# taz.de -- Weizenkrise und Ukraine-Krieg: Hunger als Waffe | |
> Mit seinem Angriffskrieg hat Putin nicht nur die Ernährungslage in der | |
> Ukraine verschlechtert, sondern auf der ganzen Welt. | |
Bild: „Kornkammer Europas“ – Weizenanbau im Gebiet Donezk in der Ostukrai… | |
BERLIN/LWIW TAZ Das letzte Schiff, das Lamprakis Lazos mit Weizen beladen | |
ließ, legte vor sechs Wochen in Mykolajyw ab. Als der Frachter von der | |
Hafenstadt zwischen der Krim und Odessa ins Schwarze Meer aufbrach, | |
schlugen in Kiew schon Putins Raketen ein. | |
Lazos ist Geschäftsführer bei einem der größten Getreideexporteure in der | |
Ukraine. Seit den neunziger Jahren ist er im Geschäft, und das nicht | |
schlecht. Sein Whatsapp-Profilfoto zeigt ihn mit schwarzem Hemd und | |
Sonnenbrille auf einer Brücke über dem Canale Grande in Venedig. In | |
Friedenszeiten verkauft seine Firma etwa 2,5 Millionen Tonnen ukrainisches | |
Getreide nach China, Ägypten, Saudi-Arabien und anderswo. | |
Doch der Frieden ist vorbei. „Wir können fast nichts mehr exportieren“, | |
klagt Lazos am Telefon. Die Russen haben die Häfen blockiert. Ein paar | |
Ladungen kann Lazos mit Zügen über Rumänien ausführen. Doch deren | |
Transportkapazität reicht nur für insgesamt gut 340.000 Tonnen Getreide im | |
Monat – ein Bruchteil dessen, was die Ukraine üblicherweise per Schiff | |
verlässt. | |
„Das Getreide liegt jetzt in den Silos im Inland und in den | |
Hafenterminals“, sagt Lazos. So wie er nichts exportieren kann, können | |
Bauern nichts mehr verkaufen. Der Winter war lang, erst in den kommenden | |
Tagen könnten sie die neue Saat ausbringen. Doch der dafür benötigte | |
Kraftstoff sei für viele Bauern nicht mehr zu finanzieren. Sein Unternehmen | |
zahle die Löhne momentan noch weiter, sagt Lazos. „Aber keiner weiß, wie | |
lange das so bleibt.“ | |
33 Millionen Tonnen Weizen hat die Ukraine 2020 produziert, Russland | |
weitere 75 Millionen Tonnen – zusammen fast ein Siebtel der Weltproduktion. | |
Am Welthandel hatte die Ukraine zuletzt einen Anteil von mehr als 10 | |
Prozent, Russland von mehr als 16 Prozent. Mehr als jeder vierte Sack | |
Weizen, der vor dem Krieg auf dem Weltmarkt zu kaufen war, stammte aus | |
einem dieser beiden Länder. | |
Die Hunger-Frühwarn-NGO Fewsnet hatte deshalb schon vor Kriegsausbruch | |
Alarm geschlagen. Schon ein auf den Donbass begrenzter russischer Angriff | |
würde „erhebliche und langanhaltende Auswirkungen auf die internationalen | |
Getreidemärkte und -preise“ haben, schrieb Fewsnet vier Tage vor Putins | |
Überfall. Die Folgen seien umso schwerwiegender, da Weizen auf dem | |
Weltmarkt bereits Ende November 2021 aufgrund von Dürren und Corona so | |
teuer war wie noch nie. | |
Bekanntermaßen beschränkte sich der russische Angriff nicht auf den | |
Donbass. Und so fiel der Preisschock noch heftiger aus, als die | |
Fewsnet-Analysten erwartet hatten. Zwischen dem 23. Februar und dem 7. März | |
schoss der Weizenpreis an der europäischen Getreidebörse Matif in Paris um | |
weitere 58 Prozent nach oben, ein historisch einmaliger Sprung auf 422,50 | |
Euro je Tonne. Derzeit liegt er bei etwa 364 Euro – unbezahlbar für viele | |
arme Länder in der Welt. | |
Nicht nur die ukrainischen Exporte, sondern auch die aus Russland fallen | |
nun weitgehend aus. Westliche Reedereien, Zwischenhändler und | |
Weiterverarbeiter haben – freiwillig oder aus Angst vor Sanktionen – das | |
Geschäft mit Russland eingestellt. Mitte März verbot Putin zudem den Export | |
von Weizen in Ex-Sowjetrepubliken. Auch die Ukraine hatte Mitte März den | |
Export von Weizen verboten, um die Ernährung der eigenen Bevölkerung | |
