# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Litauen: Gegen das Völkerrecht | |
> Litauen erlaubt illegale Pushbacks von Migranten an der Grenze zu | |
> Belarus. Auch Patrouillen von freiwilligen „Grenzschützern“ sollen | |
> möglich werden. | |
Bild: Hunderte Kilometer Stacheldraht an der Grenze zwischen Litauen und Belaru… | |
BERLIN taz | Gerade erst am Donnerstagmorgen hatte eine hohe Vertreterin | |
der EU-Komission in Berlin klar gemacht, wie die EU zu Pushbacks an den | |
Außengrenzen steht: „Wir verurteilen jede Form der Gewalt an der Grenze“, | |
sagte die Beamtin aus dem Stab von Innenkommissarin Ylva Johansson. Man | |
dränge „sehr darauf, dass untersucht wird“, wenn es entsprechende Vorwürfe | |
gebe. Diese Linie vertritt die Komission offiziell seit Jahren. | |
Aber nur wenige Stunden später stimmte das litauische Parlament per | |
Schnellverfahren für das exakte Gegenteil: Das am Donnerstag in Vilnius | |
angenommene „Gesetz zur Staatsgrenze und deren Schutz“ erlaubt ausdrücklich | |
sogenannte „summarische Rückführungen“ nach Belarus – ohne vorherige | |
Asylprüfung. Dies „verankert die anhaltende Praxis der Pushbacks an der | |
Grenze im litauischen Recht“, sagte Sophie Scheytt von Amnesty Deutschland. | |
Das Völkerrecht verbietet solche [1][Pushbacks], also Sammelabschiebungen | |
und Abschiebungen in Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen drohen. | |
Spanien, Griechenland, Kroatien, Lettland, Polen, Litauen und andere Länder | |
setzen sich jedoch über dieses Verbot hinweg. | |
Besonders brisant ist, dass Litauen auch den Einsatz sogenannter „Paten“ | |
beim Grenzschutz erlaubt. Hierbei handelt es sich um Freiwillige, die | |
patrouillieren und Maßnahmen gegen Migranten und Asylbewerber ausüben | |
dürfen – etwa bei Verhaftungen helfen. „Es gibt dabei keine Beschränkung | |
für Menschen aus dem Ausland“, sagt Emilija Švobaitė, eine Anwältin und | |
Aktivistin der NGO Sienos Grupė, dem Portal Euobserver. Auf dieser | |
Grundlage könnten etwa Rechtsextreme aus Deutschland neben den nationalen | |
litauischen Grenzschützern patrouillieren. Solche Patrouillen hatte es etwa | |
auf dem Balkan in der Vergangenheit immer wieder gegeben – dort allerdings | |
illegal. | |
## Hilfe könnte kriminalisiert werden | |
Am 7. April 2023 war die Leiche eines mutmaßlichen indischen Migranten an | |
der litauischen Grenze gefunden worden, im August 2022 die Leiche eines | |
Mannes aus Sri Lanka. Im Oktober 2022 war bekannt geworden, dass Menschen | |
in Litauen „aufgrund von Verletzungen an der Grenze Gliedmaßen amputiert | |
werden mussten“, heißt es in einem offenen Brief vom Dienstag an das | |
litauische Parlament, den rund 130 Jurist:innen und NGOs unterschrieben | |
haben. Die Legalisierung der Pushbacks und die Einschränkung der | |
humanitären Hilfe an der Grenze dürfte nach ihrer Einschätzung zu einer | |
„erheblichen Zunahme solcher Fälle von Tod und Leid führen, verbunden mit | |
der Kriminalisierung der Hilfe.“ | |
Erst kürzlich hatte Litauen von Belarus wegen der Ankünfte der | |
Asylsuchenden Entschädigung in Höhe von bis zu 120 Millionen Euro verlangt. | |
Belarus steuere die Einwanderung Tausender Menschen vor allem aus Afrika | |
und dem Nahen Osten, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums. | |
Justizministerin Ewelina Dobrowolska sagte, die von Belarus gesteuerte | |
Einwanderung laufe nicht über eine „natürliche“ Migrationsroute. Mit den | |
120 Millionen Euro sollten die Kosten gedeckt werden, die Litauen durch die | |
Zurückweisung von Migranten und verstärkte Grenzkontrollen entstanden | |
seien. | |
## Stacheldraht, Inhaftierungen und Folter | |
Seit Mitte 2021 hat das Land insgesamt 20.000 Migranten, die über Belarus | |
kamen, die Einreise verweigert. Inzwischen hat Litauen einen | |
[2][Stacheldrahtzaun] entlang seiner 679 Kilometer langen Grenze zu Belarus | |
errichtet. | |
Erst kürzlich hatte der Europarat in einem Bericht festgestellt, dass | |
Länder wie Litauen mit ihrem Vorgehen gegen Schutzsuchende an der Grenze | |
Praktiken angewendet haben, die den Tatbestand der Folter erfüllen. | |
Menschenrechtsorganisationen weisen seit langem auf die Rechtsverletzungen | |
von Migrant:innen in Litauen hin. | |
Im Mai 2022 berichtete Ärzte ohne Grenzen, dass rund 2.500 Menschen zu | |
jener Zeit bereits neun Monaten unter menschenunwürdigen Bedingungen [3][in | |
Haft] waren. Sie waren über Belarus eingereist. Kurz darauf hatte der | |
Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg diese Internierung für | |
rechtswidrig erklärt. | |
23 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Schwarzbuch-ueber-Pushbacks/!5897144 | |
[2] /Grenzzaun-an-europaeischer-Aussengrenze/!5878366 | |
[3] /Litauen-will-Asylgesetz-nicht-aendern/!5865231 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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