmer des runden Tisches, | |
| sieht den Hamburger Beirat skeptisch. Der pensionierte Pastor engagiert | |
| sich schon seit Jahren erinnerungspolitisch. | |
| Seiner Meinung nach hat der Beirat die Arbeit des runden Tisches und der | |
| zivilgesellschaftlich Engagierten ausgebremst. Zudem kritisiert er die | |
| Intransparenz des Beirats: „Der Beirat wurde durch den Kultursenator | |
| eingesetzt und hat sich verpflichten lassen, öffentlich nichts zu sagen.“ | |
| Es gebe keine Protokolle der Beiratssitzungen, die öffentlich einsehbar | |
| seien. | |
| Auch Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle „[4][Hamburgs | |
| (post-)koloniales Erbe]“ sieht beim Beirat ein „Transparenzproblem“. Das | |
| liege laut Zimmerer vor allem daran, dass „nie genau geklärt wurde, was für | |
| ein Beirat das sein soll“. Wie der Beirat arbeitet, hätte seiner Meinung | |
| nach vom runden Tisch bestimmt werden müssen. Wenn der Beirat sich äußert, | |
| müsse das öffentlich werden und der Senator oder die Behörde müsse dazu | |
| öffentlich Stellung nehmen, findet Zimmerer. | |
| ## Debatte um Öffentlichkeit | |
| Für den Wissenschaftler ist es allerdings wichtig, dass es den Beirat gibt. | |
| „Dekolonialisierung muss zwei Pfeiler haben“, sagt er, „einerseits die | |
| wissenschaftliche Forschung und Aufarbeitung und andererseits die | |
| Perspektive der Betroffenen“. Für den Hannoveraner Beirat hat Zimmerer zwei | |
| Empfehlungen: Einerseits brauche der Beirat ein eigenes Budget, zum anderen | |
| müsse geklärt werden, welches Initiativrecht der Beirat haben soll. | |
| Enno Isermann, Sprecher der [5][Hamburger Kulturbehörde], erklärt, dass | |
| sich der Beirat selbst eine Geschäftsordnung gegeben habe, „in der über | |
| die Beratungen selber Vertraulichkeit vereinbart wurde – auch damit dort | |
| eine offene Debatte möglich ist“. Darüber hinaus sei „selbstverständlich | |
| jeder und jede frei, sich zu äußern“. Die Sitzungen würden protokolliert. | |
| Und: „In den deutlich größeren Sitzungen des runden Tisches wird auch über | |
| die Arbeit berichtet“, sagt Isermann. | |
| 9 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Historiker-ueber-koloniale-Aufarbeitung/!5905040 | |
| [2] /Kolonialvergangenheit-mit-China/!5908989 | |
| [3] /Dekolonisierung-von-Strassennamen-Berlin/!5899918 | |
| [4] /Historiker-ueber-koloniale-Aufarbeitung/!5905040 | |
| [5] https://www.abendblatt.de/kultur-live/article237384323/hamburgs-umstrittene… | |
| ## AUTOREN | |
| Franziska Betz | |
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