sicherzustellen. | |
UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor einem „Wirbelsturm des | |
Hungers“. Die internationale Gemeinschaft müsse handeln, um einen | |
„Zusammenbruch des globalen Nahrungssystems“ zu verhindern. Der Krieg in | |
der Ukraine sei „auch ein Angriff auf die am meisten gefährdeten Menschen | |
und Länder der Welt“, sagte Guterres. | |
Der Krieg hätte zu kaum einem schlechteren Zeitpunkt kommen können. In | |
Ostafrika sind drei Regenzeiten in Folge ausgeblieben. Die UN sprechen von | |
der schlimmsten Dürre seit 1981. Westafrika leidet unter Überschwemmungen | |
und bewaffneten Konflikten. Auf dem gesamten Kontinent sind die | |
wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie spürbar. | |
Und so sind in Afrika bereits heute 346 Millionen Menschen – mehr als ein | |
Viertel der Bevölkerung – mit einer „Krise der Ernährungssicherheit | |
konfrontiert“, heißt es beim Roten Kreuz. Schon jetzt müssten Millionen von | |
Familien jeden Tag Mahlzeiten ausfallen lassen. Es sei eine „alarmierende | |
Hungersituation“, die sich in den kommenden Monaten zu verschärfen drohe, | |
so das Rote Kreuz. | |
„Dieser Krieg wirkt sich auf die ganze Welt aus. Wir sind alle miteinander | |
verbunden“, sagt Mykola Stryzhak, Bauer und Präsident der ukrainischen | |
Bauernvereinigung, der taz. Nicht nur die Häfen seien von russischen | |
Truppen blockiert. Manche Lagerbestände, etwa in der belagerten Stadt | |
Mariupol, seien von russischen Soldaten geplündert worden, berichtet er. | |
Wegen der belagerten Häfen komme nicht mehr genug Dünger ins Land. Die | |
Bauern würden dennoch versuchen, wo immer es möglich sei, Saat für die | |
nächste Ernte auszustreuen. „Aber wie das ausgeht, das ist unklar.“ | |
Dass der Krieg dazu führt, dass viele Menschen in der Welt hungern müssen, | |
ist Stryzhak bewusst. Doch für ihn steht im Moment vor allem sein | |
Heimatland im Vordergrund. Der wahre Preis für diesen Krieg werde sich erst | |
noch zeigen, sagt er. „Niemand weiß, wie viele Menschen gestorben sind.“ | |
Landwirtschaft sei für viele Bauern in der Ukraine inzwischen keine | |
Hauptbeschäftigung mehr. Viele kämpften als Reservisten in der sogenannten | |
Territorialverteidigung, stünden Wache an Checkpoints oder versorgten das | |
Militär mit Lebensmitteln. | |
Ein weiteres Problem sei Kraftstoff. „Alles geht an das Militär“, sagt | |
Stryzhak. Und die Russen griffen gezielt die Öldepots der Ukraine an. | |
Importe aus Belarus, so wie früher, seien wegen der Moskautreue von | |
Machthaber Alexander Lukaschenko auch keine Option mehr. Bauern in Charkiw | |
hätten ihm erzählt, dass ihre Felder vermint seien. Selbst wenn morgen | |
wieder Frieden herrsche, könne es deshalb Jahre dauern, das Land wieder | |
bewirtschaftbar zu machen. „Das ist keine Armee, das sind Barbaren, die | |
stehlen und töten“, sagt Stryzhak über die Russen. | |
Was erwartet er für die Herbst-Ernte? „Das ist schwer zu sagen“, antwortet | |
Stryzhak. „Das hängt alles von den Barbaren ab.“ Er weigert sich, allzu | |
pessimistisch zu sein. „Ich hatte von Anfang an keine Angst vor den Russen. | |
Wir werden bald mit denen fertig sein.“ | |
Im Westen der Ukraine, wo es bisher nur vereinzelte Raketenangriffe gab und | |
die Front weit entfernt ist, stellt man sich darauf ein, vermehrt Gemüse | |
anzubauen, um die Verluste im Osten auszugleichen. „Dieses Jahr denkt | |
niemand an Gewinn. Die Bauern wollen einfach nur ihrer Pflicht nachkommen, | |
das Land mit Essen zu versorgen“, sagt Stryzhak. | |
Einer von ihnen ist Ruslan Khomych, ein Bauer aus Wolyn, der Region an der | |
Grenze zu Belarus. Er beklagt im Gespräch mit der taz, dass er wegen des | |
Kriegs nicht mehr genügend Pestizide, Dünger und Benzin beschaffen könne – | |
auch, weil viele Bauern Schwierigkeiten hätten, Geld zu bekommen. „Auch die | |
internationalen Banken lassen uns im Stich. Wir werden uns merken, wer uns | |
in diesen finsteren Zeiten unterstützt hat und wer nicht“, sagt Khomych. | |
Kollegen im Osten hätten ihm berichtet, dass die Russen gezielt nach | |
landwirtschaftlichem Gerät gesucht hätten, das sie zerstören könnten. „Sie | |
wollen so Hunger in der Ukraine auslösen“, sagt Khomych. „Wir versuchen | |
dennoch, unsere Saat auszubringen. Unter großen Schwierigkeiten, aber wir | |
versuchen es.“ Die Körner, die sie inzwischen nicht mehr verkaufen können, | |
würden sie selbst mahlen und daraus Nahrungsmittel produzieren. „Wir tun | |
alles, was in unserer Macht steht, damit unser Land nicht untergeht.“ | |
Absichtlich zerstörte Speicher und Produktionsmittel, blockierte Schiffe, | |
Exportverbote: „Russland setzt Hunger als Waffe und Druckmittel ein“, | |
glaubt auch Martin Rentsch, der Sprecher des UN-Welternährungsprogramms in | |
Deutschland. | |
Und diese Waffe richtet sich zunehmend auch gegen andere Regionen der Welt. | |
Denn die sind auf die Erträge der Ukraine angewiesen. Das kriegsgeplagte | |
[1][Jemen] etwa importiert 90 Prozent seiner Grundnahrungsmittel, die | |
Hälfte seines Weizens kam bisher aus der Ukraine und Russland. Bereits vor | |
dem Ukraine-Krieg hatten im Jemen 17,4 Millionen Menschen nicht genug zu | |
essen, darunter 2,2 Millionen Kinder, die akut unterernährt sind, heißt es | |
bei der NGO Care. | |
Auch Care warnt vor den Folgen der [2][Preissteigerungen] für die Ärmsten | |
der Welt. In Somalia, das den Großteil des Weizens aus Russland und der | |
Ukraine bezieht, sind die Preise für Weizen und Öl bereits um 300 Prozent | |
gestiegen. Die Versorgungsketten seien unterbrochen, die Vorräte bald | |
aufgebraucht, sagt Iman Abdullahi, der Care-Landesdirektor für Somalia. Er | |
beobachte schon jetzt eine steigende Zahl an unterernährten Frauen und | |
Kindern. | |
Hilfsorganisationen haben zunehmend Schwierigkeiten, Nahrungsmittel | |
einzukaufen. Das UN-Welternährungsprogramm etwa kauft normalerweise die | |
Hälfte aller seiner Hilfsgüter in Russland. Jetzt reichen die finanziellen | |
Mittel der Hilfsorganisation für immer weniger Nahrung. | |
Dass die Welt so sehr von Getreide aus Russland und der Ukraine abhängig | |
ist, sei noch nicht lange der Fall, sagt Thorsten Tiedemann. Er sitzt im | |
Vorstand der Hamburger Getreide AG. Zuvor leitete er lange den Weizenhandel | |
bei Deutschlands Marktführer Toepfer. „Russlands Getreide-Importe endeten | |
Mitte der neunziger Jahre“, sagt Tiedemann. Das Land habe nach dem Zerfall | |
der Sowjetunion – ebenso wie die Ukraine – seine Landwirtschaft | |
modernisiert, mit enormen Produktivitätsgewinnen. | |
„Die Ernten und die Qualität sind extrem gesteigert worden“, sagt | |
Tiedemann. Und so wurde das Getreide aus der Region erste Wahl für viele | |
internationale Händler. Ähnlich sei es beim Sonnenblumenöl: Auch da sei die | |
Produktion dank hoher Hektarerträge guter Sorten stark gestiegen. | |
Tiedemann selbst war zuletzt im vergangenen Oktober auf der Suche nach | |
Lieferanten in Kiew und am Schwarzen Meer. „Das ist so surreal, wenn man | |
jetzt diese Bilder im Fernsehen sieht“, sagt er. So wie dem Kiewer | |
Exporteur Lamprakis Lazos sei es vielen in der Branche ergangen. Als am 24. | |
Februar der Krieg begann, hätten viele Schiffe „die Luke zugeschlagen und | |
sind abgehauen, so schnell sie konnten“, sagt Tiedemann. „Wer dort | |
eingekauft hatte, kann jetzt seine Käufer nicht bedienen.“ | |
Jeder habe zwar von den Truppenbewegungen der Russen gewusst. „Aber niemand | |
hat wirklich mit einem Krieg gerechnet“, sagt Tiedemann. „Da sind viele auf | |
dem falschen Fuß erwischt worden. Aber solange etwas gut läuft, | |
verabschiedet man sich ja nicht in vorauseilendem Gehorsam. Sonst ist man | |
im Wettbewerb sofort tot.“ | |
Der nächste Schock für die Agrarwirtschaft werde sein, dass die | |
Frühjahrsbestellungen nicht getätigt werden könnten, glaubt er. | |
Winterweizen, der üblicherweise im Juli geerntet wird, brauche jetzt | |
Stickstoffdünger und Herbizide, damit das Unkraut ihn nicht überwuchere. | |
„Aber die Landwirte haben keine Arbeitskräfte, keinen Diesel. Jetzt ist | |
auch die Zeit der Aussaat für die Sommerkulturen: Mais, Sommerweizen, | |
Leguminosen. Das müsste alles jetzt gesät werden.“ | |
Und auch über die nächste Ernte hinaus sieht Tiedemann schwarz. „Russland | |
wird auf lange Sicht sanktioniert bleiben“, sagt er. Auf das Land kämen | |
hohe Reparationsforderungen und Strafmaßnahmen zu. Eine Folge: „Die | |
Landwirte werden keine liquiden Mittel haben, um Bestellungen vorzunehmen. | |
Und höchstwahrscheinlich kommen kaum noch Landmaschinen, Ersatzteile und | |
Pflanzenschutzmittel ins Land. Die werden es nicht mehr schaffen, ihre | |
ganzen Flächen zu bestellen.“ Es werde wieder so viele Brachen geben wie | |
zuletzt vor 20 Jahren. | |
Auch beim Saatgut werde sich der Krieg bemerkbar machen. Denn der Preis für | |
die Produktivitätsgewinne der letzten Jahre war, dass die Bauern jedes Jahr | |
Saatgut von Hochleistungspflanzen einkauften, was jetzt nur noch | |
eingeschränkt möglich ist. „Wie in alten Zeiten einfach ein bisschen von | |
der letzten Ernte aufbewahren – das geht nicht mehr“, sagt Tiedemann. „We… | |
man das ein paar Jahre macht, degeneriert alles und die Erträge gehen | |
wieder runter.“ Und so seien die Produktivitätsgewinne der vergangenen 20 | |
Jahre möglicherweise bald futsch. Bliebe Putin an der Macht und Russland | |
politisch isoliert, „kann das 10 Jahre dauern, bis sich die Landwirtschaft | |
erholt“, sagt Tiedemann. | |
Dass die Preise für Weizen und andere Grundnahrungsmittel schon jetzt so | |
stark gestiegen sind, liegt nicht nur daran, dass es weniger gibt. Auch die | |
Transportwege spielen eine Rolle. „Russland und die Ukraine sind über das | |
Schwarze Meer für viele Importländer sehr frachtnah“, sagt Tiedemann. Wenn | |
Ägypten nun aber statt in Odessa in Houston einkaufen müsse, stiegen | |
entsprechend die Kosten. „Wir können uns das noch leisten“, sagt er. „Ab… | |
wenn Ägypten sich das nicht mehr leisten kann, dann können die eben weniger | |
Hähnchen mästen.“ | |
Für Tiedemann gibt es nur einen Weg aus der Misere: „Das Naheliegendste | |
wäre, dass wir hier [3][unsere Produktion wieder erhöhen]“, sagt er. „Wir | |
müssen effizienter werden.“ Mehr Agrarflächen, mehr Dünger, noch weiter | |
optimiertes Saatgut – das wäre ein Ausweg, so sieht er es. | |
Martin Rentsch, der Sprecher des UN-Welternährungsprogramms in Deutschland, | |
sieht es anders. „Es gibt keine Nahrungsmittelknappheit auf der Welt“, sagt | |
er. „Es gibt global immer noch genug Nahrung, auch genug Weizen.“ Die | |
Inflation nach der Pandemie sowie die hohen Spritkosten hätten die | |
Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben. „Der Krieg und die Tatsache, dass | |
so viele Getreide nicht ausgeliefert werden können, führt auf den Märkten | |
zu Unsicherheit und sorgt jetzt für den nächsten Preisschock.“ | |
Der Ort, an dem sich diese Preise bilden, ist vor allem die Weizenbörse | |
Matif in Paris. Sie gehört zum Euronext Börsenverbund. Praktisch jeder | |
Getreidedeal wird hier über „Futures“ genannte Termingeschäfte abgesicher… | |
Denn Händler wie Thorsten Tiedemann bestellen, je nach aktuellen Preisen | |
und Auftragslage, das ganze Jahr über teils für weit in der Zukunft | |
liegende Ernten. Bis die geliefert werden, vergehen viele Monate. In dieser | |
Zeit können die Preise schwanken. | |
Die Futures sollen die Verkäufer vor Preisverfall schützen, weil der | |
künftige Abnahmepreis ja bereits auf dem aktuellen Niveau vereinbart wurde. | |
Käufer hingegen können sich davor absichern, bei künftiger Knappheit und | |
deshalb steigender Preise mehr bezahlen zu müssen. | |
„Der physische Markt steht extrem unter Druck“, sagt Nicholas Kennedy, | |
Leiter der Rohstoffabteilung bei Euronext. Europa und das Schwarze Meer | |
seien in den zurückliegenden 15 Jahren die Kernregion geworden, in der der | |
Weltmarktpreis bestimmt werde. Und der sei schon vor dem Ukraine-Krieg | |
extrem hoch gewesen. „Jetzt erleben wir geschichtlich absolut beispiellose | |
Marktbedingungen.“ In den Future-Preisen schlage sich das sofort nieder. | |
Armen Käufern nützen Terminkontrakte in der jetzigen Lage deshalb nichts | |
mehr:Wer vor dem jüngsten Preisschock nichts bestellt hatte, muss jetzt | |
auch für Futures mehr zahlen. | |
Dass Spekulationen die Lage verschlimmern, weil sie auf steigende Preise | |
wetten und diese so künstlich noch weiter hoch trieben, sei „ein Mythos“, | |
sagt Kennedy. Der Zugang zu Matif sei stark reglementiert. Handel sei nur | |
über Intermediäre, meist Großbanken, möglich. Neben physischen Händlern, | |
die die Güter real liefern oder bestellen, könnten reine Finanzfirmen nur | |
noch unter bestimmten Bedingungen dort aktiv werden. | |
Letztlich sei es einfach: „Angebot und Nachfrage – sonst gibt es nichts, | |
was den Preis bestimmt“, sagt Chris Topple, der Verkaufsleiter der | |
Euronext-Gruppe. Eine Obergrenze gebe es dabei naturgemäß nicht. | |
Francisco Marí, Ernährungsexperte von Brot für die Welt, will das so nicht | |
gelten lassen. Zwar habe Frankreich als Sitz von Matif den Zugang und | |
spekulative Leerverkäufe eingedämmt. An der Chicagoer Börse aber fehlten | |
solche Regelungen – und die sei, global gesehen, preisbildend. „So kann | |
sich Matif den dortigen, auch auf Spekulation beruhenden Preisen nicht | |
entziehen“, sagt Marí. | |
Für Marí ist aber die Frage, ob es überhaupt erlaubt sein sollte, | |
Grundnahrungsmittel an Börsen zu handeln. Denn auch die Matif-Preise | |
basierten nicht einfach auf Angebot und Nachfrage zwischen Bauern und | |
Händlern. Auch sie seien von Gewinnerwartungen in Waren-Termingeschäften | |
getrieben, sagt er. | |
Wenn das Angebot aber selbst jetzt im Krieg noch groß genug ist und es | |
weiter genügend Weizen auf der Welt gibt – warum soll dann nicht politisch | |
Einfluss auf die Preise genommen werden, sodass arme Länder sich die | |
nötigen Importe leisten können? | |
In anderen Branchen gibt es durchaus Beispiele für Eingriffe in die | |
Preisbildung an den Börsen. Zuletzt hatte im April die London Metal | |
Exchange nach einem zeitweisen Handelsstopp aufgrund von explodierenden | |
Preisen ein Limit für die täglichen Preisbewegungen bei Nickel festgesetzt | |
– ohne dass Proteste laut geworden wären. | |
Mit politischem Willen ließen sich so auch die seit Jahren praktizierten | |
Stützungskäufe erleichtern, mit denen Regierungen armer Länder Preisschocks | |
abzufedern versuchen. Nicht zuletzt würden so auch die Spielräume für | |
Hilfsorganisationen größer, die dem wachsenden Bedarf nicht mehr gerecht | |
werden können. Am Donnerstag bezifferten die UN den Finanzbedarf für | |
humanitäre Hilfen weltweit auf 43 Milliarden Dollar. Das ist der höchste | |
Bedarf, den es je gab. Bislang wurden von der internationalen | |
Staatengemeinschaft nur 3,6 Milliarden Dollar zugesagt. | |
9 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Waffenruhe-im-Jemen/!5843140 | |
[2] /Folgen-des-Ukrainekriegs-in-Bangladesch/!5842786 | |
[3] /EU-stoppt-Plan-fuer-Pestizidreduktion/!5840315 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
Verena Hölzl | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Welthandel | |
Landwirtschaft | |
Lebensmittel | |
GNS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
IWF | |
Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
fossile Energien | |
Landwirtschaft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
+++ Nachrichten im Ukraine-Ticker +++: Stoltenberg überraschend in Kyjiw | |
Dänemark und die Niederlande wollen gemeinsam 14 Leopard-2-Panzer an die | |
Ukraine liefern. Die Ukraine bereitet neue Truppen für den Fronteinsatz | |
vor. | |
Getreideexporte aus der Ukraine: Ein Korn Hoffnung | |
Das erste Mal seit Kriegsbeginn fährt ein Schiff einen ukrainischen Hafen | |
an. Gleichzeitig bahnt sich ein erster Konflikt mit dem Libanon an. | |
Getreideexporte aus der Ukraine: Warten auf den nächsten Frachter | |
Erstmals seit der Blockade hat ein Getreideschiff Istanbul erfolgreich | |
passiert, weitere sollen folgen. Die EU will Alternativrouten ausbauen. | |
Weizenkrise in der Ukraine: Kampf ums Korn | |
Weil der Hafen vermint ist, stecken Millionen Tonnen Getreide in der | |
ukrainischen Stadt Odessa fest. Und alternative Wege? Schwierig. | |
Aktuelle Lage in der Ukraine: Vermittlung in Ankara | |
Der russische Außenminister präsentiert sich kompromissbereit bei der | |
Blockade von Weizenexporten. In der Ukraine stößt das Angebot auf Skepsis. | |
Bahn transportiert zu wenig Getreide: Ukrainebauern bitten um Exporthilfe | |
Da die Häfen blockiert sind, kann die Ukraine nur einen Bruchteil ihres | |
Weizens verkaufen. Nun will sie von der EU mehr Waggons für den | |
Bahntransport. | |
Teurere Lebensmittel, mehr Hunger: Westen kontert Russlands Vorwurf | |
Der Ukrainekrieg, nicht die Sanktionen hätten Preise in die Höhe getrieben, | |
so EU und USA. Russisches Getreide dürfe weiter importiert werden. | |
IWF-Weltbank-Frühjahrstagung: Das Multi-Krisentreffen | |
Krieg und Pandemie – in solchen Krise braucht internationale | |
Zusammenarbeit. Doch diese fehlt beim Treffen von IWF und Weltbank. | |
Angriff auf die Ukraine: Der Krieg hat nur Verlierer | |
Der Angriff Russlands gegen die Ukraine führt zu einem wirtschaftlichen | |
Desaster. Das gilt auch für Nachbarstaaten, warnt die Weltbank. | |
+++ Nachrichten im Ukrainekrieg +++: 1.222 Tote „allein in der Region Kiew“ | |
Bislang seien mehr als 1.200 Tote im Raum Kiew entdeckt worden, heißt es | |
von ukrainischer Seite. Der Flughafen von Dnipro ist laut Gouverneur | |
„vollständig zerstört“. | |
Gasstop bedroht Süßwarenindustrie: Das Ende der Quengelzone | |
Der Gasstop könnte für leere Schoko- und Keksregale sorgen. Die | |
Süßwarenindustrie findet: es darf nicht an diesen Grundnahrungsmittel | |
fehlen! | |
Energieexperte Halver über Gasstopp: „Politisch lange sehr blauäugig“ | |
Der Energieexperte Robert Halver warnt vor langfristigen Schäden für die | |
Industrie. Es könne zum Exodus deutscher Firmen kommen. | |
Ukrainekrieg lässt Getreidepreise steigen: „Völlig überzogene Forderungen�… | |
Weniger Pflanzen für Agrokraftstoffe wegen des Kriegs? Der Bauernverband | |
lehnt das ab – und fordert stattdessen einen Verzicht auf | |
Umweltschutzregeln. |